Zwei kunstvolle Kurzprosa-Texte unterschiedlicher Gattung und aus verschiedenen Epochen des Goethe'schen Schaffens: Das "Märchen" erschien 1795 in Schillers "Horen" und hat eine Vielzahl von symbolisch-allegorischen Interpretationen erfahren. Die Vieldeutigkeit und Unausdeutbarkeit seines Textes brachte Goethe wie folgt auf den Punkt: "Es war freilich eine schwere Aufgabe, zugleich bedeutend und deutungslos zu sein." Der Stoff zu dem, was am Ende die "Novelle" wurde, beschäftigte Goethe bereits 1797, wurde aber erst in seiner letzten Schaffensphase 1827 in der vorliegenden Form realisiert. Goethe zeichnet mit dem wunderbar anmutenden Ende und dem Einflechten der Lyrik in die Prosa das Bild einer Versöhnung von Kultur und Natur. Die Folgerichtigkeit dieser Synthese in Goethes Augen beschreibt Goethe in den Gesprächen mit Eckermann so: "›Um für den Gang dieser Novelle ein Gleichnis zu haben‹, fuhr Goethe fort, ›so denken Sie sich aus der Wurzel hervorschießend ein grünes Gewächs, das eine Weile aus einem starken Stengel kräftige grüne Blätter nach den Seiten austreibt und zuletzt mit einer Blume endet. - Die Blume war unerwartet, überraschend, aber sie mußte kommen; ja das grüne Blätterwerk war nur für sie da und wäre ohne sie nicht der Mühe wert gewesen.‹" "Was Goethe angeht: so war der erste Eindruck, ein sehr früher Eindruck, vollkommen entscheidend: die Löwen-Novelle, seltsamer Weise das Erste, was ich von ihm kennen lernte, gab mir ein für alle Mal meinen Begriff, meinen Geschmack ›Goethe‹. Eine verklärt-reine Herbstlichkeit im Genießen und im Reifwerdenlassen, - im Warten, eine Oktober-Sonne bis ins Geistigste hinauf; etwas Goldenes und Versüßendes, etwas Mildes, nicht Marmor – das nenne ich Goethisch." Friedrich Nietzsche E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
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