CfP/CfA events

Flower Power. Florales zwischen Schönheit, Ordnung und Dominanz, München (31.12.2022)

Beginning
11.05.2023
End
13.05.2023
Abstract submission deadline
31.12.2022

Blumen sind weit weniger unschuldig, als Brautsträuße und Muttertagskitsch vermuten lassen. Für Alice Walker symbolisiert der aufwändige Blumenschmuck, mit dem ihre Mutter selbst schäbigste Wohnungen veredeln konnte, nicht nur Trost und Hoffnung trotz Armut, sondern das kreative Potential einer Generation Schwarzer Frauen, denen andere Zugänge zu Kunst, Kultur und Selbstverwirklichung verwehrt waren.Kulturgeschichtlich mit der Macht des Menschen über die Natur konnotiert, beschönigt das Blumenpflücken allerdings auch sexuelle Gewalt, koloniale Entdeckungsfantasien und anthropozentrischen Größenwahn. In antiken Mythen und Hochzeitsritualen werdenjunge Mädchen beim Blumensammeln entführt und vergewaltigt;das symbolisch aufgeladene Blumenbrechen nimmt die Defloration vorweg. Dass in Goethes volkstümlichem Gedicht Heidenröslein die Vergewaltigte mit einer gebrochenen Rose identifiziert wird, geriet zuletzt im Zuge einer #MeToo-inspirierten Aktion buchstäblich unter Beschuss, als das Kunstkollektiv Frankfurter Hauptschule im Sommer 2019 das Goethe-Haus in Weimar mit Toilettenpapier bewarf, um den blumigen Euphemismus anzuprangern.3 Auf kolonialen Expeditionen sammelten Botaniker~innen relevantes Wissen über Florales, doch die in Europa unbekannte Exotik wurde auch exportiert, klassifiziert und zu Geld gemacht; das imperialistische Moment klingt noch im Begriff „Pflanzenjäger“ an.Die Poesie des Symbolismus, des Impressionismus und der Moderne greift die Faszination für Orchideen, Lilien und Azaleen auf.Tropische Blumen sind jedoch auch heute noch ein Statussymbol, wie der seit der Corona-Pandemie blühende „PlantParenting“-Trend auf Social-Media-Plattformen zeigt.Neobarocke, florale Buchformate – Anthologien, Florilegien, Herbarien – erfreuen sich in klimakritischen Zeiten neuer Beliebtheit: Das Bedürfnis nach Ordnung und Erklärung trifft in künstlerischen Pflanzenkollektionen der Gegenwart auf subversive Kritik an der westlichen, anthropozentrischen Ausbeutung der Natur,während Vertreter~innen aus Philosophie, Literatur- und Kulturwissenschaften das Herbarium als geisteswissenschaftliche Textgattung re-etablieren, die kritisch-posthumanen Anforderungen besser gerecht werde als die individualistische Monographie.8

Die Graduiertentagung lädt Nachwuchswissenschaftler~innen (Promovierende, Post-Docs, Early Career Researchers) dazu ein, im Anschluss an den vegetal turn der Geisteswissenschaften9 die literarischen, kulturellen und philosophischen Implikationen des Floralen zu untersuchen. Ein diachroner, interdisziplinärer und transmedialer Dialog zwischen Literatur- und Kulturwissenschaften wird angestrebt, der auch kollaborative Forschungsfelder wie Gender Studies, Eco-Criticism, Eco-Feminism, Post-Colonial/De-Colonial Studies, Critical Plant Studies, Posthumanities und Environmental Humanities einschließt.
Bestätigte Keynote-Speaker~innen: Isabel Kranz und Thassilo Franke.

Mögliche Untersuchungsgegenstände und -perspektiven sind dabei insbesondere (aber
nicht ausschließlich):

  • Ornamentales, Dekoratives, Symbolträchtiges: Bouquets, Einsteckblumen, Blütenschmuck, „Wear Flowers in Your Hair“, Blumensprache, Gesellschaftscodes, Kitsch.
  • Erotik des Blumenpflückens: florale Sexualsymbolik, Deflorationsmythen, verblümte Beschönigungen, gewaltsames Ausreißen versus Verführung durch die gefährliche Blume, Blumenduft als Aphrodisiakum.
  • Floraler Exotismus: postkoloniale Perspektiven auf imperialistische Pflanzenjagd, Raritäten, Blumenpflücken als Geste von Dominanz und Aneignung des Fremden.
  • Anthropozentrische Ausbeutung und Unterwerfung der „unbelebten“ Natur.
  • New Nature Writing zwischen Naturromantik, Konservationismus und Eco-Criticism.
  • Unterordnung durch Einordnung: Florilegien, Anthologien, Herbarien, Pflanzenkataloge, Nomenklaturen, Digitalisierungen: Sammeldiskurse und deren kreativ-kritische Dekonstruktion.
  • Vanitas / Memento Mori: vergängliche Schönheit, Eitelkeit, Welken und Absterben gepflückter Blumen.
  • Poetologische Dimension der Blume: „Blaue Blume“, Bildlichkeit und Metaphorik von Blumen, Minnesangsmotivik versus Moderne, Rhetorik des „blumigen“ Sprechens, Synästhesie, Naturmimesis-Diskurs.

Abstracts für zwanzigminütige Vorträge auf Deutsch oder Englisch im Umfang von ca. 300 Wörtern (exklusive Auswahlbibliographie) verbunden mit einer kurzen biographischen Notiz senden Sie bitte bis zum 31. Dezember 2022 an:

flower-power@germanistik.uni-muenchen.de


Die Konferenz wird von der Klasse für Literatur der Graduiertenschule Sprache & Literatur organisiert und findet vom 11.–13. Mai 2023 an der LMU München statt.

Organisator~innen: Qingyu Cai, Manuel Fingado, Martin Marius Kuhn, Angelina Maslennikowa, Carole Martin, Hannes Mittermaier, Sophie Emilia Seidler.

Quelle:

[1] A. Walker, „In Search of Our Mothers’ Gardens“ (1972), in A. Mitchell, Hg., Within the Circle: An Anthology of Afri-
can American Literary Criticism from the Harlem Renaissance to the Present (Durham, NC: Duke UP, 1994), S. 408.

[2] J. Goody, The Culture of Flowers (Cambridge, UK: CUP, 1993); N. J. Richardson, The Homeric Hymn to Demeter (Ox-
ford et al., UK: OUP, 1974), S. 140.

[3] Aktion LOLita der Frankfurter Hauptschule im August 2020: https://www.youtube.com/watch?v=anmhpdj8X6I.

[4] M. Tyler-Whittle, The Plant Hunters (London: Heinemann Ltd., 1970); R. Hücking, Die Beute der Pflanzenjäger. Von
Europa bis ans südliche Ende der Welt (München, Zürich: Piper, 2010).

[5] Man denke etwa an Baudelaire, Eliot, Rilke und andere Zeitgenoss~innen.

[6] Die Künstlerin Julia Löffler zeigt in ihren fotografischen Gegenüberstellungen Ähnlichkeiten zwischen kolonialistischer Tropenfaszination des 19. Jahrhunderts und heutigen Inszenierungen stolzer „Pflanzeneltern“ auf. Vgl. die Ausstellungsankündigung zur Schau Exotic Plant Hunters im Stadthaus Ulm https://stadthaus.ulm.de/julia-loeffler-exotic-plant-hunters sowie das Interview mit Löffler unter https://www.monopol-magazin.de/interview-exotic-plant-hunters-julia-loeffler-die-pflanzen-....

[7] So zum Beispiel der Katalog künstlicher Zierpflanzen El Herbario de plantas artificiales des kolumbianischen Multimedia-Künstlers Alberto Baraya (seit 2003 laufend ergänzt). http://laboralcentrodearte.org:7080/laboral/es/recursos/obras/herbario.

[8] Vgl. I. Kranz, Sprechende Blumen. Ein ABC der Pflanzensprache (Berlin: Matthes & Seitz, 2014); E. Coccia, La vie des plantes (Paris: Éditions Payot & Rivages, 2016); M. Marder, The Philosopher’s Plant: An Intellectual Herbarium, with illustrations by M. Roussel (New York, NY: Columbia UP, 2014); R. Braidotti, The Posthuman (Cambridge, UK: Polity, 2013).

[9] A. Schwan, I. Kranz & E. Wittrock, Hgg., Floriographie – Die Sprache der Blumen (Paderborn: Wilhelm Fink, 2016); R. Laist, Hg., Plants and Literature. Essays in Critical Plant Studies (Leiden; Boston, NJ: Brill, 2013); W. Woodward & E. Lemmer, „Introduction: Critical Plant Studies“ (2019), Journal of Literary Studies, 35:4, S. 23–27.

Source of description: Information from the provider

Fields of research

Gender Studies/Queer Studies, Postcolonial studies, Ecocriticism, World Literature, Interdisciplinarity, Literature and cultural studies, Literature and philosophy, Intermediality
Eco-Feminism; De-Colonial Studies; Critical Plant Studies; Posthumanities; Environmental Humanities

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Contact

Manuel Fingado
Martin Marius Kuhn
Angelina Maslennikowa
Carole Martin
Hannes Mittermaier
Sophie Emilia Seidler

Institutions

Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Graduiertenschule Sprache und Literatur
Date of publication: 21.11.2022
Last edited: 21.11.2022