Der Wald in der Literatur des Mittelalters. Konzepte – Funktionen – Deutungen
Der Wald in der Literatur des Mittelalters
Konzepte – Funktionen – Deutungen
Workshop
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
8./9. Oktober 2020
Der Wald begegnet in allen erzählenden Textgattungen und Texten der mittelalterlichen Zeit: Er wird als Durchgangsraum ebenso wie als Handlungsraum inszeniert, er ist Ort der Liebe, des Mordes und der Jagd. Der Wald ist ‚Wildnis‘, hortus conclusus, locus amoenus – er gehört zur Anderswelt und bildet ein Gegenkonzept zu umfriedeten Bereichen wie Hof, Kloster und Stadt. So vielfältig die Konzeptualisierungen des Waldes sind, so vielfältig sind auch seine Funktionen und dementsprechend komplex ist sein Deutungspotential.
Immer wieder ist der Wald perspektiviert worden: als wilder Wald (Schmid-Cadalbert 1989, Schulz 2003), als handlungsloser Raum bzw. als Durchgangsraum (Brinker-von der Heyde 2005), als Raum des Mythos und des Erzählens (Schnyder 2008). Zuletzt erfolgte eine systematisierende Auswertung auf breiterer Quellenbasis (Liebermann 2019). Die literarische Gestaltung, Verarbeitung und Funktionalisierung des Waldes finden immer wieder Berücksichtigung, allerdings bleiben die Auswertungen zumeist punktuell (eine noch immer erhellende Ausnahme bildet die romanistische Studie von Stauffer 1958). Der Band ‚Der Wald im Mittelalter. Funktion, Nutzung, Deutung‘ (Vavra 2008) versammelt Beiträge unterschiedlicher Disziplinen und bietet neben allgemeinen Grundlagen auch vertiefende Beiträge.
Die Ausstellung ‚Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald‘ (2011 im Deutschen Historischen Museum Berlin) unterstreicht das allgemein kulturhistorische Interesse, der zahlreiche Essays enthaltende Ausstellungsband beleuchtet Aspekte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Breymeyer/ Ulrich 2011). Von germanistisch-mediävistischer Seite liegt bislang keine umfassende Studie oder ein möglichst viele Facetten bündelnder Sammelband vor, insbesondere vor dem Hintergrund der wiedererstarkenden Raumtheorie (Gerok-Reiter/ Hammer 2015, Hammer 2019) erscheint eine Zusammenführung bestehender Ansätze, aber auch eine Neuperspektivierung dringend geboten und äußerst lohnenswert (Stichpunkte: Heterotopie, Chronotopos, Schwellenraum, Episode vs. Modul).
Der Workshop möchte ein Forum bieten, um Strategien zu entwickeln und Ansätze zu erproben, mit denen Konzeptualisierungen, Funktionen und Deutungen des Waldraumes in der Literatur des Mittelalters (neu) aufgearbeitet werden können. Die Vorträge sollen erste Annäherungen bieten und Überlegungen zur Diskussion stellen. Mögliche Themenbereiche und grundlegende Zugänge könnten sein:
- Textsorten und Gattungen
Impulse: einzelne Texte und Textgruppen (gattungsbezogen oder -übergreifend), neben der Epik auch Lyrik und nicht-epische Texte
- Zeitstufen und Sprachräume
Impulse: Raumspezifika: z.B. der Wald in den südlichen Teilen des deutschen Sprachraums (Tirol, Bayern) und im Norden; Zeitspezifika: z.B. der Wald in früh-, hoch- und spätmittelalterlichen Texten
- Semantisches Profil und sprachliche Realisierung
Impulse: unterschiedliche Waldbezeichnungen (tan, walt); semantische Felder (z.B. Modifikation als grüen, groz, vinster, wild); Konzeptualisierung (Wald als ‚Wildnis‘)
- Raum – Zeit – Figuren
Impuls: Anschluss an neueste theoretische Zugänge spezifische Analysen von Raum- und Zeitstrukturen sowie des Personals und der Figurenzeichnung
- Weiterführende Perspektiven
Impulse: Der Wald in Text und Bild; Walddarstellungen in der deutschsprachigen Literatur im Verhältnis zur Vorlage; Ausdifferenzierung in der parallelen Überlieferung; Konzeptualisierungen in angrenzenden Philologien
Im Rahmen des Workshops soll ein Panorama von Konzepten, Funktionen und Deutungen des Waldes in der Literatur des Mittelalters entfaltet werden; geplant ist eine Publikation (Sammelband) als Themenheft der Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung (digital).
Um ein Abstract (ca. 1 Seite) wird bis zum 12. Januar 2020 gebeten (30 Minuten Vortragsdauer + 15 Minuten Diskussion), EMail an: simone.schultz-balluff@uni-bonn.de.
Der Workshop findet an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn statt, Tagungsort ist das Haus der Natur (Venusberg/ Waldau). Mittel zur Deckung der Kosten für Reise und Unterkunft werden beantragt.
Verantwortlich:
PD Dr. Simone Schultz-Balluff
Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Am Hofgarten 22, R. 2.007 | 53113 Bonn
simone.schultz-balluff@uni-bonn.de
Erwähnte Literatur:
Breymayer, Ursula/ Ulrich, Bernd (Hgg.): Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald. Für das Deutsche Historische Museum. Dresden 2011.
Brinker-von der Heyde, Claudia: Zwischenräume. Zur Konstruktion und Funktion des handlungslosen Raums. In: Vavra, Elisabeth (Hg.): Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter. Akten des 10. Symposiums des Mediävistenverbandes, Krems, 24.-26. März 2003. Berlin 2005, S. 203-214.
Gerok-Reiter, Annette/ Hammer, Franziska: Spatial Turn/Raumforschung. In: Ackermann, Christiane/ Egerding, Michael (Hgg.): Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. Berlin/ Boston 2015, S. 481–516.
Hammer, Franziska: Räume erzählen – erzählende Räume. Raumdarstellung als Poetik. Mit einer exemplarischen Analyse des ‚Nibelungenliedes‘. Heidelberg 2018. (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte)
Liebermann, Anna-Lena: Wald, Lichtung, Rodung, Baum. In: Renz, Tilo/ Hanauska, Monika/ Herweg, Mathias (Hg.): Literarische Orte in deutschsprachigen Erzählungen des Mittelalters. Ein Handbuch. Berlin/Boston 2019, S. 547-561.
Schmid-Cadalbert, Christian: Der wilde Wald. Zur Darstellung und Funktion eines Raumes in der mittelhochdeutschen Literatur. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp zum 70. Geburtstag. Bern/ Stuttgart 1989, S. 24-47.
Schnyder, Mireille: Der Wald in der höfischen Literatur: Raum des Mythos und des Erzählens. In: Vavra, Elisabeth (Hg.): Der Wald im Mittelalter. Funktion – Nutzung – Deutung. Das Mittelalter 13 (2008), Heft 2, S. 122-135.
Schulz, Armin: in dem wilden wald. Außerhöfische Sonderräume, Liminalität und mythisierendes Erzählen in den Tristan-Dichtungen: Eilhart – Béroul – Gottfried. In: DVJS 77 (2003), S. 515-547.
Stauffer, Marianne: Der Wald. Zur Darstellung und Deutung der Natur im Mittelalter. Zürich 1958.
Vavra, Elisabeth (Hg.): Der Wald im Mittelalter. Funktion – Nutzung – Deutung. Das Mittelalter 13 (2008), Heft 2.