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Germanistentag 2022, Panel: Von der Symboltheorie zum Symbolismus: Konzepte und Verfahren lyrischer Mehrdeutigkeit 1800-1914

Beginning
25.09.2021
End
28.09.2021
Abstract submission deadline
15.07.2021

27. Deutscher Germanistentag, Paderborn, 25.–28. September 2022

Panel im Themenbereich 1: Theoretische und methodische Zugänge

Organisation: Dr. Yashar Mohagheghi (RWTH Aachen) und Dr. Christine Waldschmidt (RWTH Aachen)

 

Stärker als alle anderen literarischen Gattungen wird Lyrik seit 1800 mit Mehrdeutigkeit verbunden. Insbesondere mit der modernen Lyrik, die in Deutschland durch die Rezeption des französischen Symbolismus bedingt ist (George, Hofmannsthal, Rilke), wird Mehrdeutigkeit zu einem irreduziblen Sprachmodus von Lyrik erklärt. Das Panel macht es sich zur Aufgabe, die in ‚symbolistischer‘ Lyrik so prominent auftretende Wertschätzung mehrdeutiger Sprache und Bildlichkeit zum einen auf die ihr zugeschriebenen ästhetischen und epistemischen Potentiale hin zu betrachten, zum anderen aber – in einer historischen Perspektive – die frühere Ausdifferenzierung von Mehrdeutigkeit als lyrische Qualität um 1800 in den Blick zu nehmen sowie jene Entwicklungen von Poetologie und Lyrik im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu verfolgen, in denen Mehrdeutigkeit zum beständigen Repertoire moderner lyrischer Ausdrucksweisen avanciert.

Die Romantik hat – freilich gattungsunabhängig – Mehrdeutigkeit als schöpferische Offenheit mit geschichtstheoretischen Implikaten verstanden und in ihr Annäherungen an eine nicht erfassbare Totalität der Welt thematisiert. In Bezug auf etwa Hölderlins Lyrik versteht die Forschung die Äquivozität der Mythologeme und Bilder als produktive Sinnpotenz eines genuin poetischen Sprechens. Mehrdeutigkeit fällt um 1800 dabei keineswegs immer mit Hermetik bzw. betont unverständlichen Redeweisen zusammen. So scheint neben den Entwürfen rätselhafter Metaphorik Mehrdeutigkeit bisweilen auf einer übergreifenden Ebene vorzuliegen: im Sinnangebot zwischen eindeutigem Klartext und mehrdeutigem Subtext. Diese Spannung thematisiert etwa Goethe, indem er einem Konzept von Lyrik als Klartext zugleich einen Lyrikbegriff der unauflösbaren Mehrdeutigkeit gegenüberstellt. In der symbolistischen und hermetischen Lyrik seit dem späten 19. Jahrhundert wird Mehrdeutigkeit in ihrer suggestiven Wirkung verhandelt: Durch Allusionstechniken wird der mimetische Bezug gesprengt, sodass Lyrik als selbstbezügliches Klang- und Wortgebilde kontingenter Sinndarbietung erscheint. Mehr- und Uneindeutigkeit reklamieren hier nicht zuletzt einen esoterisch-magischen Anspruch lyrischer Rede.

Das vorliegende Panel möchte die ästhetischen Konzepte und poetischen Verfahren der Mehrdeutigkeit in der Lyrik seit 1800, mit Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert, untersuchen. Im Zentrum soll zum einen der Beitrag mehrdeutigen Sprechens zur Produktion einer eigenen Emphase lyrischer Aussageweisen stehen. Zum anderen sollen die historischen und poetologischen Konstellationen in den Blick rücken, in denen sich die Lyrik des 19. Jahrhunderts von einer Bedeutungszuschreibung an Mehrdeutigkeit her bestimmt, welche erkenntnistheoretisch und ontologisch aufgeladen wird. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Verhältnis zwischen Mehrdeutigkeit und Eindeutigkeit sowie allen (bildlichen) Verfahren der Mehrdeutigkeit, die auf Auflösungen oder Verweigerungen diskursiver Inhalte basieren und diese mit einer Fülle an Bedeutungen, einer unhintergehbaren Zeichenhaftigkeit dichterischer Rede oder einer behaupteten Unmittelbarkeit von Bedeutung gleichsetzen.

Dabei stellt sich auch die Frage nach methodischen Zugängen zu lyrischer Mehrdeutigkeit. So tragen textgenetische Methoden dazu bei, die Verfahren von Mehrdeutigkeit im Produktionsprozess – etwa durch Verdichtung der Textvarianten (Hölderlin) oder durch eine allein an der Ausdruckssteigerung auf bildlicher und lautlicher Ebene orientierte Überarbeitung (Trakl) – zu rekonstruieren. Aber auch literaturtheoretische Zugänge können Aufschluss geben: Paul de Mans Theorem von der Disjunktion des Zeichens etwa lässt sich auf die ‚Diskunktion‘ zwischen eindeutigem Klartext und mehrdeutigem Subtext beziehen.

Folgende Fragen sollen im Mittelpunkt des Panels stehen:

  • Welche lyrischen Verfahren der Mehrdeutigkeitserzeugung gibt es und wie lassen sie sich methodisch beschreiben?
  • Welche Verhältnisse von Bedeutungsauflösung und Suggestion bedeutsamen Sprechens werden durch die Verfahren mehrdeutiger Lyrik erreicht und welche Inhalte werden diesen Suggestionen zugeschrieben?
  • Welche poetologischen und theoretischen Reflexionen erfährt die Mehrdeutigkeit im Gedicht und welche historischen Verschiebungen und Festlegungen ergeben sich in den Konzeptualisierungen von Mehrdeutigkeit im Laufe des 19. Jahrhunderts?
  • Mit welchen historischen (z.B. die Darstellung moderner Realität als undurchschaubares Feld komplexer Erfahrungsmassen infolge von Urbanisierung und gesellschaftlicher Ausdifferenzierung) oder literaturgeschichtlichen (z.B. Sprachkrise) Rahmenbedingungen sind diese Mehrdeutigkeitskonzepte verbunden?

Das Panel möchte diese Fragen nach einer kurzen Einführung der Organisator*innen in vier Vorträgen à 15 Minuten diskutieren. Beitragsvorschläge (etwa eine Seite) und eine akademische Kurzvita werden bis zum 15.07.2021 erbeten an: y.mohagheghi@germlit.rwth-aachen.de und c.waldschmidt@germlit.rwth-aachen.de

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Fields of research

Literary historiography, Literary theory, Poetics, Lyric poetry, Rhetorical figure (allegory, symbol, metaphor), Literature of the 19th century, Literature of the 20th century

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RWTH Aachen
Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft

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Paderborn
Germany
Date of publication: 18.06.2021
Last edited: 18.06.2021