CfP/CfA Veranstaltungen

Workshop "Responsibilisierungsdiskurse der Vormoderne"

Beginn
12.08.2021
Ende
13.08.2021
Deadline Abstract
16.05.2021

Responsibilisierungsdiskurse der Vormoderne

Interdisziplinärer Workshop an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (12./13.08.2021)

Das Axiom einer Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung bildet die Grundlage der mittel­alterlich-christlichen Anthropologie. Aufgrund seiner Willensfreiheit, die ihn mit seinem Schöpfer, nach dessen Ebenbild er geschaffen wurde, vergleichbar macht, kann der Mensch jedoch einerseits für sein Handeln und mehr noch für seine Gesinnung in die Verantwortung genommen werden. Andererseits mahnt die Gottesähnlichkeit auch zum Streben nach dem summum bonum, von dessen Weg abzu­weichen eine Sünde bedeutet. Verantwortlich ist der Mensch soteriologisch betrachtet zunächst primär für sich selbst bzw. sein eigenes Seelenheil, während die göttliche Schöpfungsordnung von mensch­licher Einflussnahme notwendig unberührt bleibt.

Neben der Fokussierung auf das je individuelle Seelenheil lassen sich in der Vormoderne jedoch auch weitere Responsibilisierungsnarrative fassen, die eine Person, eine Gruppe oder den Menschen in die Verant­wortung für sich, andere oder den Kosmos nehmen. Dabei ist unerlässlich, dass Verantwortung stets, zuweilen implizit, zugesprochen werden muss und sich nicht in bloßer Schuldigkeit erschöpft, sondern sich zumindest anteilig auch als meritorische Pflicht bestimmen lässt, mit deren Erfüllung man ein Verdienst erwirbt. Responsibel gemacht werden kann zudem nur ein frei entscheidender Akteur, der über die Möglichkeit zum Eingreifen und die Kenntnis der Umstände verfügt. Virulent bleibt zudem die Frage nach der Absehbarkeit von Konsequenzen und entlastender Unwissenheit, was im Mittelalter pro­mi­nent in Abaelards Gesinnungsethik heftig zu Buche schlägt, die durch radikales Abblenden der kon­kreten Handlung bei der Schuldzumessung den Einfluss kontingenter Umstände zu negieren versucht.

Besonders heterogene Entwürfe zur Frage nach Verantwortlichkeiten werden in narrativen Entwürfen zur Anthropologie beobachtbar, die oftmals den Modus der Zuschreibung mitverhandeln und entspre­chend auch situative oder konkurrierende Geltungen von Verantwortungszuschreibung sowie Momente der Entverantwortlichung reflektieren. Immer wieder stehen sich hier nicht nur textinterne Positionen ent­gegen, sondern es werden intertextuelle Gegenentwürfe aufgestellt, die bestehende Zuschreibungen er­­weitern, relativieren oder nivellieren können. Beispielhaft macht etwa die Frühmittelhochdeutsche Genesis den Menschen vor allem für das chinden, also die Reproduktion zur Wiederbesetzung des zehn­ten Chores verantwortlich, weist Natura im Architrenius ihre (besonders bei Alanus formulierte) mora­lische Verantwortung gegenüber dem Menschen zurück und responsibilisiert diesen stattdessen selbst oder tritt Georg in der Legende aus freiem Willen sein Martyrium an und stellt sich Dacian entgegen.

Neben religiösen Verantwortungsbereichen wird vor allem auch soziopolitisches Handeln an Verant­wor­tungs­übernahme geknüpft. So sieht sich etwa Hartmanns Iwein in der Pflicht, an Artus’ Stelle die Schmach seines Vetters Kalogreant zu tilgen, laborieren Figuren wie Hagen und Dietrich von Bern im Nibe­lungen­lied an kollidierenden triuwe-Beziehungen und werden in der Melusine Thürings von Ringoltingen Fragen nach genealogischer Verantwortung aufgeworfen. Eine soziale Komponente weist eben­falls die Verantwortung für exklusives Wissen auf, das beispielsweise nur (integumental) ver­schlüsselt weitergegeben werden darf. Aber auch topische Argumentationsmuster im Sinne von ‚Talent verpflichtet zur Nutzung‘, ‚Wissen zur Mitteilung‘ oder ‚Berichten zur Vollständigkeit‘ lassen sich als poten­zielle Untersuchungsgegenstände anführen, bei denen immer wieder die in der Etymologie ver­bürgte Nähe zur Antwort bzw. zur Reaktion aufscheint.

Der Workshop fragt nach narrativen Mustern und Textstrategien der Responsibilisierung, also danach, wie etwa vormoderne Erzählungen, aber auch didaktische, chronikale oder (rechts-)praktische Texte die je­weils zugrundeliegenden Wert- und Normhorizonte verbindlich machen, Schuldigkeit und Zustän­dig­keit sowie ggf. Zurechnungsfähigkeit verhandeln und interferierende oder konkurrierende Verantwor­tungs­nahmen als solche ausstellen. Insofern die skizzierten Bedingungen für Verantwortlichkeit immer auch Fragen nach Willensfreiheit und Determination, den Grenzen menschlicher Einflussnahme sowie seiner Erkenntnis- und Schuldfähigkeit aufwerfen, versteht sich der Workshop auch als Beitrag zu einer his­to­rischen Anthropologie.

Abstracts für halbstündige Vorträge oder moderierte gemeinsame Lektüren (max. 300 Wörter) sind bitte bis zum 16.05.2021 an wick@em.uni-frankfurt.de ein­zu­senden. Der Workshop findet bestenfalls mit einer vertretbaren Gruppengröße und entsprechend den Hygieneregeln der Goethe-Universität in Präsenz statt. In diesem Fall können Fahrt- und Übernach­tungskosten übernommen werden. Eine digitales Alternativformat kann derzeit jedoch nicht ausge­schlossen werden. Zudem besteht die Möglichkeit, in jedem Falle nur digital am ggf. hybriden Work­shop teilzunehmen.

 

Kontakt:

Dr. des. Maximilian Wick (wick@em.uni-frankfurt.de)

Goethe-Universität Frankfurt am Main

Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik

Norbert-Wollheim Platz 1

60323 Frankfurt am Main

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Interdisziplinarität, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies
Responsibilisierungsdiskurse ; Vormoderne

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Goethe-Universität Frankfurt am Main
Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik

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Norbert-Wollheim Platz 1
60323 Frankfurt am Main
Deutschland
Datum der Veröffentlichung: 26.03.2021
Letzte Änderung: 26.03.2021