CfP/CfA Publikationen

Harald Schmidt. Zur Ästhetik und Praxis des Populären

Deadline Abstract
30.06.2021

Oliver Ruf, žChristoph H. Winter (Hg.)

 

Harald Schmidt.
Zur Ästhetik und Praxis des Populären

 

transcript-Verlag, Bielefeld, 2022

(Medien- und Gestaltungsästhetik; Bd. 16)

erscheint als Print- und OPEN ACCESS-Ausgabe

 

1988 strahlte der Sender freies Berlin erstmalig ein Sendungsformat aus, das von Harald Schmidt, der zuvor bereits mit mäßigem Erfolg auf verschiedenen deutschen Bühnen reüssierte, moderiert wurde. Die Sendung MAZ ab!, eigentliche ein Werbeformat für ARD-Programme, erfreute sich nach kurzer Zeit derart großer Beliebtheit, dass diese ins Hauptprogramm der ARD aufgenommen wurde. Ab 1990 moderierte Schmidt gemeinsam mit Herbert Feuerstein die Comedy-Show Schmidteinander und allein die Rate-Show Pssst...; der endgültige Durchbruch erfolgte 1992 als Schmidt die Nachfolge von Paola und Kurt Felix antrat, um das Fernsehformat Verstehen Sie Spaß? zu moderieren, woran er auf nahezu grandiose Weise scheiterte. Schnell stellte sich nämlich heraus, dass Schmidt kein Typ für’s Massenpublikum ist, kein Hans-Joachim Kuhlenkampff, kein Kurt Felix und erst recht kein Thomas Gottschalk. Schmidt war anders und fand seine Bestimmung in einem Format, das er aus den USA importierte – der Late Night Show. Formate wie die bereits seit 1954 ausgestrahlte Tonight Show oder die jüngere, aber nicht minder einflussreiche Late Show with David Letterman dienten als Fixpunkte, an denen Schmidt seine Show ausrichtete. Die Harald Schmidt Show ging 1995 auf Sendung und wurde fast 20 Jahre lang unter variierendem Namen in verschiedener Besetzung auf verschiedenen Sendern ausgestrahlt, ehe die letzte Sendung am 13. März 2014 auf Sky zu sehen war. Seither ist Harald Schmidt Videokolumnist für den Spiegel, spielt eine wiederkehrende Rolle auf dem Traumschiff und ist gern gesehener Interviewgast in verschiedenen TV-, Rundfunk- und Zeitungsformaten.

 

Vor allem aber wurde Schmidt durch seine Late Night Show zu einer Art Ikone der deutschen Fernsehunterhaltung, die ihr Publikum weniger in der breiten Bevölkerung fand als in einem kreativen, häufig selbst publizierenden, medienaffinen Milieu. Er wurde deshalb zum »Liebling des Feuilletons«[1], weil er im Grunde selbst Feuilleton betrieb. Genauer gesagt, handelt es sich um ein ironisch, zuweilen satirisch zugespitztes Feuilleton, das jedoch den »rhetorischen Parametern« feuilletonistischer Kommunikation – Dramatisierung, Personalisierung, Popularisierung, Fiktionalisierung, Ironisierung, Intertextualisierung und Poetisierung[2] – gehorcht: Schmidt reenactet mit Playmobil-Figuren die griechische Sagenwelt,[3] begreift Waschbecken[4] und Briefkästen[5] als Symptome der Konsumkultur und weist ihnen eine semiologische Qualität zu, die etwas über ihre Besitzer aussagt, inszeniert Gemeinde-Nachmittage[6] oder bekennt sich dazu, Bücher wegzuwerfen, und kritisiert damit en passant den etablierten Kanon bildungsbürgerlicher Hochkultur-Milieus: »Goethe ist überschätzt.«[7] Durch diese radikalisierte Adaption feuilletonistischer Schreibweisen wird Schmidt selbst zum Fixpunkt verschiedener deutschsprachiger (popliterarischer) Gegenwartsautoren: Christian Kracht attestiert er während eines Interviews in der Show »Ich glaube, Sie drücken vieles aus, was ich nur dumpf empfinde.«[8] Mit dem manischen Feuilleton-Leser und Schmidt-Verehrer Rainald Goetz, der sich für seine Heute Morgen-Reihe Schmidts Stand-up-Opener »Heute morgen, um 4 Uhr 11, als ich von den Wiesen zurückkam, wo ich den Tau aufgelesen habe« zum Motto genommen hat, spricht Schmidt ebenfalls über die deutsche Feuilletonlandschaft.[9] Benjamin von Stuckrad-Barre arbeitet von 1998 bis 1999 als Autor für die Harald Schmidt Show[10] und ist dort später mehrmals Gast. Harald Schmidt tritt aber auch selbst als Autor in Erscheinung: Einerseits als Verfasser zweier im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienener Erzählbände – Tränen im Aquarium und Mulatten in gelben Sesseln. Die Tagebücher 1945-1952 und die Focus-Kolumnen 2005, andererseits als Kolumnist für den Focus (wobei seine Kolumnen im Nachhinein gesammelt ebenfalls im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen sind).

 

Diese Beobachtungen offenbaren einen bemerkenswerten Befund: Denn so vielfältig, umfangreich und einflussreich das Schmidtsche Œuvre ist und so aktuell es in der Gegenwart wirkt,[11] so erstaunlich ist es, dass bisher kaum Veröffentlichungen zu Harald Schmidts Leben und Werk vorliegen.[12] Der hiermit skizzierte Band versucht denn auch, diesen offensichtlichen Missstand zu ändern und diese Lücke zu schließen. Dazu sollen verschiedene Beiträge versammelt werden, die das Phänomen Harald Schmidt erstmalig eingehend aus dem Blickwinkel einer Ästhetik und Praxis des Populären beleuchten. Angesiedelt sein sollen die Beiträge sowohl an den Schnittstellen von Medien-, Literatur-, Theater- und Filmwissenschaft als auch innerhalb all jener Diskurse, die sich explizit auf gegenwartskulturelle Phänomene beziehen.

 

Der Band will daher zweierlei leisten: Einerseits soll das Phänomen ›Harald Schmidt‹ stichpunktartig analysiert werden, um dessen Bedeutung und Einfluss auf nachfolgende mediale Phänomene herauszuarbeiten. Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht, Maxim Biller und Sybille Berg unterliegen demnach genauso dem Einfluss Schmidts wie Jan Böhmermann, Joko & Klaas, Sophie Paßmann oder Hazel Brugger und viele andere mehr. Die zentrale These dabei lautet, dass Harald Schmidt – vor allem durch die Harald Schmidt Show – grundlegende Voraussetzungen dafür geschaffen hat, sich auf eine bestimmte Art und Weise in der Öffentlichkeit – halbironisch, halbernst – zu präsentieren, dass er Ironie, Zynismus und Sarkasmus bei gleichzeitiger moralischer Affirmation als öffentlichkeitswirksame und öffentlichkeitstaugliche ›Schreibweisen‹ etabliert hat, auf die sich nicht nur direkte Konkurrenzformate wie Stefan Raabs Show TV Total (1999-2015) beziehen, sondern die sich bis in die Gegenwart der Social Media auswirken. Andererseits will der Band das transmediale Verhältnis zwischen der TV-Show Harald Schmidts und den auf diese Show reagierenden journalistischen Öffentlichkeiten untersuchen. Dabei soll es auch um die Frage gehen, in welchem Verhältnis die Schmidt-Show zu den Zeitungen (den Feuilletons) und die Zeitungen (die Feuilletons) zur Schmidt-Show standen. So war Schmidt immer wieder Gegenstand feuilletonistischer Berichterstattung (›Liebling des Feuilletons‹), wie auch Debatten und Artikel des Feuilletons häufig Eingang in die Harald Schmidt Show fanden. Um einen systematischen Zugang zu Leben und Werk Harald Schmidts zu gewährleisten, können sich die Beiträge mithin an den Schaffensphasen Schmidts orientieren:

 

1) Vor der Harald Schmidt Show: ›Vom Schauspieler zum Entertainer‹

 

2) Während der Harald Schmidt Show: ›Der Conférencier des Feuilletons‹

 

3) Nach der Harald Schmidt Show: ›Der öffentlichkeitswirksame Privatier‹

 

Erbeten werden Beitragsvorschläge in Form eines Abstracts (max. 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) plus Beitragstitel sowie kurzen bio-bibliographischen Angaben bis zum 30.06.2021an die beiden Herausgeber Prof. Dr. Oliver Ruf und Christoph H. Winter unter oliver.ruf@h-brs.desowie chr.winter@googlemail.com.

 

[1] Hanns-Bruno Kammertöns: »›Gefühl ekelt mich an‹: Harald Schmidt hasst Sentimentalitäten, trotzdem spricht er über die Geburt seiner Kinder und den größten Rollenwechsel seines Lebens: Von peymanns Theaterbühne auf die Planken des Traumschiffs.« Auf: https://www.zeit.de/2006/48/Harald-Schmidt/komplettansicht, dort datiert am 23.11.2006, zul. abgeruf. am 17.06.2020. Der Begriff »Liebling des Feuilletons« ist jedoch bereits vor diesem Interview im Umlauf.

[2] Vgl.: Stephan Porombka: »Feuilleton«, in: Dieter Lamping (Hg.): Handbuch der literarischen Gattungen, Stuttgart: Alfred Körner Verlag, 2009, S.264-269, hier: S. 266.

[3] Die Harald Schmidt Show vom 09.10.2002, auf: https://archive.org/details/87443344/Die+Harald+Schmidt+Show+-+1147+-+2002-10-09+-+Andrea+Fischer%2C+Die+Heldentaten+des+Herakles.avi, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[4] Die Harald Schmidt Show vom 13.03.2002, auf: https://archive.org/details/87443344/Die+Harald+Schmidt+Show+-+1055+-+2002-03-13+-+Tom+Tykwer%2C+Sesamstra%C3%9Fe+op+K%C3%B6lsch%2C+Waschbecken-Test.avi, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[5] Die Harald Schmidt Show vom 28.11.2001, auf: https://archive.org/details/82762114/Die+Harald+Schmidt+Show+-+1006+-+2001-11-28+-+Ewa+Zieniewicz%2C+Dr+Br%C3%B6mme+in+Rostock.avi, zul. abgeruf. am 17.96.2020.

[6] Die Harald Schmidt Show vom 14.06.2001, auf: https://archive.org/details/82762114/Die+Harald+Schmidt+Show+-+0940+-+2001-06-14+-+Gemeinde+Nachmittag%2C+Thomas+Hermanns.avi, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[7] Die Harald Schmidt Show vom 11.10.2001, auf: https://archive.org/details/82762114/Die+Harald+Schmidt+Show+-+0983+-+2001-10-11+-+Yasmina+Filali%2C+Emmanuel+Peterfalvi.avi, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[8] Die Harald Schmidt Show vom 12.10.2001, auf: https://archive.org/details/82762114/Die+Harald+Schmidt+Show+-+0983+-+2001-10-11+-+Yasmina+Filali%2C+Emmanuel+Peterfalvi.avi, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[9] Harald Schmidt vom 08.04.2010, auf: https://www.youtube.com/watch?v=BqDv6F9eTHA, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[10] Benjamin v. Stuckrad-Barre: Biografie, auf: https://www.stuckradbarre.de/biografie/, dort undatiert, zul. abgeruf. 17.06.2020.

[11] Vgl.: Kai Spanke: »Harald Schmidt revisited: Früher war alles genauso.« Auf: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/warum-die-harald-schmidt-show-immer-noch-aktuell-wirkt-16686775.html, dort datiert am 21.03.2020, zul. abgeruf. am 17.06.2020.

[12] Vgl.: Mariam Lau: Harald Schmidt. Eine Biografie. München: Ullstein, 2003. Kay Sokolowsky: Late Night Solo: Die Methode Harald Schmidt, Berlin: Aufbau, 2004, Rob Vegas: Ich, Harald Schmidt. Die ganze unfassbare Wahrheit über mein Leben, München: Goldmann, 2015.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Literatur und andere Künste, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Ästhetik, Literatur des 20. Jahrhunderts, Literatur des 21. Jahrhunderts
Harald Schmidt ; Das Populäre

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Datum der Veröffentlichung: 29.03.2021
Letzte Änderung: 29.03.2021