Literarische Gestaltung jüdischer Identität bei Maxim Biller und Doron Rabinovici. Vier Romane im Schatten der Shoah und im Widerschein Israels

Ein Anliegen der Arbeit ist es, die vor allem der Neuheit der Romane geschuldete Lücke in der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit bislang wenig bis gar nicht erforschten Texten wie Maxim Billers Biografie (2016) und Sechs Koffer (2018) sowie Doron Rabinovicis Andernorts (2010) und (in Co-Autorschaft mit Natan Sznaider) Herzl Relo@ded (2016) zu schließen, um sie mit Blick auf die Identitätsthematik zu erschließen. Angesichts der Überdeterminiertheit des Jüdischen (speziell im deutschsprachigen Raum) werden Billers und Rabinovicis Romane danach zu befragen sein, wie das Antagonistische zwischen Innen- und Außenwelt, Individuum und Gesellschaft, Unabhängigkeit und Loyalität, Individuation und Zugehörigkeit, Identität und Alterität, Gegenwart und Vergangenheit sowie Herkunft und Zukunft literarisch gestaltet wird.

So ist es als Jude und Schriftsteller in der Bundesrepublik oder Österreich beinahe unmöglich, von der jüdischen Herkunft zu abstrahieren. Denn innerhalb der gesellschaftspolitischen Bestimmungsversuche jüdischer Identität nimmt diese eine mit überschießenden Sinnpotentialen aufgeladene Bedeutung an, die weit über die Medien-Öffentlichkeit, den Kulturbetrieb und das Feuilleton hinausweist. In den zu untersuchenden Romanen der beiden Autoren bietet diese Kulisse den historisch-politischen Rahmen einer überdeterminierten Debatte, von der nicht zuletzt die Identitätsthematik von Juden dann auch wieder affiziert wird – so eine dieser Arbeit zugrundeliegende Hypothese. Überdeterminiert ist die Debatte, da Identitätsfragen im Allgemeinen emotional aufgeladen sind und der mit widerstreitenden inhaltlichen Bestimmungen überladenen Schlüsselkategorie jüdische Identität im Besonderen eine enorme Brisanz innewohnt – und die sich zugleich damit einer eindeutigen Fixierung entzieht. Das heißt jedoch nicht, dass es keine Parameter für die Bestimmbarkeit von Zugehörigkeit gäbe.

Das Anliegen der Untersuchung besteht auch darin, die in den Romanen vorgenommene Auseinandersetzung mit den Einflüssen des in der Metapher Auschwitz verdichteten Menschheitsverbrechens zum einen, den Orientierungen an einer jüdischen Identität, wie sie sich mit der Staatsgründung Israels zum anderen verbinden lassen, auch auf der formalen Ebene zu untersuchen, steht doch deren literarisch-künstlerische Formgebung im Wechselbezug zum Aussagegehalt der Romane, was sowohl an den erkennbaren literarischen Gestaltungsmöglichkeiten in den zu untersuchenden Texten als auch an den dort und damit angesprochenen Erfahrungen von Identität herauszuarbeiten sein wird. Alle vier Romane sollen daher auch einer Untersuchung ihres jeweiligen Konstruktionsprinzips unterzogen werden. Denn eine grundlegende Voraussetzung für die Beantwortung der Frage, wie der inhaltliche Gehalt, der im jeweiligen Roman vorgestellt wird, in seiner formalen Gestalt vermittelt ist, lässt sich nicht auf bloß stoffliche oder motivgeschichtliche Aspekte beschränken, sondern dürfte erst im Versuch einer Vermittlung von Form und Inhalt zu ermöglichen sein und einen angemessenen Ausdruck (und eine dazu passende Interpretation) finden. Vor diesem Hintergrund setzt sich die vorliegende Studie das Ziel, die Romane Andernorts, Herzl Relo@ded, Biografie und Sechs Koffer mit Blick auf die Bearbeitung und Ausgestaltung der Identitätsthematik zu ergründen. Hierzu wird sie auf die Mithilfe von Zugängen politischer und soziologischer Theorie, psychoanalytischen und sozialpsychologischen Ansätzen sowie auf Impulse aus der Gedächtnis-, Ideen- und Universalgeschichte zurückzugreifen suchen.