Literaturen der Alpen – Littératures des Alpes – Letterature delle Alpi – Alpske književnosti
Call for Papers zur Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft: Literaturen der Alpen – Littératures des Alpes – Letterature delle Alpi – Alpske književnosti. 11. bis 13. September 2025
Dass die Alpen seit der Aufklärung als topographischer Kulminationspunkt Europas imaginiert werden, hat zwar historische Gründe, ist aber primär auf literarische Projektionen zurückzuführen, die bis heute allgegenwärtig sind. So verstehen wir beispielsweise den gegenwärtigen Kulturkampf um Unberührtheit von Wildnis und um Nostalgisierung angeblicher alpiner Traditionen erst auf dem Hintergrund spezifischer literarischer Gründungstexte wie z.B. Hallers Langgedicht Die Alpen, aber auch auf dem Hintergrund spezifischer dichterischer Verfahren, bei denen es zu einem symbiotischen Verhältnis zwischen Sprachvollzug und Landschaftsbeschreibung kommt (Hölderlin, Leopardi etc.). Bereits Romantik und Realismus schreiben sich in der Folge in eine sprachlich-diskursive Pfadabhängigkeit alpiner Literarisierung ein.
Im ganzen Alpenbogen von Nizza bis Maribor begegnen sich zum einen die drei indogermanischen Sprachgruppen des Romanischen, Germanischen und Slawischen und ausgeprägte sprachzentrierte Nationalkulturen wie die die französische, italienische und deutsche, zum anderen zahlreiche Idiome in hoher Dichte und im Spannungsbereich zwischen Sprachen und Dialekten und kleine Literaturen wie diejenige des Slowenischen, Rätoromanischen, Ladinischen, Wendischen, Frankoprovenzalischen etc. Gleichzeitig zeichnen sich die beiden Alpennationen par excellence, die Schweiz und Österreich, durch ihren diametral verschiedenen Umgang mit dem Gebirge aus: einerseits durch Identifikation in Form der Geistigen Landesverteidigung, andererseits durch Verdrängung auf dem Hintergrund des Gebirgskriegs gegen Italien.
Trotz der sprachlich-kulturellen Vielfalt und trotz dem Aufeinandertreffen verschiedener literarischer Traditionen lässt sich das thematische Spektrum topographiebedingt in vier Schwerpunkten erfassen:
- 1. Dank räumlicher Kleinteiligkeit und räumlicher Nähe fast aller Klimazonen von polar bis subtropisch ist der primäre Sektor von Jagd, Land- und Forstwirtschaft in den Literaturen der Alpen vorherrschend, wobei die Varianz von einer verschärften Idyllisierung bis zur absoluten Prekarisierung in Natur- und Arbeitserfahrungen reicht.
- 2. Die literarisch-diskursive Überhöhung der Alpen resultiert in einer Exotisierung der alpinen Landschaft, welche den kolonialistischen Zugriff der Frontiers in der Westeroberung Nordamerikas auf das europäische Gebirge überträgt und entweder in Kombination mit dem aufkommenden Fremdenverkehr aus England touristisch kommerzialisiert wird oder in einen bellizistischen Alpinismus mündet.
- 3. Militarisierung und Transitachsen, Energieerzeugung und Vergandung prägen die Landschaft der Moderne zusätzlich, legen beredtes Zeugnis menschlicher Einschreibung ab und hinterlassen einen Palimpsest einer dichten Abfolge von Struktur- und Kulturwandel.
- 4. Spätestens mit der massiven Gletscherschmelze und Destabilisierung durch auftauenden Permafrost und Extremwetterereignisse sind die Alpen auch Menetekel der Überschreitung planetarer Grenzen im Anthropozän.
Die geplanten Beiträge zur Tagung der Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und des Urner Instituts Kulturen der Alpen vom 11. bis 13. September 2025 folgen dem methodischen Grundprinzip der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft und leisten jeweils einen doppelten Vergleich aus einer allgemeinen Perspektive sowohl zwischen Sprachkulturen als auch zwischen thematischen Schwerpunkten. Sie fokussieren nicht nur auf ein Thema in einem bestimmten Idiom, sondern beispielsweise auf den kulturellen Zusammenprall zwischen Alpwirtschaft und Tourismus im Vergleich zwischen frankoprovenzalischer, italienischer und französischer Literatur oder auf die Wasserkrafthymnik im Zuge der Grossen Beschleunigung nach dem Zweiten Weltkrieg in Kontrast zur akuten Solastalgie angesichts der Aufgabe und des Verlusts der Lebensgrundlage in unserer Gegenwart in der französisch- und deutschsprachigen Schweiz. Viele Themenvorschläge hierzu sind willkommen.
Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und das Urner Institut Kulturen der Alpen übernehmen die Kosten für Reise (per Zug) und Aufenthalt in Altdorf. Dauer der Vorträge: 40 Minuten. Im Anschluss an die Tagung sollen die Beiträge in der Zeitschrift der Gesellschaft, dem Colloquium Helveticum, publiziert werden.
Vorschläge für Vorträge (Titel, kurzer Beschrieb des Themas) können in deutscher, französischer, englischer oder italienischer Sprache bis zum 13. April an die Organisator*innen der Tagung Boris Previšić, Veronika Studer Kovacs und Jonas Frick (jonas.frick@unilu.ch) eingereicht werden. Wir ermutigen insbesondere auch Nachwuchsforscher*innen Vorschläge einzureichen.
+++ Wir weisen zudem auf die Möglichkeiten für angehende oder fortgeschrittene Doktorand*innen hin, ihr auf irgendeine Weise mit „Literaturen der Alpen“ zusammenhängendes Projekt am Mittwochnachmittag und Donnerstagmorgen (10 & 11. September) an kurzen Nachwuchskolloquien zu präsentieren, die vom Institut Kulturen der Alpen vor der Tagung organisiert werden. Teilnehmende dieser Nachwuchskolloquien sind auch herzlich an der Tagung selbst eingeladen.