Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit um 1800 in Diskursen der russischen Literatur zu beschreiben sind und wie diese Konzepte auf allegorischer Ebene für die gesellschaftlichen und politischen Transformationen der Jahrhundertwende funktionalisiert werden. Von Interesse ist hierbei, in welchem Ausmaß die politisch und sozial hochaufgeladenen westeuropäischen Diskurse der Empfindsamkeit diese Konstruktionen mitformen und welche spezifischen Ausprägungen sie in der russischen Kultur an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert erfahren. Es wird dargestellt, über welche Prozesse in der Literatur dieses Zeitraums – verflochten mit sprachphilosophischen, literaturästhetischen, bildungspolitischen, historiographischen und publizistischen Diskursen – Charaktere und Figuren entwickelt werden, die später für idealtypische „russische“ Protagonistinnen und Protagonisten in Werken der russischen Romantik und des russischen Realismus modellgebend werden. Im Kapitel "Repräsentation von Männlichkeit und Weiblichkeit im kulturellen Kontext" werden jene diskursanalytischen und kulturwissenschaftlichen Modelle und Methoden erörtert, die den Textanalysen zugrunde gelegt werden. Ziel des Abschnitts "Die Reformen des 18. Jahrhunderts in ihrer Bildlichkeit" ist es, Reformen in der Bildungspolitik, Familienentwicklung, Alltags-, und insbesondere der Ballkultur, Sprachphilosophie und Literatur- beziehungsweise Kunsttheorie unter Einfluß westeuropäischer Strömungen zu zeigen, die den Raum um 1800 semantisch vorstrukturieren. Diese Entwicklungen werden von den Zeitgenossen selbst als „Reformen im Zeichen des Weiblichen“ gesehen. Im Kapitel "Diskurse der Empfindsamkeit" werden die Diskurse der westeuropäischen empfindsamen Strömungen sowie ihre Rezeption in Rußland beschrieben. Die Empfindsamkeit bietet in einer Zeit der sozialen und machtpolitischen Transformationen für ein sich etablierendes Bürgertum Orientierung auf dem Weg in die Öffentlichkeit und in die sich formierenden ...
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