Literaturgeschichten in der digitalen Lehre, Düsseldorf
Tagung veranstaltet vom Konsortialprojekt "LiGeDi" der Universitäten Bielefeld, Paderborn und der Bergischen Universität Wuppertal, 22. bis 24. November 2023 im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf.
Die theoretische Unmöglichkeitserklärung der Literaturgeschichte im ausgehenden 20. Jahrhundert (vgl. Buschmeier 2014) wurde (und wird) begleitet von einem grundlegenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Literaturkanons. Aus dieser Entwicklung resultiert bis heute der prekäre Status, der Literaturgeschichte im germanistischen Studium zukommt. Dem entgegen steht der ungeminderte Bedarf sowohl der literaturwissenschaftlichen als auch der lehramtsbezogenen germanistischen Studiengänge an der Vermittlung überblickshafter Ordnungsstrukturen. In verstärktem Maße gilt dies für das Bachelor-Studium, in dem Studierende außerdem weiterreichende, für ein Studium relevante Kompetenzen erwerben sollen. Mit Blick auf die digitalen Entwicklungen der vergangenen Jahre stellt sich nun die Frage, ob bzw. inwieweit digitale Lehr-Lern-Szenarien spezifische Lösungen für dieses Problem bereithalten können und welchen Herausforderungen sich eine Lehre stellen muss, die fachspezifisch mit digitalen Inhalten arbeitet.
Seit längerem hat die hochschuldidaktische Forschung (Böhner/Mersch 2008, 2010) darauf aufmerksam gemacht, dass digitale Lernumgebungen und der Einsatz digitaler Medien „in besonderer Weise das Selbststudium und selbstgesteuerte Lernprozesse“ (Böhner/Mersch 2010, S. 229) fördern können. Insbesondere „Team- und Kommunikationsfähigkeit, Eigenverantwortung und Selbstmanagement-Kompetenzen, lebenslanges Lernen, ganzheitliches Denken sowie Handeln und Kreativität“ werden zum einen als für ein Studium relevante Kompetenzen gefordert, darüber hinaus aber auch als Bedarfe in einer globalisierten und digitalisierten Welt betrachtet (Korte 2019; vgl. dazu auch: KMK 2017). Doch wie können diese Kompetenzen durch digitales Lernen erworben und vermittelt werden? Dieser Frage müssen sich vor allem die Geisteswissenschaften mit besonderer Vehemenz stellen, da hier noch am stärksten analoge Lehrformate Vorrang haben. Das liegt insbesondere daran, dass es für die weitestgehend text- bzw. buchzentrierten, lektüreintensiven und auf Interaktivität in Diskussionen sowie auf die diskursive Konstruktion von Wissen ausgerichteten Fächer keine einfachen digitalen Lösungen geben kann.
Welche Möglichkeiten bieten also digitale Lehr-Lern-Szenarien aus fachspezifischer Perspektive? Und wie können digitale Lehrformate zum Erwerb forschungsorientierten Lernens (vgl. Dehne u.a. 2017) beitragen? Hierzu liegen insbesondere für die Geisteswissenschaften und spezifischer für die germanistische Literaturwissenschaft bislang kaum Studien vor. Denn obgleich digitale Medien für Studierende aus dem Unialltag nicht mehr wegzudenken sind (Krap 2019), betrifft ihre Nutzung doch eher fachunspezifische Apps und Tools. Diesem Desiderat möchte die Tagung einer Projektgruppe der Universitäten Bielefeld, Paderborn und der Bergischen Universität Wuppertal, die sich im Rahmen eines von der „Stiftung Innovation in der Hochschullehre“ geförderten Projekts unter dem Akronym LiGeDi (Literaturgeschichten erarbeiten: Gemeinsam im Digitalen) die Entwicklung digitaler literaturgeschichtlicher Kurse zum Ziel gesetzt hat, aus fachwissenschaftlicher Perspektive begegnen. Dabei sollen konkret die Möglichkeiten digitaler Literaturgeschichtsvermittlung im Fach fokussiert werden.
Unter dem Tagungstitel „Literaturgeschichten in der digitalen Lehre“ sollen Literaturwissenschaftler:innen zusammengeführt werden, die sich in den vergangenen Jahren sowohl aus praktischer als auch aus programmatischer Perspektive intensiv mit den Möglichkeiten und Schwierigkeiten digitaler Lehre im Fach auseinandergesetzt haben. Digital- und Präsenzlehre sollen dabei bewusst nicht als Fronten verstanden werden, deren Vor- und Nachteile gegeneinander ausgespielt werden könnten. Stattdessen sollen unter anderem auch die Herausforderungen und Chancen hybrider Szenarien in der Lehre analysiert werden. Außerdem soll nicht die Vorstellung reiner Best- oder Worst-Practice-Beispiele oder digitaler Tools im Zentrum stehen. Vielmehr zielt die Tagung auf eine Verzahnung von programmatischen und praxisbezogenen Aspekten, bei denen nicht zuletzt auch Fragen nach dem didaktischen Nutzen und der Produktivität von Multimedialität in der Vermittlung gestellt werden sollen.
Mögliche Themenschwerpunkte und Fragestellungen für Vorträge, die auch in kombinierter Form behandelt werden können, sind:
1. Digitale Literaturgeschichtsvermittlung
Was sind Bedürfnisse unseres Faches und speziell der Literaturgeschichtsvermittlung an digitale Lehre und digitale Lehrformate in der Vermittlung von Literaturgeschichte? Welche Dimensionen und Formate digitaler Lehre erscheinen als besonders geeignet? Und in welchem Verhältnis sollten Multimedialität und Intermedialität in der Vermittlung von Lehrgegenständen stehen?
Mit Blick auf die schulbezogene Lehre an den Universitäten kann gefragt werden, welchen Stellenwert digitale Literaturgeschichtsvermittlung in der Lehrer:innenbildung einnehmen kann/sollte. Und kann dadurch auch der schwierige Status, den Literaturgeschichte im schulischen Kontext heute hat, beeinflusst werden?
2. Herausforderungen digitaler Lehre in der Literaturgeschichtsvermittlung
Was sind die Gelingensvoraussetzungen für digitale Lehre? Hier können Nachhaltigkeitsaspekte ebenso in den Blick genommen werden wie die Frage nach notwendigen institutionellen Voraussetzungen, die spezifisch für das germanistische Fach und die Literaturgeschichtsvermittlung als sinnvoll zu erachten sind. Darüber hinaus soll inhaltlich gefragt werden, wie eine Sensibilisierung für die historische Dimension von Texten oder für weitere literaturgeschichtliche Themen wie etwa Fragen des Kanons in der digitalen Lehre gelingen kann. Hierzu zählen auch problematisierende Überlegungen zu der Art und Weise, wie die ästhetische Dimension von Texten überhaupt durch digitale Lehre vermittelt werden kann.
3. Lese- und Schreibforschung
Digitale Lese- und Schreibprozesse unterscheiden sich nicht nur maßgeblich von analogen Lese- und Schreibprozessen, die Digitalisierung hat auch neue mediale Formate des Lesens und Schreibens hervorgebracht. Welche Veränderungen im Lese- und Schreibverhalten lassen sich durch die allgemeine Zunahme digitaler Rezeption und Textproduktion feststellen? Gibt es digitale Möglichkeiten, durch die Studierende vermehrt wieder zum analogen Lesen motiviert/stimuliert werden können? Gibt es außerdem spezifische Vermittlungsstrategien digitaler Lehre, durch die digitales Lesen zum analogen Lernen animieren kann?
4. Veränderte Rolle der Lehrperson
Digitale Lehre widersetzt sich, wenn sie mehr sein möchte als eine reine Wissensvermittlung, den klassischen Top-Down-Prozessen, die von einer Lehrperson in der Frontallehre angeleitet und moderiert werden. Stattdessen verlagert sich der Schwerpunkt in der Lehre auf eine stärker begleitende Funktion der Lehrperson. Ist diesen Thesen aus theoretischer und praktischer Perspektive zuzustimmen? Welche Elemente bleiben ggf. erhalten, welche scheinen durch digitales Lehren zunehmend als suspendiert?
Bitte schicken Sie ein Abstract (max. 500 Wörter) für einen 30-minütigen Vortrag in deutscher oder englischer Sprache sowie eine kurze biobibliografische Notiz bis spätestens 14.08.2023 an Stephanie Wollmann (wollmann@uni-wuppertal.de).
Reise- und Übernachtungskosten werden erstattet.
Die Beträge werden 2024 in einer Sammelpublikation erscheinen.
Tagungsorganisation:
Prof. Dr. Nobert Eke
apl. Prof. Dr. Anne-Rose Meyer
Prof. Dr. Margreth Egidi
Dr. Matthias Buschmeier
Dr. Tanja Angela Kunz
Dr. Karima Lanius
Fabian Menke, M.A.
Stephanie Wollmann, M.Ed.
Literatur:
Böhner, Marina/Mersch, André (2008): E-Tools in selbstgesteuerten Lehr- und Lernprozessen. In: Robby Andersson/Alexander Bergs/Uwe Hoppe/Ursula Hübner/Andreas Knaden/Karsten Morisse/Oliver Vornberger/Hans-Joachim Wiese, (Hg.): Tagungsband logOS 2008 – Lernen Organisation Gesellschaft. Osnabrück. URL: www.beutel.lernenzweinull.de/scsartikel.pdf (letzter Zugriff: 15.03.2023).
Böhner, Martina/Mersch, André (2010): Selbststudium und Web 2.0. In: Kai Uwe Hugger/Markus Walber (Hg.): Digitale Lernwelten. Wiesbaden, S. 229-244.
Buschmeier, Matthias (2014): Pragmatische Literaturgeschichte. Ein Plädoyer. In: Matthias Buschmeier/Walter Erhart/Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin/Boston, S. 11-29.
Buschmeier, Matthias/Kaduk, Svenja (2016): Germanistik denken – schreiben – verstehen. Von der schreiborientierten Einführung zum Curriculum. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung 11/2, S. 195-207.
Buschmeier, Matthias (2020): E-Learning und Blended Learning in Groẞveranstaltungen. Ein Praxisbericht. In: Ansgar Gerhardus/Petra Kolip/Tobias Munko/Imke Schilling/Kerstin Schlingmann (Hg.): Lehren und Lernen in den Gesundheitswissenschaften – Ein Praxishandbuch. Bern, S. 126-135.
Ciecior, Jens/Kunz, Tanja Angela/Wollmann, Stephanie/Lanius, Karima/Buschmeier, Matthias (2022): „Literary History in Digital Teaching and Learning: The KoLidi-Project—Collaborative and Interactive Approaches for German Studies”. In: David Guralinik/Michael E. Auer/Antonella Poce (Hg.): Innovative Approches to Technology-Enhanced Learning for the Workspace and Higher Education. TLIC 2022. Lecture Notes in Networks and Systems. Vol 581. Cham, S. 114-124. URL: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-031-21569-8_11 (letzter Zugriff: 15.03.2023).
Dehne, Julian/ Lucke, Ulrike/Schiefner-Rohs, Mandy (2017): Digitale Medien und forschungsorientiertes Lehren und Lernen – empirische Einblicke in Projekte und Lehrkonzepte. In: Christoph Igel (Hg.): Bildungsräume. Münster, S. 71-83. (Beitrag/Tagungsband). URL: https://www.waxmann.com/?eID=texte&pdf=3720Volltext.pdf&typ=zusatztext (letzter Zugriff: 15.03.2023).
KMK (2017): Bildung in der digitalen Welt. URL:
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/Strategie_neu_2017_datum_1.pdf (letzter Zugriff: 15.03.2023).
Korte, Martin (2019): Wie analoge und digitale Lernwelten zusammen passen. In: Forschung und Lehre 11. URL: https://www.forschung-und-lehre.de/wie-analoge- und-digitale-lernwelten-zusammen-passen-2277/ (letzter Zugriff: 15.03.2023).
Krap, Claudia (2019): Studierende lernen weiter mit Stift und Papier. Die Digitalisierung hat Studierenden viele neue Angebote gebracht, die das Lernen erleichtern können. Aber nicht alle digitalen Medien kommen gut an. In: Forschung und Lehre 10. URL: https://www.forschung-und-lehre.de/lehre/studierende-lernen-weiter-mit-stift-und- papier-2217/ (letzter Zugriff: 15.03.2023).
Kunz, Tanja Angela/Buschmeier, Matthias/Wollmann, Stephanie/Ciecior, Jens/Lanius, Karima (2023): Open Education im Bachelor-Studium: Digitales Lesen und Schreiben in LMS-basierten Selbstlernkursen im Bereich der deutschsprachigen Literaturgeschichte. In: MiDU – Medien im Deutschunterricht. Nr. 1. (im Erscheinen)
Reinmann, Gabi (2009): Selbstorganisation auf dem Prüfstand: Das Web 2.0 und seine Grenzen(losigkeit). In: Ben Bachmair (Hg.): Medienbildung in neuen Kulturräumen: Aufgaben – Adressaten – Ansätze. Wiesbaden. URL: https://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2009/01/selbstorganisation_web20_preprint_jan09.pdf (letzter Zugriff: 15.03.2023).