Empathie im Theater - Theater der Empathie (Lodz, Polen)
Das Theater ist ein besonderes Medium der Empathie, die als Fähigkeit und Bereitschaft gilt, Gefühle, Emotionen und Persönlichkeitseigenschaften eines anderen Menschen zu erkennen und zu verstehen. Das Schauspielen – das in Europa traditionell auf der Grundlage eines dramatischen Textes basiert – besteht schließlich darin, sich in eine fremde Figur einzufühlen. Häufig wird das Publikum mit der komplizierten, oft aus der Andersartigkeit resultierenden Situation und Erfahrungen der Figur konfrontiert, was zum Verstehen und Nachempfinden führen kann, oft auch eine Akzeptanz und sogar Identifikation generieren kann. Diese Konstellation verweist bereits auf die Ambivalenzen, die die Empathie neben ihrer hohen Vorschussplausibilität als positiv konnotiertem Gefühl, zugleich aufweist: So ist von Interesse, wo die Grenzen der Empathie liegen und wie sie sich verschieben lassen. Fragen, die somit thematisch werden, sind somit (I): Braucht es nicht einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Anderen, um empathisch sein zu können? Können unsere Einstellungen vielleicht gerade durch das Theater bzw. seine Figuren verändert werden, indem diese uns zunächst Fremdes nahbar werden lassen? In diesem Sinne wäre Theater geradezu als künstlerisches Training politischen Agierens zu verstehen. Infolge dessen: Wo ist Empathie vielleicht moralisch auch nicht mehr vertretbar? Wie weit darf dramatische Kunst dann gehen, um uns auch ethisch höchst fragwürdige Figuren verständlich zu machen?
Die durch das Theater erzeugte Empathie wird so zu einem Indikator, der das Publikum zur Reflexion über eine Vielzahl sozialer und existenzieller Themen zwingt und gleichzeitig das Verständnis für unterschiedliche Haltungen und Erfahrungen fördert. Daran anschließend lässt sich nach dem grundlegenden Zweck der Empathie fragen (II): Warum sollen wir überhaupt empathisch sein? Sind wir empathische Wesen in einem anthropologischen Sinne, deren Züge durch die (Theater-)Kunst enthemmt werden sollten? Oder ist die Kunst, vielleicht gerade die Theaterliteratur eine Stifterin von Empathie, die wir von uns nicht in uns tragen? Welche Wechselwirkungen treten zwischen beiden Möglichkeiten auf und welche Narrative und Infrastrukturen lassen Empathie zu (kann etwa eine kapitalistische Gesellschaft empathische Züge tragen)?
In der gesamten Geschichte des Theaters und des Dramas wurde Empathie immer wieder benutzt, um das Publikum für die Probleme von marginalisierten oder benachteiligten Gruppen zu sensibilisieren, Botschaften über die Notwendigkeit sozialer Veränderungen zu verkünden und um zum Engagement zu bewegen. In vielen Dramen wird der Mechanismus der Empathie bewusst eingesetzt, um durch kritische Reflexion der dargestellten Realität letztlich eine affektive Reaktion hervorzurufen. Auch hier wäre zu vertiefen, inwiefern sich Aufmerksamkeit, Sensibilität und Empathie voneinander unterscheiden (III): Handelt es sich tatsächlich um Emotionen, die das Theater hervorruft oder handelt es sich um Einstellungen, die interventionistisch eingeübt werden sollen? Wie verhalten sich dabei Form und Inhalt zueinander? Entsteht die Stärkung von Empathie durch empathisches Theater oder ist diese Allianz weniger selbstverständlich, als man zunächst vermuten könnte?
- Zweck und Wirkungsmechanismen von Empathie in den theatral-dramatischen Künsten
- Möglichkeiten und Grenzen der Empathie im Theater(-text)
- Empathie als Möglichkeit des Theaters, Offenheit gegenüber marginalisierten und diskriminierten Gruppen zu entwickeln
- Zusammenspiel und Widerstände der Theaterkünste mit gesellschaftlichen Narrativen und kollektiven Denkfiguren
Das Symposium soll Raum für den Austausch von Ideen und Analysen sowie für die Präsentation neuer Lesarten und Interpretationen von Empathie als Schlüsselelement (nicht nur) des zeitgenössischen Theaters und Dramas bieten. Die Hauptsprachen der Konferenz in drei getrennten Sektionen werden Französisch, Deutsch und Polnisch sein, wobei Englisch als zeitgenössische Lingua franca durchaus willkommen ist.
Die internationale Konferenz findet vom 23. bis zum 25.10.2025 an der Philologischen Fakultät der Universität Lodz statt. Wir planen eine Tagungsgebühr in Höhe von 150 Euro (inklusive Unterkunft im Universitätshotel, Mittagessen, Kaffeepausen, einem Empfang und Kulturprogramm). Einen Themenvorschlag mit einem kurzen Exposé und einer Kurzbiografie erwarten wir bis zum 20. Juni 2025 an: empathie@uni.lodz.pl
Prof. Dr. Tomasz Kaczmarek (Institut für Romanistik)
Prof. Dr. Artur Pełka (Institut für Germanistik)
Prof. Dr. Karolina Prykowska-Michalak (Lehrstuhl für Drama und Theater)
Die deutsche Sektion in Kooperation mit der FU Berlin (Dr. Hannah von Sass: Netzwerk „Untersuchungen zur Gegenwartsdramatik“) sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Andreas Englhart).
Literatur:
Bak, P. M., Zu Gast in Deiner Wirklichkeit: Empathie als Schlüssel gelungener Kommunikation, Springer 2015.
Breithaupt, F., Kulturen der Empathie, Suhrkamp, 2009.
Breyer, T. (ed.): Grenzen der Empathie: Philosophische, psychologische und anthropologische Perspektiven, Fink 2013.
Breyer, T., Verkörperte Intersubjektivität und Empathie, Klostermann 2015.
Hochmann, J., Une histoire de l’empathie, Odile Jacob, 2012.
Hrdy, S. B., Comment nous sommes devenus humains. Les origines de l’empathie, L’instant présent, 2016.
Lanzoni, S., Empathy: A History, Yale University 2018.
Łebkowska, A., Empatia. O literackich narracjach przełomu XX i XXI wieku, Universitas, 2009.
Tisseron, S., L’empathie, Que sais-je / Humenis, 2024.
Schmetkamp, S., Theorien der Empathie zur Einführung, Junius 2024.
Waal, F. de, The Age of Empathy: Nature's Lessons for a Kinder Society, Crown Publishing Group 2009.
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