Will man die sog. russische Idee begreifen, so sollte man sich zunächst darüber bewusst werden, dass ihr stets überaus vielschichtige und oftmals antithetische Aussagen zugrundegelegen und die Kontroversen über die Frage nach ihrer Konsistenz und Suggestivkraft bis heute keinen Abschluss gefunden haben. Allgemein gesprochen handelt es sich hierbei um eine v.a. das russische Geistesleben des 19. und 20. Jh. dominierende Idee, die weit in die Geschichte Russlands zurückgreift, um Russland von den anderen, d.h. insbesondere westeuropäischen Ländern geistig-kulturell abzugrenzen. Die daraus resultierende Selbstbestimmung bzw. Sonderstellung mit den ihr einher gehenden nationalen und universalen Aufgaben, wird stets auf verschiedenen Argumentationswegen innerhalb des Diskurses der russischen Idee zu analysieren und zu begründen versucht. Dieses allumfassende, vielfältige, aus dem religiös-metaphysischen Wesen der russischen Philosophie hervorgegangene Denkprinzip, muss, da auf der Ost-West-Dichotomie aufbauend, immer im Zusammenhang mit der Geschichte des Abendlandes und dessen Selbstbild gesehen werden. Russland beginnt sich fortwährend als das Andere zu begreifen. Im slavophilen Russlandbild, welches das Fundament der russischen Idee bildet, verwandelt sich dabei die vermeintliche Rückständigkeit Russlands nunmehr zum Privileg. Ein darauf folgender Ansatz entspringt vornehmlich der Gedankenwelt des Philosophen und Publizisten Fedor Dostoevskijs in Form der Idee des Počvenničestvo, welche vor dem Hintergrund der sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. verändernden politisch-sozialen Umstände in Russland ebenso auf die privilegierte Stellung des russischen Charakters durch die vermeintliche Überwindung des Fremden im Eigenen zu schließen versucht. Während die počvenniniki, Dostoevskij, Grigor’ev und Strachov, in den Zeitschriften Vremja und Epocha zunächst ihr metaphysisches gesellschaftliches Ideal, welches v.a. auf einem romantisch-konservativen Geschichts- und Nationsverständnis fußt und in enger Beziehung zur ...
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