Einzelprojekte

Das Epos in der Moderne

Ziel des Projektes ist eine Monographie, die der Präsenz des Epos in der klassischen Moderne (ca. 1900 bis 1945) nachgeht. Die Studie beschränkt sich nicht auf die deutschsprachige Literatur. Vielmehr will sie herausarbeiten, wie das Epos zentrale Werke der internationalen Moderne stimuliert. Die Virulenz des Epos für die Moderne ist von der Forschung noch kaum systematisch erkannt und reflektiert worden. Dabei resultiert sie aus einer Vorstellung, die sich die Literaturwissenschaft selbst zu Eigen gemacht hat. Denn von 1800 an wurde die Gattung oft für tot erklärt. Sie schien jenseits einer geschichtsphilosophischen Grenze zu stehen, die in der Gegenwart längst überschritten war. Aber gerade weil es unmöglich geworden war, entfaltete das Epos eine starke, zum Teil geradezu gespenstische Präsenz. Es schien für Formen der Gesellschaft einstehen zu können, die der Moderne verloren gegangen schienen. Damit stellte sich die provozierende Frage, ob es sich in der Gegenwart und Zukunft nicht doch erneuern ließe. Während im 19. Jahrhundert nicht zuletzt die National- oder Volksepen zu zentralen Referenztexten des politischen Imaginären wurden, schrieben sich vom Beginn des 20. Jahrhunderts an eine Reihe zum Teil dezidiert modernistischer oder sogar avantgardistischer Autoren in die tote Gattung ein: Alfred Döblin, James Joyce, Ezra Pound, Johannes R. Becher, Gabriele D'Annunzio, Jorge Luis Borges und John R. R. Tolkien sollen im Zentrum der Studie stehen. An ihnen zeigt sich, wie gerade die Reflexion über die 'tote' Gattung neue Schreibverfahren provoziert, die seitdem für die Moderne paradigmatisch geworden sind, etwa Fragmentierung, Collage, Montage, Entsubjektivierung, aber auch radikale Subjektivierung des Schreibens. Die Transformationen des Epos können der Ironisierung dienen, nicht selten aber stellen sie sich in eine affirmative Beziehung zu den weltanschaulich-politischen Totalitarismen ihrer Zeit. Darüber hinaus will die Studie untersuchen, wie die Vorstellung vom Epos bzw. vom Epischen auch transmediale Wirkungen zeitigt, indem sie in andere Medien (Film und Malerei) und Segmente der materiellen Kultur (Buchgestaltung) eindringt. Eine zentrale Hypothese ist es dabei, dass die Transformationen des Epos auf den intensiven, vor allem philologischen Debatten über das Epos beruhen, die von 1800 an geführt wurden. Denn gerade die Philologien standen im engen Kontakt zu der 'toten' Gattung. Viel mehr noch als Hegel - dessen These zum Tod des Epos heute noch bekannt ist - arbeiten sie editorisch, analysierend und auch theoretisierend daran, der Gattung Aura zu verleihen. Die modernen Transformationen des Epos aber reflektieren genau dieses philologische Wissen. Gerade die Interaktionen von Literatur und Philologie bzw. Literaturwissenschaft, die hieraus entstehen, prägen entscheidend die Genese einer dezidiert modernen Literatur. Dieses Segment einer Wissensgeschichte der Literatur ist von der Forschung bislang noch kaum beachtet worden.
Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Gattungspoetik
Epos

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Leibniz Universität Hannover (LUH)
Deutsches Seminar
Datum der Veröffentlichung: 12.12.2018
Letzte Änderung: 12.12.2018