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Mensch, Maschine, Klimawandel. Das Technozän in literarischen Medien und ihrer Didaktik

Abstract submission deadline
01.03.2025

Themenband: Mensch, Maschine, Klimawandel. Das Technozän in literarischen Medien und ihrer Didaktik

Reihe „Literatur – Medien – Didaktik“, Frank & Timme

Herausgeber:innen: Lucas Alt, Sarah Thiery

In ihrem Engagement gegen den Klimawandel zeigen besonders junge Menschen (z. B. bei Fridays For Future) eine erhöhte Aufmerksamkeit für globale Probleme, die sich aktuell als multiple Krisen manifestieren. Dies verwundert kaum, werden klimabedingte Extremwetterereignisse und ihre teils katastrophalen Folgen doch einerseits auf lokaler Ebene mehr und mehr direkt erfahrbar, während andererseits eine starke Diskursivierung globaler Klimawandelphänomene, u.a. in digitalen Medien, für einen hohen Lebensweltbezug im persönlichen Nahbereich sorgt.

Dass die ökologische Krise als politisch-gesellschaftliches Problem anzusehen ist, zeigt sich nicht nur an der existentiellen Betroffenheit von Jugendlichen; ein wachsendes Problembewusstsein drückt sich zunehmend auch in politischen Debatten und Entscheidungen globaler und nationaler Akteure aus. Mit Blick auf Schul- und Bildungspolitik erweisen sich vor allem Implementierungsversuche der Programmatik „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) der Vereinten Nationen als richtungsweisend, in Deutschland etwa mit dem „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“. Wie nachhaltige Entwicklung konkret zu denken ist, was also Erderwärmung, Extremwetter, Artensterben und Hungersnöten tatsächlich entgegengesetzt werden kann, bleibt indes vielfach unbestimmt.

Eine grundlegende Kontroverse erwächst allerdings aus der Frage, welche Rolle Technologie für den Umgang mit den genannten Herausforderungen spielen soll. Zu beobachten ist einerseits, dass immer wieder technologische Innovationen zur Bekämpfung des Klimawandels (z. B. im Bereich Geo-Engineering, Bio- und Gentechnik oder digitaler Technologie) ins Feld geführt werden.

Diesem technologischen Solutionismus stehen andererseits empirische Befunde gegenüber, die zeigen, dass optimierte Technologie bislang kaum ökologischen Nutzen realisiert. Im Gegenteil steigen Energie- und Ressourcenverbauch mit zunehmender Technologisierung drastisch an. Seit der Industriellen Revolution hat der technische Fortschritt nicht nur die Technisierung des Alltags vorangetrieben, sondern auch in erheblichem Maße zu Erderwärmung und Abfallproduktion beigetragen. Forschende wie Hermínio Martins fordern daher, das aktuelle Erdzeitalter, in Anlehnung an den Begriff des Anthropozäns, vor allem als „Technozän“, als Zeitalter des technologisierten Menschen, zu bezeichnen. Technologie dürfe nicht zwangsläufig als Lösung, sondern müsse vielmehr als Faktor ökologischer Krisen begriffen werden und in besonderer Weise sei ein verantwortungsvoller Umgang zu reflektieren.

Deutlich wird, dass Antworten auf die Frage nach Einsatz und Entwicklung von Technologie zur Bearbeitung ökologischer Krisen alles andere als eindeutig strukturiert sind. Gerade aus der Perspektive einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft erscheint es vielversprechend, Technologie- und Klimadiskurse stärker aufeinander zu beziehen und sich mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine, Technologie und Klimakrise in literarischen Medien auseinanderzusetzen.

Exemplare der Climate Fiction wie der Roman Das Ministerium für die Zukunft (2021) von Kim Stanley Robinson oder die Serie Extrapolations (2023) von Scott Z. Burns verhandeln den Diskurs um Technologie und Klimawandel prominent vor dem Hintergrund einer postapokalyptischen Normalität, während Texte wie Pantopia (2022) von Theresa Hannig oder Hologrammatica (2018) von Tom Hillenbrand sowie die Comic-Serie Message (2019) von Christin Wendt die Abwendung von Kipppunkten durch autoritäre KI reflektieren. In Zara Zerbes Phytopia Plus (2024) wird wiederum eine (dystopische) Zukunftswelt entworfen, in der gentechnische Entwicklungen mit dem alten Traum von Untersterblichkeit eine Überwindung von Ressourcenknappheit und Klimakrise in Aussicht stellen. Computerspiele wie Anno 2070 (2011) oder Frostpunk (2018) operieren mit postapokalyptischen Welten, in denen der Klimawandel bereits weit fortgeschritten ist. Ähnlich wie in Terra Nil (2023) werden hier Technologisierung und Bewirtschaftung lebensfeindlicher Umgebungen zum zentralen Spielinhalt. Auch am Theater finden sich zahlreiche Inszenierungen zum Thema, beispielhaft sei hier auf Grand ReporTERRE #4: DEADLINE des Citizen.KANE.Kollektivs oder Fracking for Future von Alistair Beaton verwiesen. Darüber hinaus beschäftigen sich zeitgenössische Lyriker*innen wie etwa Daniel Falb im Band Orchidee und Technofossil (2019) mit dem Zusammenhang von „ubiquitäre[r] Hypervernetzung“6 und Ressourcenverbrauch.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Texten wie diesen können nicht nur literaturgeschichtliche Aspekte (etwa zur Motivtradition dieses Verhältnisses), gattungsspezifische Blickpunkte (etwa hinsichtlich der Positionierung zwischen Utopie und Dystopie) oder auch besondere Darstellungsweisen (etwa die Zurückdrängung anthropozentrischer Perspektiven) ins Sichtfeld geraten.

Als Möglichkeit künftige Welten zu imaginieren und aktuelle Zustände zu problematisieren, bietet Literatur als Reflexionsmedium auch zahlreiche Ansatzpunkte für eine kritische Auseinandersetzung mit Narrativen ‚guten Lebens‘ – und birgt darin ein großes didaktisches Potenzial für den Literaturunterricht. Literarische Texte sollen dabei allerdings nicht als „Container für ‚Informationen‘“7 missverstanden werden, die zur bloßen Wissensvermittlung dienen.8 Zentral erscheint vielmehr die Möglichkeit, Weltwissen zu prozessieren und in Fiktionen in Anwendung zu bringen. Nicht zuletzt in der kritischen Reflexion der Medialität selbst liegt ein bedeutendes Potenzial literarischen Lernens im themenorientierten Literaturunterricht. Stets erscheinen literarische Medien als Orientierungspunkte, die Überzeugungskraft entwickeln und Haltungen evozieren können. Wie dies fiktionalen Texten (nicht) gelingt, auf welche Weise welcher ästhetische Aufwand betrieben wird, um welche Positionsnahmen zu erwirken, erweist sich gerade im Umgang mit derart politisierten Fragestellungen wie sie der Themenbereich Klimawandel und Technologie bereithält, als besonders bedeutsam.

Mit unserem Sammelband möchten wir ausloten, wie literarische Medien für eine BNE eingesetzt werden können. Dabei gehen wir davon aus, dass die Potenziale des Literaturunterrichts für Bildungsprozesse dieser Art nur ausgeschöpft werden können, wenn auch ästhetische Strategien literarischer Medien intensiv mitreflektiert werden.

  1. Technik-Mensch-Verhältnis: In welchem (Macht-)Verhältnis stehen Mensch und Maschine im Rahmen (aktueller wie historischer) literarischer Medien zueinander? Welche Lebensbedingungen und Folgen sind damit verknüpft (z. B. im Hinblick auf Alltag, Arbeitswelt, Energie- und Ressourcenverbrauch, Müll und Umweltverschmutzung etc.) und aus welcher Perspektive werden diese vermittelt: Werden technologische Akteur*innen beispielsweise mit Handlungsmacht (agency) entworfen und anthropozentrische Perspektiven unterlaufen?

  2. Genres und ästhetische Strategien: In welchen Genres scheint das Mensch-Technik-Verhältnis insbesondere Konjunktur zu haben und im Hinblick auf ökologische Fragestellungen reflektiert zu werden? Werden bestimmte Motive oder Narrative ‚guten Lebens‘ aufgerufen und lassen sich spezifische (fortschrittskritische oder -optimistische) Bedrohungs- oder Ermächtigungsphantasien erkennen?

  3. Didaktische Überlegungen und Praxisbeispiele: Welche Texte, Materialien und Methoden eignen sich besonders für den Literaturunterricht, um im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung beispielsweise den Begriff ‚Technozän‘ zu reflektieren oder Schüler*innen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Technologien, Medien und Ressourcen zu sensibilisieren?


Beitragsvorschläge können in Form eines Abstracts (max. 300 Wörter, inkl. kurzer biographischer Notiz: Name, E-Mail, Institution und ggf. 1-2 aktuelle Publikationen) bis einschl. 1. März 2025 an alt@uni-trier.de und thiery@uni-trier.de eingereicht werden.
 

Informationen zum geplanten Ablauf:

Die angenommenen Beiträge werden voraussichtlich im Frühjahr 2026 in einem Themenband der Reihe „Literatur – Medien – Didaktik“ unter dem Titel „Mensch, Maschine, Klimawandel. Das Technozän in literarischen Medien und ihrer Didaktik“ erscheinen. Die Reihe wird von Prof. Dr. Sebastian Bernhard (Münster) bei Frank & Timme herausgegeben. Die fertigen Manuskripte (Umfang max. 40.000 Zeichen, inkl. Leerzeichen, Tabellen, Abbildungen) sind bis spätestens 15. August 2025 einzureichen. Das Stylesheet lassen wir Ihnen frühzeitig zukommen.

Literatur

Abraham, Ulf (2021): Wozu gibt es Literaturunterricht? Implizite Normen und explizite Leistungserwartungen im aktuellen literaturdidaktischen Diskurs. In: Brenz, Lydia/Pflugmacher, Thorsten (Hg.): Normativität und Literarisches Verstehen. Interdisziplinäre Perspektiven auf Literaturvermittlung. Berlin: Peter Lang, S. 85–97.

Abraham, Ulf/Launer, Christoph (2002): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Weltwissen erlesen: literarisches Lernen im fächerverbindenden Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 1–4.

Beck, Birgit/Liggieri, Kevin (2022): Anthropophile Technik. In: Dritte Natur 5/1, S. 163–176.

Benthien, Claudia (2024): Über ‚Technofossilien‘: Digitalisierung in der Buchlyrik. In: geschichtedergegenwart.ch URL: https://geschichtedergegenwart.ch/ueber-technofossilien-digitalisierung-in-der-buchlyrik/ (letzter Zugriff: 18. November 2024).

BUND (hg.) (2024): Digital Die Welt retten. Handbuch für eine ökologische, digitale & gerechte Zukunft. In: bund.de URL: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/ressourcen_und_technik/handbuch-digitalpolitik-digitalisierung-postwachstum-suffizienz-bund-2024.pdf> (letzter Zugriff: 18. November 2024).

KMK (hg.) (2023): Bildung Für Nachhaltige Entwicklung – Informationen der Länder (Beschluss der KMK vom 09.02.2023). In: kmk.org. URL: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Bildung/AllgBildung/2023-02-17_BNE-Info-Laender.pdf> (letzter Zugriff: 18. November 2024).

KMK (hg.) (2015): Orientierungsrahmen Globale Entwicklung. In: kmk.org. URL: <https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_00-Orientierungsrahmen-Globale-Entwicklung.pdf> (letzter Zugriff: 18. November 2024).

López-Corona, Oliver/Magallanes-Guijón, Gustavo (2020): It Is Not an Anthropocene; It Is Really the Technocene: Names Matter in Decision Making Under Planetary Crisis. In: Frontiers in Ecology and Evolution, 8 URL: https://www.frontiersin.org/journals/ecology-and-evolution/articles/10.3389/fevo.2020.00214 (letzter Zugriff: 18. November 2024).

Martins, Hermínio (2018): The Technocene: Reflections on Bodies, Minds and Markets. London: Anthem Press.

Schlaudt, Oliver (2022): Das Technozän: eine Einführung in die evolutionäre Technikphilosophie. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann (Klostermann Rote Reihe, 149).

6 Benthien (2024).

7 Abraham/Launer (2002): S. 2.

8 Vgl. Abraham (2021); Abraham/Launer (2002).

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Dr. Lucas Alt (alt@uni-trier.de)

Sarah Thiery M.Ed. (thiery@uni-trier.de)

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Fields of research

Didactics of Literature, Ecocriticism, Literature and social and cultural anthropology, Literary genre, Aesthetics

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Date of publication: 17.01.2025
Last edited: 17.01.2025