Interdisziplinäre Tagung "Loriot und die Bundesrepublik"
Interdisziplinäre Tagung "Loriot und die Bundesrepublik"
Georg-August-Universität Göttingen, 31.03./01.04.2022
Konzeption und Organisation: Dr. Anna Bers, PD Dr. Claudia Hillebrandt
ER: Wehner könnte sich schon was ausdenken für die Herren Kiep und Albrecht. Vielleicht: ,Die Provinzköter an der Leine‘… und die könnten ihn dafür dann ,Rote Ratte‘ nennen…
SIE: Das klingt auch heiter und verletzt nicht…
[…]
SIE: Du ißt wie ein Schwein!
ER: Wie bitte?
SIE: Wie ein Schwein!
ER: Monika!
(Loriot: Frühstück und Politik. In: Loriot: Gesammelte Prosa. Zürich 2006, S. 225.)
Wenn man die Geschichte unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg schreiben wird, kann man getrost auf die Tonnen bedruckten Papiers der Sozialforscher verzichten und sich Loriots gesammelten Werken zuwenden: Das sind wir, in Glanz und Elend.
(Christoph Stölzl: Wir sind Loriot. Nachwort. In: Loriot: Gesammelte Prosa. Zürich 2006, S. 715, Hervorhebung im Original.)
Das Tagungsprojekt geht von Stölzls Beobachtung aus, dass Loriots Werk sehr eng auf die Geschichte der Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung bezogen werden kann. Mit zunehmender historischer Distanz geraten die für Loriots Humor so zentralen konkreten historischen Bezüge auf die bundesrepublikanische Alltagskultur allerdings zunehmend in Vergessenheit, und das, obwohl Loriot mittlerweile durchaus als kanonischer Künstler gelten kann. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses ist es das Ziel der Tagung, der These von Loriots Werk als Kondensat der BRD-Geschichte nachzugehen, Loriots Œuvre auf dieser Basis aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln zu erfassen und damit eine bisher weitestgehend ausgebliebene, sowohl interdisziplinäre als auch historisierende Forschung zu seinem Werk anzustoßen. Dies kann nicht nur wegen der vielfältigen historischen Bezüge, sondern auch deswegen nur im interdisziplinären Zugriff geschehen, da Loriot als Zeichner, Regisseur, Schauspieler, Moderator und Autor ein vielgestaltiges Œuvre vorgelegt hat.
Ziel des Tagungsprojektes ist es zum einen, wesentliche Verbindungslinien etwa zwischen Werk und Diskurs-, Medien-, Kunst-, Mentalitäts- und Alltagsgeschichte der BRD aufzuzeigen. Zum anderen sollen und müssen damit zugleich zentrale werkästhetische Fragen in den Blick genommen werden, die die Voraussetzung dafür bilden, die zahlreichen Verflechtungen zwischen Werk und historischem Kontext nachzeichnen zu können. So ist beispielsweise bisher nicht abschließend geklärt, welche Formen des Humors Loriot einsetzt (Satire, Ironie, Komik etc.), welche Rolle die von Vicco von Bülow geschaffene Kunstfigur Loriot hierbei einnimmt und welche Kommunikationssituation diese inszeniert. Überdies muss detaillierter geklärt werden, in welcher Weise bundesrepublikanische Wirklichkeit im Werk abgebildet wird und welche Aspekte aus welchen Gründen gerade nicht oder jedenfalls nicht in offensichtlicher Weise verhandelt werden: Vordergründig scheinen etwa Auseinandersetzungen mit der NS-Zeit, der 68er-Bewegung oder dem Kalten Krieg, die die Diskurse in der BRD prägten, eben nicht repräsentiert zu sein. In Abhängigkeit von den letztgenannten Fragen gilt es auch, Loriots bisher unterschiedlich bewerteten kritischen Impetus und dessen Qualität (etwa: ungewollte Reifikation des Kritisierten, milde Ironie, vernichtende Demaskierung etc.) zu diskutieren. Es gilt also nachzuzeichnen, welche Stoßrichtung und welche Schärfe der Loriot’schen Kritik an der eigenen Gegenwart zuzuschreiben sind. Exemplarische Fragen, die die Tagung adressiert, lauten mithin:
Welche Formen des Humors werden eingesetzt?
Welche Formen der direkten oder indirekten Bezugnahme auf die bundesrepublikanische Wirklichkeit lassen sich beobachten und welche Aspekte bleiben warum ausgespart?
In welchem kritischen Licht erscheinen vor diesem Hintergrund die Phänomene der Gegenwart, die das Werk präsentiert?
Aus den folgenden Disziplinen haben bisher Beitragende zugesagt:
- Europäische Ethnologie
- Gender Studies
- Geschichtswissenschaft
- Kunstgeschichte
- Linguistik
- Literaturwissenschaft
- Medienwissenschaft
Ergänzend bitten wir über diesen Call for Papers um weitere Beiträge, vorzugsweise zu folgenden Themenfeldern:
- Loriot und die DDR
- Loriot in seinen Interviews und Reden
- Wertorientierung und Moralverständnis Loriots
- Sprichwörtlichkeit und Urheberrecht in der Loriotrezeption
Ein Vortragsexposé von bis zu einer Seite senden Sie unter Angabe Ihres Namens, Ihrer E-Mail-Adresse und einer kurzen biographischen Skizze bitte bis zum 15.06.2021 an claudia.hillebrandt@uni-jena.de. Es stehen insgesamt vier Plätze für Vorträge zur Verfügung. Die Tagung wird von der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten werden übernommen.