CfP/CfA events

Schreiben als Un-Ordnen in der Literatur ab dem 20. Jahrhundert

Beginning
08.10.2025
End
10.10.2025
Abstract submission deadline
30.04.2025

Nachwuchstagung 8.-10. Oktober 2025 an der Humboldt-Universität zu Berlin

Organisation: Leonie Bartel, Margarethe von Campe

Keynote am 8.10.: Achim Geisenhanslüke (Frankfurt am Main)

Wer literarisch oder theoretisch schreibt, schafft Ordnung. Literarische Ordnung, wie auch ihr Pendant Unordnung, verstehen wir insofern als Prozess, als Set von Verfahren, und sprechen daher eher vom (Un-)Ordnen als von (Un-)Ordnung. Dabei verrät dieses Ordnen zugleich, dass es eigentlich nicht selbstverständlich ist. Was geordnet wird, ist bisher entweder zu wenig, gar nicht oder falsch geordnet. Hinter, unter, vor, nach, in textuellen Ordnungsverfahren stecken also immer auch Unordnungen. Unordnung bzw. Un-Ordnen ist für uns daher nicht das radikal Gegenteilige von Ordnung, wie es etwa die Chaosbeschreibungen verschiedener Schöpfungsmythen charakterisieren (Hesiod, Ovid), sondern untrennbar mit dem Ordnen verbunden. Ordnen und Un-Ordnen können jederzeit ineinander umschlagen. Lässt sich literarisches Schreiben also nicht nur als Ordnen, sondern auch als Un-Ordnen verstehen? Diese Dialektik von Schreiben als Un-Ordnen wollen wir in unserer Nachwuchstagung untersuchen.

Ausgehend von verschiedenen Umwälzungen in der klassischen Moderne interessieren uns textuelle Verfahren des Un-Ordnens in der Literatur ab dem 20. Jahrhundert. In der Moderne werden Macht- und Ordnungsstrukturen mobil, flüchtig und ständig veränderlich; die Sprachphilosophie bringt den linguistic turn, der sprachliche Zeichen nicht mehr als Abbilder außersprachlicher Realität begreift, sondern als Ordnungssystem von arbiträren und relational funktionierenden Referenzen. Die Prozessualität und Relationalität von Ordnung und Unordnung ist für uns insofern spezifisch modern. Seitdem hat sich Literatur zu einem Ort entwickelt, an dem instabil gewordene Ordnungen problematisiert und reflektiert werden.

Unordnung und Prozesse des Un-Ordnens wurden bisher in den Sozialwissenschaften (Bröckling et al. 2015) und der Philosophie (Lavagno 2012)  theoretisiert und methodologisch erschlossen. Die Literatur- und die Kulturwissenschaft hat sich auf spezifische Figuren, Störfälle in Wissensordnungen, die poetische Gestaltung sozialer Ordnung(sprobleme) und Exzesse als Überschreitung von Ordnungsgrenzen konzentriert (Geisenhanslüke/Mein 2009, Bähr et al. 2009, Bäumler/Bühler/Rieger 2011). Diesen Arbeiten wollen wir eine weitere literaturwissenschaftliche Perspektive hinzufügen, die nach den konkreten textuellen Verfahren des Un-Ordnens fragt.

Unser Fokus liegt auf den Schreibverfahren, der Materialität und Medialität des Un-Ordnens. Wie werden Überschreitungen von Ordnung, die Übergänge von geordnet in ungeordnet und andersrum, das Wuchern von Text über Ordnungsgrenzen hinaus inszeniert? Wo und wie erzeugen Texte Störungen, Rauschen beim Ordnen und wie gehen sie mit diesen um? Welche agency und Eigenlogiken entfalten sich beim Un-Ordnen? Inwiefern betreffen Probleme des Un-Ordnens nicht nur Form und Inhalt eines Textes, sondern auch die Textentstehung selbst, den Weg vom Entwurf zum Werk?

Mögliche Beitragsthemen können sich an den folgenden Kategorien orientieren, um Verfahren des Un-Ordnens in der Literatur ab dem 20. Jahrhundert zu untersuchen:

Figuren & Ereignisse: Welche Figuren treten als Agenten des textuellen Un-Ordnens auf? Was machen Narren, Wahnsinnige und andere Randständige mit literarischen Ordnungen? Inszenieren Texte bestimmte Ereignisse als Kippmomente von Ordnung in Unordnung?

Zeitlichkeit: Wie treten die Übergänge von Ordnung in Unordnung und andersherum literarisch in Erscheinung? Werden Ordnen und Un-Ordnen mit spezifischen Temporalitäten verbunden, z.B. mit bestimmten Zeiteinheiten, Beschleunigung oder Verlangsamung, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft?

Räume und Orte: Gibt es besondere Schauplätze und Raumkonfigurationen, die literarische Un-Ordnungsverfahren auslösen oder begünstigen?

Textformate: Wie liegt gerade im formalen Ordnungsgerüst eines Textes Potenzial zum Un-Ordnen? Wie nutzt und sprengt Literatur Paratexte, Textgattungen, Seitenformate, etc., um die Aporie von Schreiben als Un-Ordnen auszuloten?

Textentstehung: Wo scheitern Textentwürfe auf dem Weg zum geordneten Werk? Wie entfalten Vorstufen, Überarbeitungen, gesammeltes Material eine Eigenlogik, die jeder Ordnung zum fertigen Text widerstrebt?

   

Wir bitten Nachwuchswissenschaftler:innen (MA-Studierende, Doktorand:innen, vor Kurzem Promovierte) um die Einsendung von Abstracts (max. 500 Wörter) und einer Kurzbiografie bis zum 30.04.2025 an tagung.unordnung.2025@hu-berlin.de. Die Tagung findet am 8.-10. Oktober 2025 an der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Reise- und Übernachtungskosten werden für die Vortragenden übernommen. Die Tagungssprache ist Deutsch.

   

Einführende Bibliographie

Bähr, Christine/Bauschmid, Suse/Lenz, Thomas/Ruf, Oliver (Hg.): Überfluss und Überschreitung. Die kulturelle Praxis des Verausgabens, Bielefeld 2009.

Bäumler, Thomas/Bühler, Benjamin/Rieger, Stefan (Hg.): Nicht Fisch – Nicht Fleisch. Ordnungssysteme und ihre Störfälle, Zürich 2011.

Bröckling, Ulrich/Dries, Christian/Leanza, Matthias/Schlechtriemen, Tobias (Hg.): Das Andere der Ordnung. Theorien des Exzeptionellen, Weilerswist 2015.

Foucault, Michel: Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 2019.

Geisenhanslüke, Achim/Mein, Georg (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen, Bielefeld 2009.

Gloor, Lukas : „Prekäres Erzählen und das Ordnungsproblem der Moderne. Einleitung“, in: ders./ Lucas Marco Gisi/Annie Pfeifer/Reto Sorg (Hg.): Prekäres Erzählen. Narrative Ordnungen bei Robert Walser, Franz Kafka und Theodor Fontane, Paderborn 2020, 1-37.

Knapp, Fritz Peter : „Ordo artificialis/Ordo naturalis“, in: Georg Braungart et al. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin/Boston 2007, 766–768.

Kuhn, Helmut/Wiedmann, Franz (Hg.): Das Problem der Ordnung, Meisenheim am Glan 1962.

Lavagno, Christian: Jenseits der Ordnung. Versuch einer philosophischen Ataxiologie, Bielefeld 2012.

Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Wiesbaden 1996.

Ludwig, Mark: „Geordnete Unordnung. Das Sammelsurium als Schreibverfahren der Jahrtausendwende“, in: Evi Zemanek/Susanne Krones (Hg.): Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000, Bielefeld 2008, 257-266.

Meinhardt, Helmut  et al.: „Ordnung“, in: Joachim Ritter, Karlfried Gründer, und Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel  2017, 1249–1309.

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Fields of research

Literature of the 20th century, Literature of the 21st century

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Humboldt-Universität Berlin
Institut für deutsche Literatur
Submitted by: Margarethe von Campe
Date of publication: 07.02.2025
Last edited: 10.02.2025