Objekte & Organismen. Verlebendigung, Verdinglichung, Verwandlung
Ludwig-Maximilians-Universität München; Museum Mensch und Natur, 12. - 13.07.2019
In dem immer komplexer werdenden Feld der Material Culture Studies ist es mittlerweile selbstverständlich, das anthropozentrische Verständnis von Handlungsmacht und Weltermächtigung mit Blick auf die Objekte neu zu fassen. Dabei bilden die ‚Welt des Lebendigen‘ und die ‚Welt des Materiellen‘ erst seit der Neuzeit zwei gegensätzliche Kategorien der westlichen Ontologie. Die Vorstellung, dass Objekte handlungsfähig sind und Intentionalität besitzen, existierte bereits in der Vormoderne und wird heute unter dem Schlagwort ‚agency‘ wieder verstärkt diskutiert. Gerade im Zeitalter des ‚Internet of Things‘, selbstlernender KI und digitaler Assistenten scheinen die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt ihre Gültigkeit zu verlieren. So werden materielle Produkte mit ‚Persönlichkeit‘ ausgestattet und individualisiert, während im gegenwärtigen kapitalistischen System Personen und soziale Bindungen eine Verdinglichung erfahren.
Inzwischen ist dieser anthropomorphisierende Blick auf Objekte in verschiedenen Disziplinen zu einem Forschungsparadigma aufgestiegen, das wir im Rahmen einer interdisziplinären Tagung untersuchen möchten. Um zwei Blickrichtungen auf das Verhältnis von Objekten und Organismen einzunehmen, wird sich die Tagung in zeitübergreifender Perspektive zum einen mit Objekten befassen, die in bestimmten Situationen oder durch bestimmte Eigenschaften als Imitationen lebendiger Organismen gelten können (‚Verlebendigung‘). Solche Objekte ähneln Menschen (anthropomorph), Tieren (zoomorph) oder Pflanzen (phytomorph), wodurch ihr lebloser, künstlicher Status zurückgedrängt wird. Nicht nur in der Wirklichkeit, sondern auch in der Literatur und den bildenden Künsten gibt es solche Objekte, deren Gestalt, Funktion, Herstellungsprozess oder Materialität als organisch dargestellt bzw. beschrieben werden. Zum anderen sollen aber auch Organismen in den Blick genommen werden, die durch bestimmte Prozesse und Strategien wiederum einen Objektstatus erlangen oder einen solchen zugeschrieben bekommen (‚Verdinglichung‘). Sie sollen als produktives Negativ dienen, um das Verhältnis zwischen Objekt und Organismus neu zu bedenken.
PROGRAMM
FREITAG, 12. Juli
Museum Mensch und Natur (Schloss Nymphenburg)
13h00
Apéro
13h30
Begrüßung
Ella Beaucamp, Romana Kaske & Thomas Moser
Sektion 1 - Verlebendigungsstrategien
Moderation: Ruth Bielfeldt
Heike Schlie (Salzburg)
Life Size – Live Matters: Strategien der Verlebendigung von Kunstwerken um 1500
Joana Mylek (München)
„Dass es nur Kunst war, verdeckte die Kunst“: Die Porzellanblüten der Manufacture de Vincennes
Thomas Moser (Hamburg/München)
Das Leben der Lampen: Mucha, Nancy und der galvanische élan vital
15h30
Kaffeepause
16h00
Sektion 2 - Artifizielle Menschlichkeit
Moderation: Franz Hefele
Artemis Yagou (München)
Playful Control: The Example of Anthropomorphic Toy Robots
Marlen Bidwell-Steiner (Wien)
Prekäre Männlichkeit im Puppenheim: Beispiele aus dem spanischsprachigen Film
Joanna Nowotny (Zürich)
Repetition oder Revolution? Cyborgs und Androiden als Grenzfiguren im Superheldencomic der Gegenwart
17h45
Kaffeepause
18h15
Abendvortrag
Kevin Liggieri (Zürich)
Wie viel ‚Mensch‘ steckt in der Technik? Eine konkrete technikanthropologische Untersuchung
20h00
Conference dinner
SAMSTAG, 13. Juli
Institut für Kunstgeschichte, LMU (Zentnerstraße 31, Raum 007)
09h00
Sektion 3 - Verdinglichungsstrategien
Moderation: Joanna Olchawa (Frankfurt am Main)
Anne-Katrin Federow (Dresden)
Körper-Spiel und Körper-Kunst: Objektivierung und Allozentrismus in deutschsprachigen Mären
Ella Beaucamp (Venedig/München)
Organismen des Meeres, Objekte des Handels. Korallenkunst im Spätmittelalter
John White (Amherst, USA)
Collecting ‚Sea Sculpture‘: Porcelain, Shipwreck, and Vibrant Matter
10h45
Kaffeepause
11h15
Sektion 4 - Organische Objekte des Wissens?
Moderation: Inci Bozkaya (Potsdam)
Regina Jucknies (Leipzig)
Planet Buch oder: Gehören Mikroben zum Objekt?
Verena Suchy (Gießen/Göttingen)
Die Fleischwerdung der Perle: Der deviante Körper in anthropomorphen Kunstkammerpreziosen der Frühen Neuzeit
Annerose Keßler & Isabelle Schwarz (Hannover)
Essenzen von Natur und die Praxis der Miniaturisierung: Naturkundliche Vermittlung von Objekten, Organismen und Umwelten in musealen Räumen
13h00
Mittagspause
15h00
Sektion 5 - Wechselwirkungen
Moderation: Herfried Vögel (München)
Kristin Böse (Frankfurt am Main)
quod in carne omnes vivae sint: Effekte von Lebendigkeit am Beispiel einer Serpentinschale aus dem Musée du Louvre
Romana Kaske (München)
Welchen Status haben tote Körper? Perspektiven und Verhandlungen in Mittelalter und Früher Neuzeit
Gabriele Schichta (Salzburg/Krems)
„Habt mir auff daz pild, daz ist mir worden wild!“ Verlebendigte Objekte und verdinglichte Figuren im ‚Herrgottschnitzer‘ und im ‚Bildschnitzer von Würzburg‘
16h45
Kaffeepause
17h15
Abschlussdiskussion
Moderation: Philippe Cordez