CfP/CfA Veranstaltungen

Denken und schreiben zwischen den Sprachen: Gekreuzte Blicke auf die deutsch-französische Avantgarde, Germersheim


Veranstaltungsdatum:

06.11.2025-08.11.2025

Deadline Abstract:

15.06.2025

Denken und schreiben zwischen den Sprachen: Gekreuzte Blicke auf die deutsch-französische Avantgarde 
(Tagung an der JGU Mainz/Campus Germersheim, 6.-8.11.2025)

Organisiert von Prof. Dr. Eva Wiegmann (Mainz)

Die europäischen Avantgardeströmungen haben zweifellos eine transkulturelle Dimension und gehen mit einer erhöhten Mobilität nicht nur von Konzepten, sondern auch von Akteuren und Akteurinnen einher. Vielfach wurde durch Reisen und Korrespondenzen Anregung und Austausch über nationale Grenzen hinaus gesucht, so dass man durchaus von „internationale[n] Bewegungen programmatischen Charakters“ (Mannes 2007: 11) sprechen kann, deren antibürgerlicher, kunst- und lebenserneuender Affekt sich (teilweise auch Exil bedingt) über nationalen Grenzen hinwegsetzt.

Betrachtet man die Avantgarden aus der Perspektive einer „travelling concept“-Forschung (vgl. u.a. Baal 2002), sollten jedoch nicht nur transkulturelle Gemeinsamkeiten herausgestellt werden, sondern auch die kultur- und sprachspezifischen Variationen der zirkulierenden Ideen Beachtung finden, welche durch Anpassungen an divergierende Kontexte unweigerlich zustande kommen. Wenn „ein Gedanke oder ein Sachverhalt von einer Sprache in eine andere übersetzt“ wird, „verändert er sich mit der neuen sprachlichen Gestalt“ und kann in der „Übersetzung neue, überraschende Perspektiven im Hinblick auf das zu Übersetzende eröffnen.“ ( Baschere/De Marchi/Zanetti 2019: 7) In diesem Sinne legt die Tagung den Akzent weniger auf die Universalität avantgardistischer Ideen und Konzepte als auf ein Denken und Schreiben zwischen den Sprachen und Kulturräumen, auf den Polyglottismus als avantgardistisches Moment. Es soll also nicht nur um die Transkulturalität avantgardistischer Konzepte gehen, sondern nachdrücklich auch um grenzüberschreitende Schreibbewegungen, in denen Sprache als literarästhetisches Medium in der deutsch-französischen Begegnung in Bewegung kommt. Den Ausganspunkt der Überlegungen bildet die These, dass sich wesentliche avantgardistische Impulse einem Denken und Schreiben zwischen den Sprachen verdanken, denn die Konfrontation unterschiedlicher Sprach- und Diskurswelten öffnet einen Möglichkeitsraum für andere Wahrnehmungs-, Denk- und Schreibweisen (vgl. Wiegmann 2025).

Die „Avantgarden“ sind „per Definition polyglott“ (Mannes 2007: 13). Dabei schließt die erhöhte Mobilität von Konzepten sowie von Akteuren und Akteurinnen auch die ‚Bewegung von Wörtern‘ (Brandel 2023) mit ein. Avantgardegeschichte ist in Teilen auch „Sprachverflechtungsgeschichte“ (Staiber/Weissmann 2023). Dabei ist den Wörtern in ihren jeweiligen einzelsprachlichen Kontexten nicht nur eine spezifische (sprach-)geschichtliche Bedeutungen eingeschrieben, sondern auch eine in diesen Kontexten geprägte „philosophische Grammatik“ (Brandel 2023: 9). Das Unbehagen und die Kritik an einer Erstarrung der Worte in einer von historischen Semantiken und unzeitgemäßen Begrifflichkeiten geprägten Sprache sowie das Verlangen nach ihrer Befreiung aus diesem „Gefängnis“ (Einstein 1992: 146) kennzeichnen die spracherneuernden Bestrebungen der literarischen Avantgarden. Der Ausbruch aus den einengenden Begriffsstrukturen führt nicht selten in den „Raum zwischen den Sprachen“, denn in der Konfrontation mit dem Anderen werden konventionalisierte Bedeutungszuweisen grundlegend in Frage gestellt. Jenseits unilateraler Semantiken eröffnet sich hier „die Chance, die Vorstellung einer hegemonialen Sprach- und Weltordnung“ in einem avantgardistischen Sinne „zu durchbrechen“ (Baschere/De Marchi/Zanetti 2019: 9). Im „Echoraum zwischen den Sprachen“ (Baschera 2019) hallen die divergierenden Einschreibungen nach, es kommt zu Verzerrungen, Ergänzungen, Überlagerungen. Neue Bedeutungsmöglichkeiten werden gefunden oder – wie etwa in der Dada-Bewegung um das Cabaret Voltaire – auch eine sinnfreie Klangästhetik der Worte realisiert. Im Raum zwischen den Sprachen kann „eine Art Sprachuniversum“ (Wismann 2012: 18) entdeckt werden, das mit seiner Vielfalt an Bedeutungsoptionen einer gewünschten Ästhetisierung der Worte Vorschub leistet. Dieser Bereich zwischen den Sprachen ist ein hochgradig poetischer Möglichkeitsraum. Polyglottismus öffnet den Zugang zu diesem poetischen Möglichkeitsraum und kann – nach Heinz Wismann, der hier an Rilke und Tsetaeva anknüpft – recht eigentlich als „la langue maternelle du poéte“ (Wismann 2012: 20) verstanden werden. 

In Bewegung kommt die deutschsprachige Dichtung u.a. durch den Widerhall Charles Baudelaires oder Arthur Rimbauds – etwa bei Stefan George, Georg Heym, Georg Trakl oder Gottfried Benn (vgl. Boussard 2019: 186). Wichtige intermediale Impulse geben auch die avantgardistischen Kreise der Pariser oder Brüsseler Kunstszene. So verdankt beispielsweise Carl Einsteins Negerplastik (1915) dem französischen Kunstdiskurs eine wesentliche Inspiration. Die „ästhetische Basisschrift“ (Neundorfer 2003: 28) des deutschsprachigen Avantgarde-Primitivismus weist dabei nicht nur eine Prägung durch den bildkünstlerischen Kubismus auf. Ihre epochemachende Neuakzentsetzung des Diskurses erfolgt auch auf der Basis einer polyglotten Schreibpraxis, in der die Echos der deutschen und die französische Sprache nachhallen und sich die unterschiedlichen Diskurslandschaften verbinden. Die progressive Neuausrichtung des Primitivismus lässt sich insofern nicht zuletzt auf eine Orientierung am französischen Begriff ‚art nègre‘ zurückführen, der den Akzent bei der Betrachtung afrikanischer Kunst von der Gleichsetzung mit dem archaisch Ursprünglichen, wie sie im deutschsprachigen Primitivismus-Diskurs bis dahin vorherrschte, verschiebt und ästhetische Gesichtspunkte in den Vordergrund rückt. Spannend sind auch Einsteins Negermythen und Negerlieder (1917) als sprachartistische Umformungen ethnologischer Aufzeichnungen, in denen das Französische als Kolonialsprache nachhallt. Insofern lässt sich auch aus einer postkolonialen Perspektive nach einem Denken und Schreiben zwischen den Sprachen fragen. Texte rücken dann als multidimensionale Gewebe oder interkulturelle Palimpseste in den Blick, in deren Vielstimmigkeit sich nicht nur sprachkritische oder ästhetische, sondern auch Macht-Diskurse spiegeln. 

Wenn die Tagung die deutsch-französische Avantgarde fokussiert, ist hier nicht primär eine nationalkulturelle, sondern vor allem eine sprachliche Ebene angesprochen. Insofern sind ebenso Perspektiven gewünscht, die belgische, luxemburgische, schweizerische, österreichische oder koloniale Kontexte aufrufen. 

  • die Entwicklung von einzelnen Avantgardekonzepten und -themen sowie Stilformen im Raum zwischen den Sprachen.
  • deutsch-französische Autoren und Autorinnen (im weitesten Sinne), die den Avantgarden zugeordnet werden können und zweisprachig und/oder als Selbstübersetzer und Selbstübersetzerinnen tätig waren (etwa Yvan Goll, Claire Goll, Hans/Jean Arp, Maxime Alexandre, René Schickele, Raoul Hausmann, Batty Weber, Paul Gérady u.a.).
  • Autoren und Autorinnen aus dem deutschsprachigen Raum, die Französisch in unterschiedlichem Maße als literarische Zweitsprache angenommen haben (etwa Stefan George, Rainer Maria Rilke, Walter Benjamin) oder aus dem französischsprachigen Raum, die auch das Deutsche als Literatursprache gewählt haben. 
  • Autoren und Autorinnen, in deren Texten Polyglottismus (auch vereinzelt) als poetisches Prinzip wirksam wird und die in ihrer Schreibpraxis mit Interferenzen, Übertragungen oder Mischungen zwischen den Sprachen gearbeitet haben.
  • Kulturvermittler*innen und Übersetzer*innen, Netzwerke, Zeitschriften und Anthologien.

Themenvorschläge mit einem knappen Exposé im Umfang von ca. einer Seite werden bis zum 15. Juni 2025 per Mail an Prof. Dr. Eva Wiegmann (ewiegman@uni-mainz.de) erbeten.

Die aktuelle (Teil-)Finanzierung der Veranstaltung erlaubt eine Übernahme der Reise- und Unterkunftskosten für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs zuzusagen. Um weitere Mittel bemühen wir uns noch.

Contact Information

Univ.-Prof. Dr. Eva Wiegmann
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Fachbereich 06 - Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft
Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik
An der Hochschule 2
76726 Germersheim

Contact Email

ewiegman@uni-mainz.de

Organisation

Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
Beitrag von: Redaktion avldigital.de
Veröffentlicht am: 07.04.2025
Letzte Änderung: 07.06.2025, 19:47

Vorgeschlagene Zitierweise:
"Denken und schreiben zwischen den Sprachen: Gekreuzte Blicke auf die deutsch-französische Avantgarde, Germersheim" (CfP/CfA Veranstaltungen), avldigital.de, veröffentlicht am: 07.04.2025. https://avldigital.de/de/vernetzen/fachinformationen/call-for-papers/denken-und-schreiben-zwischen-den-sprachen-gekreuzte-blicke-auf-die-deutsch-franzosische-avantgarde