CfP/CfA Publikationen

Ästhetiken des Posthumanen in Literatur und Medien, Studia Germanica Posnaniensia XLII, 2022

Deadline Abstract
15.08.2021

Die sog. posthumane Wende richtet sich gegen die universalistische Vorstellung vom Menschen als dem ‚Maß aller Dinge‘, die Hierarchie der Arten und das Postulat der menschlichen Außergewöhnlichkeit. Sie unternimmt es, das im westlichen Denken verankerte Menschenbild, das sich kategorial von sogenannten ‚Anderen‘ wie Tieren, Pflanzen oder Objekten absetzt, in Frage zu stellen und den Menschen neu zu definieren. Posthumanismus kommt damit in Grenzüberschreitungen, Nivellierungen von Hierarchien und Neuperspektivierungen zum Tragen. Dabei geht stets um eine Neubestimmung des Menschen als Bestandteil der lebendigen Welt. Der kritische Posthumanismus (Braidotti 2014) relativiert – in Anlehnung an Bruno Latours Akteur-Netzwerktheorie – ein anthropozentrisches Weltbild und eine nur auf den Menschen begrenzte Handlungsmacht und betont dessen Einbettung in größere organisch-biologische, tiefenökologische und anorganisch-technische Gefüge. Die Verwobenheit von menschenerzeugter Kultur und Natur macht bereits der von Donna Haraway (2003) ins Spiel gebrachte Begriff der ‚NatureCulture‘ sinnfällig. Überschneidungen ergeben sich auch zum Ecocriticism, der die komplexe Interaktion des Menschen mit den Kräften der Natur und die Interdependenz alles Seienden bekräftigt, bis hin zu einem „ökosophischen“ Ansatz, wie er von Félix Guattari (1994) formuliert wurde. Es bestehen zudem Querverbindungen zwischen der Eröffnung posthumaner Perspektiven und neomaterialistischen Denkansätzen. So werden etwa bei Karen Barad (2003) oder Jane Bennett (2010) Natur und Materie als lebendige Akteure betrachtet, welche untrennbar mit dem Menschlichen verbunden sind. Die Materie wird hier als vital, handlungsmächtig und verwoben mit diskursiven Phänomenen gedacht. Der Mensch geht damit in das Gefüge einer verteilten Handlungsmacht ein, er erscheint als Element eines Netzwerks belebter und nicht-organischer Agenzien, resoniert mit seiner Umwelt und wird zum Teil der ‚vibrierenden Materie‘ (Bennett 2010).

Der kritische Posthumanismus plädiert damit für eine Vision des Subjekts als verleiblichte und eingebettete, relationale Entität, die affektive Beziehungen zum Nichtmenschlichen eingeht. Diese Haltung hat ethische Konsequenzen (MacCormack 2016), denn sie überwindet die Dominanz des essentialistisch definierten Menschen und transzendiert die Grenzen des Humanen über eine anthropozentrische Denkweise hinaus. Eine materiell eingebundene und verkörperte, affektive und relationale Sichtweise des Subjekts bahnt den Weg zu einem nicht-hierarchischen Verhältnis zwischen den Arten und definiert althergebrachte, binäre Gegensätze wie Natur / Kultur, menschlich / nicht-menschlich um. So wird etwa bei Rosi Braidotti (2014) ein post-anthropozentrisches, relationales Beziehungssubjekt zur Disposition gestellt, ausgestattet mit einer Ethik, die sowohl menschliche als auch nicht-anthropomorphe Elemente mit einschließt. Es geht hierbei um die Ausbildung einer responsiven Haltung, einer Fähigkeit des Antwortens („response-ability“) als Interaktion mit der Lebenswelt, wie sie beispielsweise in der Kategorie der „Companion Species“ von Donna Haraway (2003) angelegt ist. Durch Achtsamkeit gegenüber den vielgestaltigen Verbindungen von Menschen und Tieren könnten nach Haraway neue theoretische und methodologische Ansätze entwickelt werden, die sich durch die Verpflichtung gegenüber ‚bedeutender Andersheit’ („significant otherness“) im Zusammenleben aller Arten von Wesen auszeichneten (vgl. Haraway 2003, 2008). Wichtige Impulse sind von den Animal Studies ausgegangen, die die Repräsentation von Tieren in Kunst, Medien und Literatur sowie die Rolle von Tieren und Tierbildern in den Denksystemen westlicher Gesellschaften erforschen und dabei die Mensch-Tier-Verhältnisse als Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse einer kritischen Analyse unterziehen. Die Kategorie des Humanen wird aus dieser Perspektive radikal herausgefordert (Wolfe 2009).

Das Themenheft von „Studia Germanica Posnaniensia“ möchte literarische Texte und mediale Artefakte wie etwa Filme, Graphic Novels bzw. Comics, Installationen und Performances aus einer weit gefassten posthumanistischen Perspektive in den Blick nehmen. Er reiht sich damit ein in die Debatte um die Neudefinition des Menschen, die zugleich eine Neubestimmung der Natur, der Materie und deren Interaktion mit dem Menschen, seiner Kultur und Technologie sowie mit diskursiven Prozessen einschließt. Erwünscht sind Beiträge, welche die von Posthumanismus, New Materialism, Ecocriticism oder auch den Animal Studies entwickelten Konzepte von Mensch und Natur für die Analyse literarischer Texte und anderer medialer Formate nutzbar machen. Dabei sollen die Möglichkeiten von Literatur und Medien zur Darstellung, performativen Inszenierung und Verhandlung des Verhältnisses von Mensch und Umwelt ausgelotet werden. In einer Zusammenschau der differierenden medialen Dispositive sollen Ansätze zu einer Ästhetik des Posthumanen entwickelt werden. Das Spektrum der ästhetischen Ausformungen der posthumanen Kondition reicht von literarischen Vergegenwärtigungen von Natur über die Simulierung der Sinneserfahrung, die von einer authentischen Naturwahrnehmung und -erkundung ausgeht, so wie sie etwa im Kontext des ‚New Nature Writing‘ zur Sprache gebracht werden (vgl. Fischer 2019), bis hin zu komplexen Verhandlungen des Mensch-Natur-Verhältnisses. So lassen literarische Texte oder auch Filme mittels Fiktionalisierung einen Möglichkeits- und Simulationsraum entstehen, in dem sich Re-perspektivierungen, Umordnungen und Neuverschaltung von Begriffen ereignen und essentialistisch gedachte Entitäten neu zur Disposition gestellt werden. Auf sprachlich-rhetorischer Ebene können Bedeutungen dekonstruiert und Kategorien und Domänen ins Gleiten gebracht werden. In der poetischen Imagination können neue Formen von Agency erprobt und das Handlungs- und Bedeutungspotential nicht-menschlicher Akteure, dem ‚more-than-human‘ oder ‚other-than-human‘ erschlossen werden. Die visuelle Medien erschließen wiederum neue Schauräume, welche die Perspektive des Humanen überschreiten und eine posthumane Welt in den Blick rücken. Sie avancieren dann zum Instrument gegenläufiger Praktiken und Katalysator transversaler Wahrnehmungsereignisse, die „dissidente Vektoren“ (Guattari 1994: 39) zu der vom Menschen installierten, hegemonialen Ordnung der Dinge legen. Indem sie das Ineinandergreifen menschlicher und nichtmenschlicher Welten sichtbar machen, werden Medien zum Verhandlungsraum der Mensch-Naturrelationen und des Ortes des Menschen im natur-kulturellen Ganzen.

Interessant wären folgende Fragestellungen, die gerne um weitere ergänzt werden können:

• Wie werden in literarischen Texten oder anderen medialen Artefakten die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umwelt entfaltet?

• Welche imaginativen Versuche werden unternommen, den Menschen posthumanistisch zu denken und ihn als einen Teil von Netzwerken verteilter Handlungsträger zu konzipieren, die auch Tiere, Pflanzen oder Gegenstände einbegreifen?

• Wo partizipieren die Texte an einer „Ästhetik des Lebendigen“ (Riechelmann / Oetker 2016) oder weisen über eine solche hinaus?

• Wie werden die Verschränkungen nichtmenschlichen und menschlichen Lebens ästhetisch ausgestaltet?

• Welche medialen Dispositive werden ausgespielt, um post-anthropozentrische Zugänge zur Lebenswelt zu konturieren?

• Wie wird das Verhältnis von Mensch und Tier modelliert? Welche Rolle spielen Empathie oder eine Ethik der Verwobenheit unterschiedlicher Entitäten?

• Wie werden Materialitätsästhetiken mitsamt ihrer diskursiven Verstrickungen entfaltet?

• Welche transversale Allianzen, alternative Visionen und Praktiken werden erprobt, die das Eingefaltet-Sein in Umwelten ästhetisch produktiv machen?

• Wie vollzieht sich in Literatur und Medien die Auflösung und Neuverhandlung binärer Oppositionsbildungen wie menschlich / nicht-menschlich, belebt / unbelebt, Organismus / Apparat, oder Natur / Kultur bzw. Kultur / Materie?

Willkommen sind sowohl Beiträge (in deutscher oder englischer Sprache) zu einzelnen Werken oder Autor*innen als auch zusammenfassende Darstellungen oder theoretische Zugriffe.

Alle Interessierten werden gebeten, Themenvorschläge mit kurzen Abstracts (etwa ½ Seite) bis zum 15.08.2021 an Univ.-Prof. Dr. habil. Beate Sommerfeld (bsommer@amu.edu.pl) zu senden.

Auf die Beiträge warten wir bis zum 28.02.2022, das Manuskript sollte ca. 16 Seiten umfassen.

Die eingereichten Beiträge werden von zwei externen Gutachtern bewertet. Die Zeitschrift erscheint 2022 in zweifacher Form (gedruckt, die Beiträge sind zudem online im Open Access zugänglich).

 

Literatur:

Barad, Karen: Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Matter comes to Matter, „Signs” 2003, vol. 28, nr 3, pp. 801-831.

Bennett, Jane: Vibrant matter. A political ecology of things, Durham: Duke University Press 2010.

Braidotti, Rosi: Posthumanismus. Jenseits des Menschen, Frankfurt a./M.: Campus 2014.

Fischer, Ludwig: Natur im Sinn: Naturwahrnehmung und Literatur, Matthes & Seitz: Berlin 2019

Guattari, Félix, Die drei Ökologien, aus dem Französischen von Alec Schaerer, Wien: Passagen 1994.

Haraway, Donna J.: The Companion Species Manifesto. Dogs, People, and Significant Otherness, Chicago: Prickly Paradigm Press 2003.

Haraway, Donna J.: When Species Meet, Minnesota: University of Minnesota Press 2008.

MacCormack, Patricia: Posthuman Ethics, London, New York: Routledge 2016.

Riechelmann, Cord, Oetker, Brigitte (eds.): Toward an Aesthetics of living beings / Zu einer Ästhetik des Lebendigen, Sternberg Press: Berlin 2016.

Wolfe, Cary: Human, All Too Human: ‘Animal Studies’ and the Humanities, PMLA 124 (2009), pp. 564–575.

 

Call for Papers: Aesthetics of the Posthuman in Literature and Media

(Studia Germanica Posnaniensia XLII).

The so-called ‘posthuman turn’ challenges the universalistic conception of the human as the ‚measure of things’, the hierarchy of species and the postulate of human extraordinariness. Posthumanism questions the image of man anchored in Western thinking, which categorically differs from the so-called ‘others’ such as animals, plants or objects. Posthumanism seeks to cross boundaries, level hierarchies and gain new perspectives. It ist about a redefinition of the human as part of the living world. Critical posthumanism (Braidotti 2014) relativizes – based in Bruno Latour’s actor-network theory – an anthropocentric worldview and an agency limited only to the human and emphasizes its embedding in larger organic-biological, deep-ecological and inorganic-technical structures. The interweaving of man-made culture and nature is already evident in the concept of ‘NatureCulture’ brought into play by Donna Haraway (2003). There are also overlaps with Ecocriticism, which affirms the complex interaction of humans with nature and the interdependence of all beings, up to an ‘ecosophical’ approach as formulated by Félix Guattari (1994). There are also cross connections between the opening of posthuman perspectives and neo-materialist approaches. Karen Barad (2003) or Jane Bennett (2010), for example, conceive nature and matter as actors that are inextricably linked with the human. Matter is thought of as vital, capable of agency and interwoven with discursive phenomena. The human subject thus appears as an element of a network of animate and non-organic agencies, it resonates with the environment and becomes a part of the ‘vibrant matter’ (Bennett 2010).

Critical posthumanism advocates a vision of the subject as an embodied and embedded entity that enters into affective relationships with the non-human. This idea of the subject has ethical consequences (MacCormack 2016), because it overcomes the dominance of the essentialistically defined human being and delimitates the boundaries of the human beyond an anthropocentric way of thinking. A materially embedded and embodied, affective and relational approach to the human subject paves the way to a non-hierarchical relationship between species and redefines traditional dichotomies such as nature / culture, human / non-human. Rosi Braidotti (2014), for example, postulates a post-anthropocentric subject with an ethical attitude that includes both human and non-anthropomorphic elements. It is about the development of a responsive attitude, an ability to respond (‘response-ability‘) as an interaction with the living environment, as it is laid out in the category of ‘Companion Species’, developed by Donna Haraway (2003). By paying attention to the diverse connections between humans and animals, according to Haraway, new theoretical and methodological approaches could by developed, which are characterized by the obligation to ‘significant otherness’ in the coexistence of all beings (Haraway 2003, 2008). Important impulses came from the Animal Studies, which investigate the representations of animals in art, media and literature as well as the role of animals and animal images in Western societies and think of human-animal relationships as marked by violence and exploitation. From this perspective, the category of the human is radically challenged (Wolfe 2009).

The volume aims to examine literary texts and media artifacts such as films, graphic novels or comics, installations and performances from a broad, posthumanist perspective. It joins the debate about the redefinition of the human, which at the same time includes a redefinition of nature, matter and their interaction with man, his culture and technology as well as with discursive processes. Contributions are welcome that apply the concepts developed by Posthumanism, New Materialism, Ecocriticism or Animal Studies to the analysis of literature and media. We welcome papers that explore the potentials of literary texts and media for the representation, inscenizations and negotiation of the relationship between the human and the non-human. By taking into account different ‘media dispositives’, we intend to develop approaches to aesthetics of the posthuman. The spectrum of aesthetic formations of the posthuman condition ranges from new forms of ‘nature writing’, which simulate the sensory experience of nature, based on an genuine perception and exploration of nature (Fischer 2019), to complex negotiations of the human-nature relationship. Fictional texts create a virtual space of simulation, in which are possible re-perspectivations and opening up of concepts to re-negotiations. On a rhetorical level, meanings, categories and domains can be deconstructed and dynamized. In poetic imagination, new forms of agency can be explored that include the ‘more-non-human’ or ‘other-than-human’. The visual media, in turn, can unfold new visions that transcend the perspective of the human and bring into focus a posthuman world. They can thus be an instrument of transversal practices and a catalyst of new perceptions that introduce “dissident vectors” (Guattari 1994: 39) in the hegemonic order of things installed by humans. By visualizing the interweaving of human and non-human worlds, media become a space for negotiation of human-nature relations and the place of man in the natural-cultural whole.

The following questions could be interesting, which can by supplemented with more:

• How do literary texts and other media artifacts unfold the complex interdependencies between the human and its natural environment?

• What imaginative attempts are being made to think the human from a posthuman perspective and to conceive human beings as a part of actor-networks which also include animals, plants and objects?

• Where do literary texts and media explore – or point beyond – an ‚aesthetics of living beings‘ (Riechelmann / Oetker 2016)?

• How are the entanglements of the non-human and the human represented aesthetically?

• Which media dispositives are played out in order to outline post-anthropocentric approaches to the world we live in?

• How is the relationship between humans and animals shaped? Which role play empathy or an ethic attitude toward ‘other’ entities?

• Where are being tried out transversal alliances, alternative visions and practices which make the ‘being folded in’ in environments aesthetically productive?

• Are there being unfolded materiality aesthetics and the discursive entanglement of matter?

• How does the dissolution and re-negotiation of dichotomies such as human / non-human, animate / inanimate or nature / culture take place in literature and media?

Contributions (in German and English) about particular works or authors as well as summarizing presentations or theoretical outlines are welcome.

Please send short abstracts (1/2 page) to Prof. Dr. habil. Beate Sommerfeld (bsommer@amu.edu.pl) until August 15th 2021.

The submission deadline is February 28th. 2022. The manuscript should be around 16 pages.

The submitted contributions will be assessed by two external reviewers. The volume appears 2022 in two forms (printed, the articles are also accessible online in Open Access).

 

References:

Barad, Karen: Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Matter comes to Matter, „Signs” 2003, vol. 28, nr 3, pp. 801-831.

Bennett, Jane: Vibrant matter. A political ecology of things, Durham: Duke University Press 2010.

Braidotti, Rosi: Posthumanismus. Jenseits des Menschen, Frankfurt a./M.: Campus 2014.

Fischer, Ludwig: Natur im Sinn: Naturwahrnehmung und Literatur, Matthes & Seitz: Berlin 2019. Guattari, Félix, Die drei Ökologien, aus dem Französischen von Alec Schaerer, Wien: Passagen 1994.

Haraway, Donna J.: The Companion Species Manifesto. Dogs, People, and Significant Otherness, Chicago: Prickly Paradigm Press 2003.

Haraway, Donna J.: When Species Meet, Minnesota: University of Minnesota Press 2008.

MacCormack, Patricia: Posthuman Ethics, London, New York: Routledge 2016.

Riechelmann, Cord, Oetker, Brigitte (eds.): Toward an Aesthetics of living beings / Zu einer Ästhetik des Lebendigen, Sternberg Press: Berlin 2016.

Wolfe, Cary: Human, All Too Human: ‘Animal Studies’ and the Humanities, PMLA 124 (2009), pp. 564–575.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literaturtheorie, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Literatur und Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften, Literatur und Medienwissenschaften, Ästhetik
Posthumanismus

Links

ISSN: 0137-2467

Ansprechpartner

Einrichtungen

Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu | Adam Mickiewicz University (AMU)
Institut für Germanische Philologie

Adressen

Posen
Polen
Datum der Veröffentlichung: 28.05.2021
Letzte Änderung: 28.05.2021