Das Baugewerbe stellt - gemessen an der Bruttowertschöpfung und der Beschäftigung - nach wie vor den mit Abstand bedeutendsten Zweig des Warenproduzierenden Gewerbes dar. Die Vielfalt der Unternehmens- und Betriebsformen, der verwendeten Materialien und der eingesetzten Produkte rechtfertigen wohl auch das Urteil, die Bauwirtschaft sei ,Deutschlands vielseitigster Wirtschaftszweig"". Gleichzeitig befindet sich die Branche seit nunmehr einem halben Jahrzehnt in einer ausgeprägten Krise: Seit Mitte der neunziger Jahre verringerten sich die Wertschöpfung um 15 vH, die Produktion und der Umsatz um gut ein Zehntel, wobei der Umsatzrückgang im Wohnungsbau etwas schwächer ausfiel als im Baugewerbe insgesamt. Die Bauinvestitionen insgesamt sanken seit Mitte der neunziger Jahre um 7 vH, wobei Investitionen in Wohnbauten mit knapp 280 Mrd. DM jedoch annähernd konstant blieben. Im Jahr 1999 ergab sich eine gewisse Stabilisierung der Bauinvestitionen, die aber nur vorübergehend war; im Jahr 2000 gingen sie wiederum zurück. Besonders betroffen war hiervon der Wohnungsbau - insbesondere in den neuen Bundesländern -, wobei der Einbruch sicherlich auch auf Änderungen bei den Förderkriterien der Eigenheimzulage zum Jahreswechsel 2000 zurückzuführen ist und keinen langfristigen Trend darstellt. Die Beschäftigung im Baugewerbe sank seit Mitte der neunziger Jahre um fast 13 vH. Nach wie vor freilich entfallen mehr als ein Viertel der Erwerbstätigen des Produzierenden Gewerbes auf das Baugewerbe. Die Anpassung des Baugewerbes an die veränderte Nachfrage und der Abbau von Überkapazitäten sind jedoch schon weit vorangeschritten; der Rückgang stellt sich in der jüngsten Vergangenheit zurückhaltender dar. Mittelfristig ist eher wieder mit steigenden Bauinvestitionen und stagnierender Beschäftigung zu rechnen, da insbesondere in Ostdeutschland noch ein hoher Bedarf an Infrastrukturmaßnahmen besteht. Trotz der Leerstände von knapp 1 Mill. Wohnungen besteht dort auch ein Marktpotenzial für den Wohnungsneubau, da viele dieser Wohnungen hinsichtlich Qualität und Lage nicht mehr den Ansprüchen der Nachfrager entsprechen und in einigen Fällen durch Abriss beseitigt werden sollen. In diesem Umfeld stellt die Nachfrage nach Eigenheimen den Hoffnungsträger und ein vergleichsweise dynamisches Marktsegment dar, ihre Bedeutung wird auch in Ostdeutschland - sofern die anhaltende wirtschaftliche Schwäche dort überwunden wird - zunehmen. Ferner stellt sich die Nachfrage nach Bauleistungen positiver dar, wenn man nicht nur die Neubaumaßnahmen, sondern auch die Maßnahmen an bestehenden Gebäuden berücksichtigt. Unterstützt werden diese Aussichten durch den gesellschaftlichen und sozialen Wandel in Form von hohen und steigenden Lebenserwartungen, sinkender Haushaltsgröße und partiell zunehmender Mobilität sowie neue Formen der Arbeit und der Ausbildung. Steigende Einkommen führen zu qualitativ höheren Ansprüchen bei Wohnbauten hinsichtlich Ausstattung und Größe. Der sektorale und regionale Strukturwandel in der Wirtschaft und die zunehmende Verflechtung von Industrie und Dienstleistungen sowie die Herausbildung neuer großräumiger Muster haben Konsequenzen für die Siedlungs-, Gewerbeflächen- und Verkehrspolitik. Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Eigenheimbaus, seiner Produktions- und Beschäftigungseffekte und seiner Verflechtung mit anderen Branchen bzw. dem Staatshaushalt notwendig. Trotz der in der Zwischenzeit deutlich niedrigeren Produktion und Beschäftigung in der Bauwirtschaft sind die Ausstrahlungseffekte von Bautätigkeiten auf andere Branchen immer noch erheblich; sie dürften aufgrund von Tendenzen der Ausgliederung von Produktionsbereichen und Dienstleistungen mittelfristig eher zu- als abnehmen. Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass der Einsatz neuartiger Baustoffe und Materialkombinationen (Kunststoff, Glas, Holz), neue Bauverfahren (z.B. High-Tech-Fassaden oder Stahl-Flachdeckensysteme im gewerblichen Bau) sowie die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung ökologischer Belange im Sinne eines flächensparenden, ökoeffizienten Bauens die Nachfrage nach Bauleistungen verändert haben. Mit der vorliegenden Untersuchung wird daher versucht, die sektoralen und die davon über Multiplikatoreffekte ausgelösten gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der Nachfrageveränderungen zu quantifizieren, die in den letzten Jahren im Wohnungsbau zu beobachten waren, und zwar sowohl im Niveau als auch in der Struktur der Bautätigkeit. Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen ergeben sich durch Aggregation der sektoralen über alle Branchen (bottom up Ansatz). Zu diesem Zweck wird zunächst die gegenwärtige Situation im Baugewerbe dargestellt, wobei die Marktsegmente identifiziert werden, die gegenwärtig und zukünftig ein vergleichsweise dynamisches Wachstum versprechen. Darüber hinaus sollen die sich daraus ergebenden Ausstrahlungseffekte analysiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Nachfrageveränderungen nicht auf die unmittelbar betroffenen Sektoren - hier die Bauwirtschaft - beschränkt bleiben. Vielmehr strahlt eine Veränderung der Vorleistungsbezüge eines produzierenden Sektors - in diesem Fall die Nachfrage nach Baustoffen, Fertigteilen, Handels- und Transportdienstleistungen und unternehmensbezogenen Dienstleistungen - auf eine Vielzahl vorgelagerter Sektoren aus; die Unternehmen dieser Branchen der Grundstoff- und Investitionsgüterbereiche, aber auch zahlreiche Dienstleistungssektoren erfahren eine Veränderung des Umsatzes, der Produktion und der Beschäftigung (Vorleistungseffekt); wird durch die induzierte Veränderung von Produktion und Beschäftigung in allen angesprochenen Branchen das Einkommen der dort Erwerbstätigen tangiert; dies wiederum hat Konsequenzen für das Niveau und die Struktur des Privaten Verbrauchs. In diesem Zusammenhang werden auch Produktion und Beschäftigung der Konsumgüterbereiche und konsumnaher Dienstleistungen tangiert (Einkommenseffekt). Über die Vorleistungs- und Konsumeffekte hinaus hat eine Veränderung der Bauleistungen im Wohnungsbau Auswirkungen auf den Staatshaushalt, dadurch, dass der Staat einen Teil der in den Sektoren entstehenden Einkommen in Form von Steuern bzw. Sozialversicherungsbeiträgen und einen Teil des Konsums und der Investitionen über die Mehrwertsteuer beansprucht (induzierte Mehreinnahmen); bei sinkender Arbeitslosigkeit niedrigere Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung einplanen muss (induzierte Minderausgaben); zur Finanzierung des Wohnungsbaus beiträgt (programmbezogenen Mehrausgaben). Diesen staatlichen Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben sind gegebenenfalls die Mindereinnahmen in Folge von Steuervergünstigungen und Zinsverbilligungen für den privaten bzw. staatlichen Wohnungsbau gegenüber zu stellen (RWI 1996). Darüber hinaus sind weitere Effekte und Folgewirkungen möglich. So könnte die Nachfrage nach Vorleistungs- und Konsumgütern zu einer Belebung der Investitionstätigkeit beitragen, also zu einer steigenden Nachfrage nach Baumaschinen und zu einer Kapazitätserweiterung in der Baustoffindustrie, in den Konsumgütersektoren und beim Handel sowie den Dienstleistungen. Derartige Akzeleratoreffekte sind allerdings in der gegenwärtigen Konjunkturlage eher unwahrscheinlich und quantitativ kaum abschätzbar. Ähnliches gilt für potenzielle Rückwirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Preis- und Zinsniveau. Ferner könnte eine gestiegene Nachfrage nach Bauleistungen im Wohnungsbau die Konsumstruktur in Form einer Ausdehnung der baunahen Konsumausgaben der privaten Haushalte (z.B. Möbel, Einbauküchen, Raumausstattung, Heimtextilien) bei gleichzeitiger Reduktion der Ausgaben in anderen Konsumbereichen tangieren, wobei anzunehmen ist, dass sich das Konsumverhalten zwischen Bauherren, die Bauinvestitionen für die Eigennutzung getätigt haben, und Mietern, die in Neubauten einziehen, unterscheidet. Gründe für Differenzen im Konsumverhalten sind einerseits die unterschiedlichen Arten der Finanzierung, andererseits Unterschiede im Sparverhalten, womit gegebenenfalls auch eine Änderung der Sparquote verbunden wäre. Diese induzierten Konsumeffekte sind jedoch nicht eindeutig quantifizierbar und können allenfalls grob umrissen werden. Der exakten Quantifizierung zugänglich sind aus diesen Gründen nur die kurz- und mittelfristig einsetzenden, direkten und indirekten Produktions- und Beschäftigungseffekte einer gegebenen Veränderung der Baunachfrage; sie werden in dieser Studie anhand von Modellrechnungen ermittelt. Die Wirkungsrichtung und das Ausmaß der übrigen Effekte werden anhand von gesamtwirtschaftlichen Kenngrößen und aktuellen Konjunkturdaten abgeschätzt. Bei den vorliegenden Modellrechnungen handelt es sich um eine ex post-Analyse der Auswirkungen einer hypothetischen Nachfrageveränderung nach Bauleistungen auf direkt und indirekt abhängige Industrien in Deutschland. Zu diesem Zweck sind diejenigen Effekte abzuschätzen, die sich direkt aus den Käufen von Waren und Dienstleistungen des Baugewerbes bei anderen Wirtschaftsbereichen ergeben. Diese Nachfrage tangiert in verschiedenen Multiplikatorrunden die Vorleistungsnachfrage und die Wertschöpfung aller anderen Branchen. Sämtliche Effekte, die sich über die vorgelagerten Produktionsbereiche im Rahmen der Vorleistungsverflechtungen und aus der konsumtiven Verwendung der entstehenden Arbeits- und Kapitaleinkommen (direkte und indirekte Einkommenseffekte) ergeben, werden schließlich in Beschäftigungseffekte umgesetzt. Die ex post-Analyse unterstellt ferner, dass keine nennenswerten Kapazitätsengpässe in den beteiligten Sektoren bestehen, so dass die daraus möglicherweise resultierenden Preiswirkungen des Nachfrageimpulses zu vernachlässigen sind. Im zweiten Abschnitt wird die aktuelle Lage der Bauwirtschaft insgesamt dargestellt. Der dritte Abschnitt beschreibt Struktur und Entwicklung des Wohnungsbaus seit 1990, der vierte den Faktoreinsatz und die Vorleistungsstrukturen in der Bauwirtschaft. Im fünften Abschnitt werden die Nachfrage- und Beschäftigungseffekte einer hypothetischen Veränderung des Bauvolumens im Rahmen von Modellrechnungen quantifiziert, im sechsten Abschnitt die entsprechenden Auswirkungen auf den Staatshaushalt beschrieben. Eine Zusammenfassung ist im siebten Abschnitt zu finden. Die statistischen und methodischen Grundlagen werden im Anhang dargestellt.
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