Der vorliegende Beitrag untersucht den in "Die Welt im Rücken" zur Sprache gebrachten paranoiden 'Beziehungswahn' anhand der Funktion, die Popmusik im Text erfüllt. Den Schwerpunkt auf die Popmusik zu legen - und nicht etwa auf andere Themen, die im Buch ebenfalls an die Paranoia geknüpft sind -, ist deshalb ein besonders lohnendes Unterfangen, da der Text eine untergründige Affinität zwischen Pop und Paranoia aufzeigt. Bereits die konstante Beschallung mit Popmusik, so suggeriert der Text, nähert die von Melle beschriebene Wahrnehmung an diejenige eines Schizophrenen an: Zu Beginn des Buchs erwähnt Melle, dass man bei Patientengesprächen stets gefragt werde, ob man Stimmen höre - den psychiatrischen Klassifikationen zufolge ein unfehlbares Anzeichen für Schizophrenie. Während seiner manischen Phasen vernimmt Melle durch den andauernden Popmusik-Konsum dann tatsächlich in einem fort Stimmen. Und auch sein in diesen Phasen exaltierter Kleidungsstil steht in einem Bezug zu den ausgestellt modischen Exzentrizitäten etlicher Pop-Heldinnen und -Helden [...]. Die von Melle hervorgehobene Affinität zwischen Pop und Paranoia liegt, wie im Folgenden gezeigt werden soll, in der spezifischen Offenheit der Popmusik und ihrer Aussagen begründet. Diese Offenheit stiftet die Voraussetzung dafür, dass sich der 'Beziehungswahn' des Paranoikers an der Popmusik überhaupt entzünden kann. Ein erster Abschnitt untersucht, welche Wirkung die Popmusik während der von Melle beschriebenen manischen Schübe entfaltet. Indem sich Melle der Popmusik bedient, um seine eigene Krankheit darzustellen, wirft er zugleich ein Licht auf die spezifische Verfasstheit von Popmusik, womit sein Text unter der Hand eine abgründige Poptheorie entwirft. Anschließend zeigt ein zweiter Abschnitt, dass der Rückgriff auf Popmusik in "Die Welt im Rücken" Melle bei seinem eingangs zitierten Vorhaben unterstützt, die eigene, durch die Krankheit fragmentierte Geschichte zu artikulieren. Dass Melle für die Offenlegung des Persönlichsten und Intimsten ausgerechnet auf die oft als oberflächlich verschriene Massenware Pop zurückgreift, mag auf den ersten Blick verwundern. Das Vorgehen, individuelle Erfahrungen mithilfe der allgemein verfügbaren Popmusik zu artikulieren, erscheint allerdings weniger widersprüchlich, wenn man einen Blick auf die Poptheorie wirft. Diese hat herausgearbeitet, dass besagter Widerspruch der Popmusik selbst inhärent ist, da sie auf konventionalisierte Formen zurückgreift, um persönlichen Erfahrungen zum Ausdruck zu verhelfen. Dieser Rückgriff auf bereits bestehende Formen, deren Neuanordnung etwas Eigenes formuliert, wurde in der Poptheorie mit dem von Stuart Hall übernommenen Konzept der 'articulation' beschrieben. Ein letzter Abschnitt zeigt anhand der "Die Welt im Rücken" durchziehenden reflexiven Passagen, dass die der Popmusik entlehnten Aneignungsverfahren den Text auch dann bestimmen, wenn nicht explizit von Popmusik die Rede ist. Bei diesem Verfahren handelt es sich also um die dem Text zugrundeliegende Poetologie. Dass der Popmusik abgeschaute Verfahren der Aneignung fremder Aussagen ist insofern vorbildhaft, als sich Melle ebenso die eigene, durch die Krankheit fremd gewordene Geschichte mit dem Schreiben des Buchs aneignet. Dies ermöglicht die in der Nähe zur Autofiktion stehende Erzählsituation, die sich dadurch auszeichnet, dass Melle dezidiert in der ersten Person Singular schreibt und die Grenze zwischen Autor und Erzählinstanz verwischt.
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