Konferenzen, Tagungen

Marcel Proust und das Judentum

Beginn
28.11.2019
Ende
30.11.2019

Internationales Symposion der MARCEL PROUST GESELLSCHAFT


Berlin, 28. bis 30. November 2019

Organisation und wissenschaftliche Koordination:
Prof. Dr. Reiner Speck
Dr. Alexis Eideneier


125 Jahre nach Beginn der Dreyfus-Affäre ist das Thema „Marcel Proust und das Judentum“ erstmals Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung in Deutschland. Das Anliegen des Symposions der Marcel Proust Gesellschaft ist es, der Vielfalt jüdischer Sujets im Werk des französischen Autors, aber auch in seinem Leben und in der Rezeptionsgeschichte seines literarischen Œuvres im Zusammenhang nachzugehen.

Bei der Suche nach den Spuren des Judentums im Roman A la recherche du temps perdu ist es unabdingbar, sich biografische Aspekte in Erinnerung zu rufen: Marcel Proust kam als Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters zur Welt und wurde katholisch getauft. Doch da gemäß jüdischer Tradition Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wird, könnte man ihn durchaus auch als Juden bezeichnen. Er war seiner jüdischen (nicht streng religiösen) Pariser Verwandtschaft, die ihm ein intellektuell stimulierendes Umfeld bot, stets eng verbunden. Seit seiner frühen Kindheit oszillierte sein Leben zwischen Judentum und Christentum. Dieser Riss zeichnet auch sein Werk aus.

Prousts Verhältnis zum Judentum, wie es sich in seinem Werk widerspiegelt, ist in hohem Maße ambivalent: Das „Jüdische“ in dem oft als „jüdischer Roman“ bezeichneten Recherche lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen. Im Zuge der Dreyfus-Affäre, die die französische Gesellschaft ab 1894 über Jahrzehnte hinweg spaltete und Antisemitismus erneut aufflammen ließ, zeigt die schillernde Zeichnung der Figuren das ganze Spektrum vorstellbarer (jüdischer wie nicht-jüdischer) Positionen zum Judentum: Diese reichen vom kruden Antisemitismus zur jüdischen Selbstverleugnung und sogar zum Selbsthass, aber auch vom Bekenntnis zum eigenen Judentum zu philosemitischer Weltoffenheit, wie sie besonders markant in den Figuren des Baron de Charlus, Blochs und Swanns, aber auch Gilbertes und Rachels zu Tage treten.

Darüber hinaus erscheinen auch religionsphilosophische und ästhetische Aspekte der Recherche in einem neuen Licht; denn Proust schwankt hier erneut zwischen der „Schönheit“ des Katholizismus - einer in der Folge Ruskins entfalteten Vorstellung - und der des Judentums in seiner „Asymmetrie“ zum Ersteren. So stehen der Welt des Christentums entlehnte Vorstellungen vom Kirchturm in Combray zum Baptisterium von San Marco in Venedig, von der Pseudo-Eucharistie der Madeleine zum täglichen Brot von Albertines Kuss verborgene jüdische Momente gegenüber. Mystische und poetische Erfahrung überlagern sich: So ist Prousts Beschäftigung mit der jüdischen Mystik und Kabbala ebenso von Interesse wie die enge Konstellation von Judentum und Homosexualität und die sich im oft zitierten jüdischen Humor äußernde Selbstironie.

Sucht man das Jüdische der Recherche genauer zu fassen, so gilt es auch die Schreibweise selbst zu betrachten. Besonderes Gewicht kommt hier den spezifischen erzählerischen Verfahren und stilistischen Eigenheiten, etwa Syntax und Bildsprache zu. Auch die komplexe Gesamtstruktur der Recherche ist vor diesem Hintergrund als ein Gang ins Offene, ein „abrahamitischer“ Aufbruch ohne Wiederkehr (Emmanuel Levinas) aufs Neue zu bedenken, wie es überhaupt gilt, der impliziten Vorstellung Prousts vom „Exil“ der Literatur, ja der Kunst als einer privilegierten Form jüdischer Identität nachzugehen.


Programm

Donnerstag, 28. November 2019

Ort: Literaturhaus Berlin, Großer Saal, Fasanenstraße 23, 10719 Berlin

19.00 Uhr Grußwort des Präsidenten der Marcel Proust Gesellschaft REINER SPECK (Köln)

ANDREAS ISENSCHMID (Berlin): Die Recherche – ein jüdischer Roman

Anschließend: Umtrunk


Freitag, 29. November 2019

Ort: Literaturhaus Berlin, Großer Saal, Fasanenstraße 23, 10719 Berlin

Moderation: JÜRGEN RITTE (Université Sorbonne Nouvelle – Paris III)

9.30 Uhr EVELYNE BLOCH-DANO (Paris): Une famille d’Israélites français

10.30 Uhr PATRICK MIMOUNI (Paris): Proust et les Juifs

11.30 Uhr PATRICK BAHNERS (Köln): „Une simple affaire politique“?

Epistemologische Probleme im Spiegel der matière de Dreyfus

Pause

15.00 Uhr PHILIPPE BERTHIER (Paris): Charlus/Dreyfus ou l’art de ne pas comprendre

16.00 Uhr FLORIAN NEUMANN (München): Gyp – zur Genese einer antisemitischen Künstlerfigur im Frankreich des Fin-de-Siècle

17.00 Uhr KIRSTEN VON HAGEN (Universität Gießen): Der Gesellschaftsroman der Moderne: Spektakel und inszenierte Alterität bei Proust und Gyp

19.30 Uhr Abendessen im Restaurant Beba, Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin (kostenpflichtig; Anmeldung erforderlich)

 

Samstag, 30. November 2019

Ort: Literaturhaus Berlin, Großer Saal, Fasanenstraße 23, 10719 Berlin

Moderation: THOMAS SPARR (Berlin)

9.30 Uhr ALEXIS EIDENEIER (Aachen): Die Komödie der Assimilation. Jüdischer Witz und Humor in der Recherche

10.30 Uhr GIULIA AGOSTINI (Universität Heidelberg): Marcel Proust – ein jüdischer Mystiker

11.30 Uhr ANTOINE COMPAGNON (Collège de France, Paris): Jeunes juifs lecteurs de Proust

12.30 Uhr THOMAS SPARR (Berlin): „La Race Maudite“. Judentum und Homosexualität in der deutsch-jüdischen Proust-Rezeption. Hannah Arendt, Gershom Scholem, Peter Szondi

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Französische Literatur, Literatur des 19. Jahrhunderts, Literatur des 20. Jahrhunderts
Marcel Proust ; Judentum

Links

Ansprechpartner

Prof. Dr. Reiner Speck
Dr. Alexis Eideneier

Einrichtungen

Literaturhaus Berlin
Marcel Proust Gesellschaft
Datum der Veröffentlichung: 18.11.2019
Letzte Änderung: 18.11.2019