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Louise, Liese, Lieschen – jenseits des male gaze. Re-Visitation historischer Frauenfiguren des 18. Jahrhunderts aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts | Stuttgart, Tübingen

Beginn
18.06.2025
Ende
19.06.2025
Deadline Abstract
21.12.2024

Seit sich im Zuge der zweiten Welle der Frauenbewegung eine Kritik an den Weiblichkeitsimagines (Silvia Bovenschen, 1979) äußerte und die feministische Kritik mit einer Privilegierung der sozialgeschichtlichen Existenzform von Frauen einherging, hat sich der Kanon erweitert und die bestehenden Weiblichkeitsbilder wurden entzaubert. Schriftstellerinnen, historische Figuren und bedeutende Frauen, die dem Vergessen anheimgestellt waren, wurden wiederentdeckt, es kam zu neuen Bewertungsmustern und im Zuge der letzten vierzig Jahre hat dies auch dazu geführt, dass sich die Diskurse des common sense verändert haben, was sich in regionalgeschichtlichen und populärwissenschaftlichen Kontexten niederschlägt. Über Frauen wird anders gesprochen, es wird ihnen mehr Signifikanz eingeräumt, als es im 20. Jahrhundert der Fall war. Ihr Schaffen und ihr Wirkungskreis gilt nicht per se als minderwertig, sondern bei der Bewertung von Werken aus weiblicher Feder werden auch die Produktionsbedingungen berücksichtigt bzw. die Relevanz historischer Frauenfiguren nicht unabhängig davon betrachtet, unter welchen zeitgenössischen Paradigma sich die Künstler*innen als weiblich identifizieren konnten. Frauen schreiben oder finden ihre politischen oder gesellschaftlichen Rollen in einem Kontext, der dem der Männer nicht gleichgestellt ist. Das bedeutet, dass sie andere Themenschwerpunkte für sich setzen.

Auffällig ist jedoch, dass die neuere Auseinandersetzung mit ‚vergessenen‘ Frauen des 18. Jahrhunderts – vor allem, aber nicht nur, wenn sie auf eine breitere öffentliche Kenntnisnahme abzielt – Gefahr läuft, in einem kompensatorischen Gestus der ‚Aufwertung‘ zu Heroisierungen zu neigen, die der komplexen historischen Realität oft ebenso wenig gerecht werden können wie der diskursive Ausschluss zugunsten ihres männlichen Umfelds. Louise von Anhalt-Dessau, deren 275. Geburtstag wir 2025 begehen können und die als Ehefrau des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, dem Begründer des Gattenreichs Dessau-Wörlitz und großer Aufklärer, in die Geschichte eingegangen ist, ist dafür ein gutes, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel. Nicht nur aus ihren Tagebüchern wissen wir, dass Louise maßgeblich an den Projekten ihres Mannes beteiligt und politisch und gesellschaftlich interessiert war. Das Imago der gebildeten Frau klingt um einiges feministischer und auch realistischer als das der zahnlosen, weltflüchtigen, betrogenen Gattin, die ihrem Mann das Leben versauerte. Doch bleibt oft auch in der positiven Beschreibung, der Revidierung des alten Bildes, der Mechanismus bestehen, Louise als Objekt des male gaze darzustellen und sie in ihrer Funktion für die sie umgebenden Männer zu bewerten – etwas, das noch signifikanter auf ihre sogenannte „Nebenbuhlerin“  Luise Schoch zutrifft, die im Alter von 13 Jahren die Geliebte des Fürsten wurde und bis heute mehr oder minder gänzlich als reines Liebesobjekt betrachtet wird. In der Auseinandersetzung schwingt so noch oft patriarchalische Herablassung mit oder falsch verstandenes feministisches Wohlwohlen, das häufig genug auch stark biografische Aspekte ins Zentrum rückt, weniger die tatsächlichen Lebens- oder künstlerischen Leistungen der betrachteten Frauen.

Es braucht deshalb einen Zugang zu den Frauen des 18. Jahrhunderts, der mit entsprechender Sensibilität auf Basis der neuen Paradigmen arbeitet, die in den Genderwissenschaften und den Queer-Studies eingebracht worden sind. Das Konzept von Homosozialität, die Wachsamkeit gegenüber dem male gaze, sowie Heteronormativitätskritik u.a. erweitern auch unsere bisherigen feministischen Perspektiven auf historische Frauenfiguren des 18. Jahrhunderts, die ihrerseits z. T. hinterfragt werden müssen.

Diese und anschließende Fragen sollen Gegenstand eines zweitägigen Workshops sein, der vom 18. bis 19. Juni 2025 an den Universitäten Stuttgart und Tübingen stattfindet. Wir sind daran interessiert, Frauen des 18. Jahrhunderts noch einmal aus neuen Blickwinkeln kennenzulernen. Gegenstände der Untersuchungen sollten auch Frauen sein, die nicht alle erst wiederendeckt werden müssen. Im Gegenteil kann gerade die kritische Auseinandersetzung mit vergangenen ‚Wiederentdeckungen‘ die Tür zu einer differenzierteren Perspektive auf die historischen Figuren öffnen. Ziel des Workshops kann es nicht sein, ganz neue Bewertungen zu finden und alte über Bord zu werfen, sondern das Leben, Wirken und das Schaffen von Frauen angepasst an die Episteme des 21. Jahrhunderts zu betrachten. Das kann sowohl zu neuen Perspektiven auf die Frauenfiguren als auch zu neuen Bewertungen führen. Wir wollen diskutieren, wie zielführend es ist, mit neuen Perspektiven und Analysetools auf diese Frauen zu blicken. 

Wir freuen uns über Vorschläge zu (bekannten oder weniger bekannten) Frauenfiguren – seien es Schriftstellerinnen oder andere Gestalten des öffentlichen Lebens –, die aus historischer, literaturwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Perspektive sowie mittels Paradigmen der neueren und neusten Genderforschung betrachtet werden sollen. 

Wir bitten um kurze Beitragsvorschläge (1 Seite) mit Angaben zu Ihrer Person bis zum 21. Dezember 2024 an katja.kauer@uni.tuebingen.de und kristin.eichhorn@ilw.uni-stuttgart.de.

Eine Übernahme der Reisekosten wird vorbehaltlich der Bewilligung entsprechender Gelder angestrebt.

Contact Information

Katja Kauer; Kristin Eichhorn

Contact Email

katja.kauer@uni.tuebingen.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literaturgeschichtsschreibung (Geschichte; Theorie), Feministische Literaturtheorie, Gender Studies/Queer Studies, Literatur des 18. Jahrhunderts

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Universität Stuttgart
Eberhard Karls Universität Tübingen
Datum der Veröffentlichung: 22.11.2024
Letzte Änderung: 22.11.2024