Konferenzen, Tagungen

Epochenwenden und Epochenwandel

Beginn
07.04.2022
Ende
09.04.2022

Epochen sind das Ergebnis von Periodisierungstechniken, die der Selbst- oder Fremdbeschreibung dienen. Sie teilen den stetigen Zeitfluss in Zeiträume auf, denen jeweils so viel Homogenität zugesprochen werden kann, dass sie sich von anderen unterscheiden lassen. Sowohl die Geistes- als auch einige Naturwissenschaften (Geologie, Geographie, Biologie) organisieren ihr Material in solche großen Zeitabschnitte. Problematisch und interessant wird es stets an den Übergängen, wenn zwei Epochen (oder was man dafür hält) voneinander abzugrenzen oder zu verbinden sind. Dabei vollzogene Verschiebungen gehören zur historiographischen Dynamik und werden schließlich selbst Teil des historischen Materials. In den historisch-hermeneutischen Fächern ist der Epochenbegriff seit geraumer Zeit und mit Recht wegen seiner homogenisierenden und eurozentrischen Tendenzen kritisiert worden. Ob die gängig gewordenen Ersatzbildungen, wie beispielsweise ›lange‹ und ›kurze‹ Jahrhunderte, oder der Gebrauch des Plurals, etwa in der Formel von ›multiplen Modernen‹, die Probleme des Epochenbegriffs zu lösen vermögen, ist zu fragen. Dringenden Anlass, das zu tun, bietet die aktuelle Situation. Zwar war das Geschäft des ›Epochemachens‹ sogar im strengen Historismus alter Schule immer auch auf Nöte und Fragen der Gegenwart bezogen. Aber die Orientierung suchende oder anbietende Selbstverständigung über die eigene Epoche der Gegenwart – das Epochenbewusstsein der Zeitgenossenschaft – nimmt sich weiter reichende Lizenzen. So wird verständlich, wie schnell sich in der noch andauernden Pandemie die Rede von ›vor‹ und ›nach‹ Corona durchgesetzt hat. Das mag in vergleichbaren Krisensituationen ähnlich gewesen sein. Jetzt kommt der Umstand hinzu, dass diese Pandemie in die im Jahr 2000 aus der Taufe gehobene Epoche des Anthropozäns fällt und in der Folge auch die gerade für die Geisteswissenschaften seit Vico wichtige Unterscheidung zwischen historischen (Menschheits-)Epochen und solchen der Natur- bzw. Erdgeschichte durchlässiger geworden ist.

Aber in der kurzen Zeit, die seit der Planung dieser Tagung vergangen ist, hat ein Angriffskrieg in Europa – dieser bekannteste und schlimmste Typus eines ›epochalen‹ Ereignisses – die Bedingungen verändert, unter denen wir nach Epochenwandel und Epochenwenden fragen. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist nicht bloß von einer Epochen-, sondern allerorten von einer ›Zeitenwende‹ die Rede. Das Thema hat uns in der Gegenwart eingeholt und vielleicht schon überholt. Davon wollen und können wir nicht absehen, wenn wir nach der Funktion von Epochenwenden fragen.

 

Programm

Donnerstag, 7.4.2022

  • Zaal Andronikashvili, Eva Geulen, Georg Toepfer (ZfL): Einführung

Sektion 1: ›Epochenwende‹ als zeitdiagnostisches Instrument im 21. Jahrhundert

Moderation: Eva Geulen

15:00

  • Bettina Schlüter (Bonn): Im Novozän: Deepmind’s Epoche
  • Erich Hörl (Lüneburg): Im Epochenlosen der Disruption: Bernard Stieglers Neubestimmung von Epochalität

17:30

  • Abendvortrag: Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin): Kommen wir ohne die Moderne aus? Vorschläge für einen prozeduralen Epochenbegriff

Freitag, 8. April 2022

Sektion 2: Epochenwende als Zäsur
Moderation: Zaal Andronikashvili

9:30

  • Peter Wagner (Barcelona): Kritik, Krise und Problemverschiebungen. Wie bestimmen sich Transformationen der Moderne?
  • Barbara Picht (ZfL): Epochendeutungen im Systemkonflikt. Perspektiven europäischer Geschichts- und Literaturwissenschaftler auf den Kalten Krieg

12:00

  • Lars Koch (Dresden): Chernobyl als Disruption

Sektion 3: Formen und Figuren der Epochengliederung
Moderation: Georg Toepfer

14:30

  • Ernst Müller (ZfL): Figuren der historiographischen Binnengliederung des 20. Jahrhunderts
  • Barbara Mittler (Heidelberg): History-in-Common—Chronotypen, Epochen-Recycling und Weltgeschichte als geteiltes Erbe

17:00

  • Henning Trüper (ZfL): Epochenwenden und Kulturgeschichte des Moralischen

Samstag, 9. April 2022

Sektion 4: Epochen-Recycling
Moderation: Gianna Zocco

10:00

  • Valentin Groebner (Luzern): Retropie: Das Historische als Erlebnispark
  • Maud Meyzaud (ZfL): Die andere Aufklärung in Europa. Al-Andalus und die Folgen
Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literaturgeschichtsschreibung (Geschichte; Theorie), New Historicism, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies

Links

Ansprechpartner

Prof. Dr. Eva Geulen
PD Dr. Georg Toepfer
Dr. Zaal Andronikashvili

Einrichtungen

Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)

Adressen

Schützenstraße 18
10117 Berlin
Deutschland

Verknüpfte Ressourcen

Institutionen

Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)
Beitrag von: Georgia Lummert
Datum der Veröffentlichung: 17.03.2022
Letzte Änderung: 17.03.2022