CfP/CfA Veranstaltungen

Zerstresst! Spannungen zwischen Ästhetischem und Politischem

Beginn
08.12.2023
Ende
09.12.2023
Deadline Abstract
15.04.2023

Tagung: „Zerstresst! Spannungen zwischen Ästhetischem und Politischem“

(Düsseldorf, 08.12.-09.12.2023)

Organisatorinnen: Svetlana Chernyshova (HHU), Jasmina Nöllen (HHU), Nina-Marie Schüchter (HHU), Ines Lange (UR)

Einsendeschluss: 15.04.2023

 

Wir leben in einer scheinbar von Stress bestimmten Gegenwart. Dies kann zum einen aus der Präsenz von vielgestaltigen und komplexen (sowohl kollektiven als auch individuellen) Krisen (etwa Pandemie, Krieg, Krankheit) resultieren, zum anderen aber auch aus dem stets anwesenden Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Letzteres scheint nicht zuletzt mit der zunehmenden Fragmentierung von Zeiteinheiten in kapitalistischen Systemen erklärt werden zu können (Rosa 2005; Illouz 2006). Hinzu kommt das Bedürfnis, unsere kostbare (Frei-)Zeit effizient nutzen zu müssen, wodurch wir möglichst viel Welt in kurzen Zeitspannen erleben möchten. Dem Wunsch nach Entschleunigung steht eine zunehmende (digitale) Beschleunigung entgegen. Das zeigt sich etwa in der Aufmerksamkeitsökonomie (Franck 1998) der sozialen Medien, in deren Kosmos wir uns im Sekundentakt von Bildern mit hohem Unterhaltungswert affizieren lassen können: Memes, TikTok-Videos, Insta-Reels, Twitter-Tweeds, Push-Nachrichtenbilder und Dinge, die simultan passieren, strömen hier auf uns ein. Diese Intensitäten an Bild- und Informationserfahrungen erzeugen mentalen Stress, womöglich auch ZerStressung.

Etymologisch lässt sich der Begriff „Stress“ (abgeleitet unter anderem vom lat. strictus: dicht, straff, stramm, eng) – in seiner expliziten medizinischen Bedeutung – auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückführen. Die Bedeutungsebenen changieren dabei je nach Sprachraum zwischen Enge, Nachdruck, Spannung, aber auch Schmerz und Erschöpfung, wobei durch den Begriff in seiner verbalisierten Form (stressen) im sprachlichen Gebrauch sowohl die Ebene der Rezeption (gestresst werden), als auch die der Produktion (jemanden/etwas stressen) adressiert werden können. Das Präfix „Zer-“ (lat. dis/dif) schafft dabei auf sprachlicher Ebene eben jene dynamische Spannung abzubilden, welche das alltägliche ‚gestresst sein‘ durch seinen inflationären Gebrauch nicht in Gänze abbilden kann (Chernyshova 2023). Damit ermöglicht die im Deutschen funktionierende Zusammensetzung des Begriffs „Zerstressung“ eine noch im geisteswissenschaftlichen Diskurs ausstehende Auffaltung, die im Kontext von diversen Phänomenen im Rahmen der Tagung behandelt und diskutiert werden soll.

Zerstressung macht sich auf mehreren Ebenen sichtbar und gestaltet sich als ein polymeres Symptom, das sowohl einen (möglichen) Zustand beschreibt, als auch gleichzeitig gerade auf das Vermögen von Dingen, Entitäten und Situationen verweist, Narrative und Repräsentationslogiken zu unterbrechen, normative Stabilitäten zu erschüttern und Adressierungspraktiken umzucodieren. Über zerstresste und zerstressende Phänomene (wie etwa unterschiedliche Bild- und Textformen, räumlich-zeitliche Formationen, skulptural-architektonische Situationen oder auch Materialprozesse im Sinne eines Stresstests) nachzudenken, bringt demzufolge zum einen die Chance mit sich, zu fragen, was diese innerhalb der vorgezeichneten gegenwärtigen ‚Zerstressungsökonomie‘ tun (im Sinne einer Zustandsbestimmung) und wie sie es tun. Zum anderen fokussiert jenes Nachdenken die mögliche Kraft, hegemoniale Praktiken zu disruptieren. Mit dem Begriff „Zerstressung“ bzw. seiner Verbalform „zerstressen“ interessiert sich die Tagung für Phänomene, die sowohl Spannungen produzieren als auch daraus resultieren und damit das Politische adressieren (Bedorf 2010).

Die Denkfigur der „Zerstressung“ gewährt vor diesem Hintergrund eine qualitative Beschreibung unterschiedlichster Phänomene und umgreift in erster Linie all jene Momente und Situationen, die mit einer sowohl ästhetisch als auch politisch zu verstehenden Störung im weitesten Sinne einhergehen. Als zerstresst lassen sich Phänomene dann bestimmen – so der Impuls der geplanten Tagung –, wenn sie Diffraktionen entstehen lassen bzw. aus unauflösbaren/unauffüllbaren Bruchstellen resultieren. Die Verknüpfung der Zerstressung als eine sowohl ästhetische als auch gleichzeitig politische Kategorie erlaubt es auf diese Weise, diese Verflechtung explizit beschreibbar/analysierbar/kritisch verhandelbar zu machen und Potentialitäten des Bildlichen zu eruieren, die sich der gegenwärtigen Narration der ‚beiläufigen Bilderflut‘ widersetzen.

Denkbar wären Beiträge, die sich mit folgenden Themenspektren befassen: 

1. Sichtbarmachung durch Zerstressung | formalästhetische Ebene (durch frakturale Bild- oder Textelemente oder intermaterielle Reibungen werden Zerstressungen sichtbar gemacht, was etwa normative Strukturen und tradierte Annahmen hinterfragt: z.B.race, class, gender, age; denkbar sind hier etwa bild- oder textimmanente Fragmentierungen wie Collage, Montage und Assemblage-Techniken oder die Untersuchung historischer Bildlogiken, die Fragen nach parergon/ergon aufwerfen wie etwa bei Kunst- und Wunderkammern, Grotesken, Capricci).

2. Sichtbarmachungen von Zerstressung | motivisch-thematische Ebene (der visuellen oder medialen Zerstressung geht ein gesellschaftlicher Stressor voraus – etwa Krieg, Krisen, Katastrophen, Gewalt, Aggression – der thematisch oder motivisch in Bildern oder Texten aufgegriffen und verarbeitet wird). 

3. Reaktion auf Zerstressung | körperlich-sinnliche Ebene (die Folgen und Nachwirkungen von Zerstressungen werden sinnlich erfahrbar, etwa mittels fürsorglicher, heilender und reparierender Praktiken; Stichworte sind hier etwa: Rückzug, Lähmung, Trauma, Therapie, Reparatur, Heilung).

4. Protestformen gegen Zerstressung | ethisch-aktivistische Ebene (umfasst aktive Entzugsformen und politische Intervention gegen Zerstressungen; Stichworte sind hier etwa: disaffected (Agathocleous 2021, Yao 2021), Praktiken des Entzugs wie filtering, ghosting, bingeing, detoxing (Dango 2022) oder Social Media-Trends wie wholesomeness content, cute aggression usw.).

Vorschläge für Beiträge (ca. 25 Minuten) zu Einzelfallstudien oder Phänomenen sind ebenso erwünscht wie solche zu übergreifenden und methodischen Fragestellungen oder theoretischen Annäherungen. Referent:innen unter anderem aus den Bereichen der Kunstgeschichte, Bildwissenschaft, Geschichte, Literatur- und Sprachwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Architektur- und Designwissenschaft, Medien- und Kulturwissenschaften sind willkommen. Die Beteiligung von wissenschaftlichem Nachwuchs (fortgeschrittene Studierende, Promovierende und Post-Docs) ist besonders erwünscht. Die Tagung wird voraussichtlich in Präsenz in Düsseldorf stattfinden.

Eine anschließende Publikation der Beiträge ist geplant.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung. Bitte senden Sie ein Abstract (max. 300 Wörter) sowie einen kurzen CV in einem pdf-Dokument bis zum 15.04.2023 an: Svetlana.Chernyshova@hhu.de, Jasmina.Nöllen@hhu.de, Nina-Marie.Schuechter@hhu.de und Ines.Lange@ur.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Gender Studies/Queer Studies, Postkoloniale Literaturtheorie, Interdisziplinarität, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Literatur und Visual Studies/Bildwissenschaften, Literatur und Medienwissenschaften, Intermedialität, Ästhetik

Ansprechpartner

Einrichtungen

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Institut für Kunstgeschichte
Beitrag von: Nina-Marie Schüchter
Datum der Veröffentlichung: 09.03.2023
Letzte Änderung: 09.03.2023