CfP/CfA Veranstaltungen

»Gebt OG Keemo den Büchner-Preis!« – Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf Deutschrap

Beginn
30.03.2023
Ende
31.03.2023
Deadline Abstract
19.06.2022
Deadline Anmeldung
19.06.2022

Tagung, Literaturforum im Brecht-Haus, Berlin, 30. und 31. März 2023

Organisation: Julia Ingold (Bamberg), Manuel Paß (Berlin)

Forschungsprojekt: Logbuch Deutschrap (https://deutschraplogbuch.wordpress.com/)


2018 erhielt der Rapper Kendrick Lamar für sein Album To Pimp a Butterfly den Pulitzerpreis. Längst hat nicht nur die Kritik sondern auch die angelsächsische Literaturwissenschaft Kendrick Lamars Album für sich entdeckt. In den USA erlangt Rap als Kunstform allmählich die bürgerlichen Weihen des Kulturbetriebs. Und auch im deutschsprachigen Raum ist Rap gegenwärtig nicht nur die kommerziell erfolgreichste Musikrichtung, sondern seit einigen Jahren fest etabliert im kulturellen und medialen Mainstream. Künstler*innen wie Haftbefehl oder Hayiti, die eine bestimmte Aufmerksamkeitsschwelle passieren, werden durch die Feuilletons gereicht und mit hochtrabenden Begriffen des bildungsbürgerlichen Theorie-Kanons überhäuft. Parallel dazu ist Gangstarap Thema soziologischer und kulturwissenschaftlicher Arbeiten, die sich um dessen Verständnis als gesellschaftliches Phänomen bemühen. Dabei gerät in beiden Zugriffen auf deutschsprachigen Rap etwas aus dem Blick, das weder in einer fast exotistischen Begeisterung für den ‚fremden‘ Soziolekt aufgeht, noch in einer Betrachtung von Rap hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Rolle: Was in beiden Zugriffen vernachlässigt bleibt, ist die genuin literarische Dimension und Qualität der Texte.

Deutschsprachiger Rap (auch abseits der bekanntesten Künstler*innen) hat seit seinen Anfängen in den 1980er Jahren eine Vielfalt an Erzählformen, eigenen ästhetischen Stilmitteln und sprachlichen Innovationen hervorgebracht, die die Lyrics zweifelsohne als literarische Texte qualifizieren. Songs von Künstler*innen wie beispielsweise OG Keemo, Ebow oder Lord Folter stellen mehr dar als einfache ‚Genre-Literatur‘, die sich en bloc abhandeln ließe, sondern zeichnen sich durch jeweils charakteristische poetische Verfahren und sprachliche wie erzählerische Stilmittel aus, die sich mitunter sogar explizit intertextuell zu bestimmten literarische Traditionen in Bezug setzen. Rap inszeniert sich bisweilen selbst als ‚Hochkultur‘: Die Veranstaltungsreihe „Rapper lesen Rapper“ organisiert Lesungen in Theatern und Literaturhäusern, bei denen Rapper*innen Lyrics anderer Rapper*innen explizit nicht performen, sondern wie Gedichte vorlesen. Rap findet Eingang in Gegenwartsliteratur: Sibylle Berg gab ihrem letzten Roman den Titel GRM (‚grime‘, die Genre-Bezeichnung des UK-Rap). Angela Lehners Roman 2001 verhandelt Hip Hop als Jugendkultur in der österreichischen Provinz. Der Berliner Rapper Testo (Zugezogen Maskulin) veröffentlicht unter seinem bürgerlichen Namen Hendrik Bolz mit Nullerjahre. Jugend in blühenden Landschaften einen ostdeutschen Coming-of-age-Roman. Und deutschsprachige Theater kooperieren immer häufiger mit Rap-Künstler*innen: Der Rapper Amewu spielte in Thomas Ostermeiers Adaption von Didier Eribons Rückkehr nach Reims eine Rolle. Die Rapperin Antifuchs war an der Stückentwicklung und Performance von cloud*s*cape am Münchner Volkstheater beteiligt. Und am Hamburger Thalia Theater entstand eine Inszenierung von Sibylle Bergs GRM unter Einbindung des Londoner Grime-Kollektivs Ruff Sqwad Arts Foundation.

Ein literaturwissenschaftlicher Blick auf deutschsprachigen Sprechgesang lohnt deshalb nicht nur, um Rap das angemessene Verständnis als Gegenwartslyrik und Erzählform entgegenzubringen, sondern berührt auch zentrale Fragen der Literaturwissenschaft selbst: Welche Formen von Autofiktion finden sich in einer Texttradition, die wie keine andere zwischen Faktualität und Fiktionalität oszilliert, gleichermaßen auf Authentizität wie Inszenierung abzielt? Wer erzählt in unserer Gesellschaft Geschichten und wessen Geschichten werden gehört? Lassen sich Raptracks als narratives Medium einer Klasse begreifen, die sich an den Schreibinstituten und Filmschulen kaum repräsentiert findet? Ist Rap Kunst? Will Rap Kunst sein? Oder kokettiert das Genre nicht gerade affirmativ mit Kommerz jenseits bürgerlich gesetzter Kunstförmigkeit? Und wie sähe für die Literaturwissenschaft eine angemessene Praxis der Kritik dieser Texte aus? Macht man sie, indem man sie als Literatur behandelt, auf übergriffige Weise zu einem Bildungsgut oder rückt man auf diese Art erst angemessen ihre literarische Innovationskraft in den Blick?

Diese und weitere Fragen wollen wir uns im Rahmen der Tagung stellen. Mögliche Themen und Aspekte sind:

Lyricism & Storytelling: Inwieweit erweitert Deutschrap die dichterischen Möglichkeiten der deutschen Sprache?

  • der Deutschraptext als ästhetisches Artefakt
  • Intertextualität
  • Gattungstraditionen/Gattungsfragen: Rap als “Gegenwartslyrik”?
  • innovative Reimformen (“multi-syllables”)
  • Neologismen und Jugendsprache
  • genrespezifische Merkmale
  • Rap als Lautpoesie
  • Dialekt und Soziolekt als (phonetische) Stilmittel
  • poetologische Raptracks


Ästhetik, Autonomie, Ausverkauf: Wie verortet sich Deutschrap zwischen autonomer Kunst und ostentativem Kommerz?

  • Künstlertypen
  • Rap als Anti-Kunst
  • Autonomie/Postautonomie: Inszenierung von Kunst-Autonomie und Kommerzialität als verschiedene emanzipatorische Verfahren
  • “Marketing ist die Kunst der Gegenwart”
  • Dingwelt und Warenfetischismus


Klasse erzählen: Welche klassenbewussten und subversiven Formen des Erzählens finden sich im Deutschrap?

  • Authentizität und Autofiktion
  • Provokation und Tabubruch
  • Battlerap als Aushandlungsrahmen konkurrierender milieuspezifischer Wertsysteme
  • Rap als genuin politische Kunstform
  • prekäre Stimmen, subalterne Erfahrungswelten
  • (post)migrantische und ostdeutsche Erfahrungen
  • Rap als “gesellschaftliches Unbewusstes”?
  • Topoi der Unterklasse


Methode und Kritik: Wer spricht wie über welchen Deutschrap?

  • Klassenherkunft und Milieu von Künstler*innen und Forschenden
  • Relevanzkriterien: Rap als “Massenphänomen” oder “ästhetisches Artefakt”
  • wider eine rein soziologische Lesart
  • Deutschrap aus Sicht der Postcritique 
  • Rap in der Popmusikforschung
  • interdisziplinäre Ansätze
  • szeneinterne Exegese

Wir erbitten Beiträge von maximal 25 Minuten Länge, inklusive etwaiger vorgespielter Tracks. Bitte senden Sie Abstracts von höchstens einer Seite sowie einen Link, unter dem wir mehr über Sie erfahren können, oder eine kurze bio-bibliographische Angabe bis zum 19. Juni 2022 an julia.ingold@uni-bamberg.de und manuel.pass@fu-berlin.de. Wir werden für die Veranstaltung eine Förderung beantragen, um die Reise- und Unterbringungskosten zu decken. Eine Veröffent- lichung der Ergebnisse ist vorgesehen. Auf unserem Blog Logbuch Deutschrap (https://deut- schraplogbuch.wordpress.com/) finden Sie immer die aktuellsten Informationen.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literaturtheorie, Literatur und andere Künste, Poetik, Gattungspoetik, Andere lyrische Formen, Ästhetik, Rhetorik

Links

Dateien

Ansprechpartner

Einrichtungen

Literaturforum Brecht-Haus

Adressen

Stuttgarter Platz
10627 Berlin
Deutschland
Beitrag von: Paul Manuel Paß
Datum der Veröffentlichung: 10.05.2022
Letzte Änderung: 13.05.2022