CfP/CfA Veranstaltungen

CFP: Workshop „Literatur und Abtreibung“, Wien

Beginn
01.07.2024
Ende
02.07.2024
Deadline Abstract
30.01.2024

Call for Papers: Literatur und Abtreibung

Schwangerschaften gibt es überall in der Literatur (Villinger 2021) – und auch, vielleicht unvermutet, Schwangerschaftsabbrüche. Im Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch steht ein Bücherschrank, in ihm zu finden sind Werke der Weltliteratur, die einen (vorrangig männlichen) Blick auf Schwangerschaftsabbrüche werfen: Goethe, Dickens, Brecht.

Während die Geburt eine reiche kulturelle Geschichte hat, ist der Schwangerschaftsabbruch vom literarischen und sozialen Diskurs ebenso ferngehalten worden wie die an ihm beteiligten Personen. Schwangerschaftsabbrüche haben eine nachweisliche Geschichte, und dennoch sind sie in einer dreifachen Art abwesend: von Recht und Gesellschaft ausgeklammert, in Kunst und Kultur aktiv übersehen und nicht zuletzt von den Kulturwissenschaften gemieden.

Erst mit der Feststellung, dass der bisherige literarische Kanon das Patriarchat spiegelt (Seifert 2021), öffnet sich die Frage danach, welche Erfahrungen von in der patriarchalen Lebenswelt Unterdrückten in diesem Kanon bisher fehlen. Stimmen, die in der Vergangenheit über Schwangerschaftsabbrüche schrieben, waren den Zeitgenoss*innen zwar bekannt, sind aber von Literaturkritik, Literaturgeschichtsschreibung und Universitätscurriculum vergessen oder an die Peripherien gedrängt worden: Tove Ditlevsen, Vicki Baum, Mela Hartwig.

In der Forschung werden erste Versuche unternommen, dieses Vakuum zu füllen, so z. B. in der Anthologie Choice Words: Writers on Abortion von Annie Finch (Finch 2020). Im deutschsprachigen Raum fehlt es bisher neben ersten wenigen Publikationen – zuletzt z. B. mit Fokus auf die 1920er/1930er Jahre Veronika Hofeneder zu „Abtreibung“ im Ödön-von-Horváth-Handbuch (Hofeneder 2023) – an vergleichenden und sammelnden Perspektiven. 

In der Literaturproduktion hingegen ist das Thema ungebrochen präsent, so im Schreiben von Lotta Elstad und Marlene Steeruwitz sowie in der 2023 veröffentlichten Anthologie zu Abtreibungserzählungen der Gegenwartsliteratur (Gneuß und Weber 2023). Nicht zuletzt ist mit dem Literaturnobelpreis für Annie Ernaux (2022) deutlich geworden: Es ist an der Zeit, Erzählungen über Abtreibungen literaturwissenschaftlich zu begegnen. 

Der Workshop fokussiert diese Lücke im Literaturkanon und das Zögern, mit dem ihr begegnet wird. In seinem Zentrum steht die Frage nach literarischen Strategien des Umgangs mit Abtreibungen. Über Abtreibungen zu schreiben, kann bedeuten sich eines Gegendiskurses, Übersetzungsmöglichkeiten oder des sprachlichen Verstecks zu bedienen. Eine literaturwissenschaftliche Analyse von Abtreibungserzählungen soll all diese Strategien einschließen und darüber hinaus einen Blick auf die Rezeption, Inszenierung und Platzierung der Texte in der Literaturgeschichte werfen.

Erwünscht sind Beiträge aus den Literatur- und Kulturwissenschaften, gerne auch mit internationalem/komparatistischem Bezug. Das Workshopformat soll auch Nachwuchswissenschaftler*innen die Möglichkeit geben, Arbeitsvorhaben zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Beitragsvorhaben können bis zum 31. Januar 2024 in Form eines kurzen Proposals (300 Wörter) an veronika.hofeneder@univie.ac.at und carolin.slickers@uni-bonn.de eingereicht werden. Eine Rückmeldung erfolgt bis Ende Februar 2024. 

Die Veranstaltung findet am 1. und 2. Juli 2024 im Literaturhaus Wien statt. Reise- und Übernachtungskosten können vorbehaltlich der Finanzierung übernommen werden. 

 

Mögliche Fragestellungen, Anregungen 

·       Welche literarischen Strategien werden verwendet, um Schwangerschaftsabbrüche in literarischen Texten „zu verstecken“?

·       Welche Topoi (Schauplätze wie Metaphern) werden in Texten über Schwangerschaftsabbrüche verwendet?

·       Wie beziehen sich Texte, die von Schwangerschaftsabbrüchen handeln, auf andere Texte? Stellen sie sich in eine Texttradition?

·       Welche Konflikte rund um die ungewollte Schwangerschaft werden beschrieben, welche Lagerung von Konflikten wird dargestellt?

·       Wie sind Narrative der (sozialen, emotionalen, juristischen) Bestrafung in die Texte eingearbeitet?

·       Gibt es queere Narrative von Schwangerschaftsabbrüchen?

·       Was sind spezifische Genres/literarische Formen, die zur Anwendung kommen? (Bericht, Autobiographie, Autofiktion, dokumentarisches Schreiben, Poesie, Essay etc.)

·       Wie sind die Texte zu ihrer Zeit veröffentlicht/gelesen/beworben/verbannt/wieder aufgelegt/ rezipiert worden? Und wie heute?

 

Literatur: 

Finch, Annie: Choice Words. Writers on Abortion. La Vergne: Haymarket Books, 2020. 

Gneuß, Charlotte und Laura Weber: Glückwunsch. 15 Erzählungen über Abtreibung. München: Hanser Verlag, 2023. 

Hofeneder, Veronika: „Abtreibung“, in: Ödön-von-Horváth-Handbuch. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar, Berlin/Boston: De Gruyter, 2023, S. 508-510. 

Seifert, Nicole: Frauenliteratur. Köln: Kiepenheuer&Witsch, 2021.

Villinger, Antonia: Dramen der Schwangerschaft: Friedrich Hebbels ‚Judith‘, ‚Maria Magdalena‘ und ‚Genoveva‘. Baden-Baden: Nomos, 2021.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Literaturgeschichtsschreibung (Geschichte; Theorie), Gender Studies/Queer Studies, Literatur und andere Künste, Literatur des 19. Jahrhunderts, Literatur des 20. Jahrhunderts, Literatur des 21. Jahrhunderts

Ansprechpartner

Adressen

Deutschland
Beitrag von: Carolin Slickers
Datum der Veröffentlichung: 22.11.2023
Letzte Änderung: 22.11.2023