Dissertation
Autor*in: Fynn-Adrian Richter

Liminales Dokumentieren. Zum poetologischen Reflexionsraum in Letzte-Mensch-Literatur (AT)

Geht man der Figur des letzten Menschen in der Literatur nach, stößt man auf eine überraschende Konstante: Die Letzte-Mensch-Szenarien verhandeln nicht nur – natürlich in je verschiedener Ausprägung – Fragen nach dem Katastrophischen und/oder nach der Zukunft, sondern sie widmen sich auch immer wieder ganz ureigenen Fragen der bzw. von Literatur selbst: Fragen etwa, die die literarische Produktion und Ästhetik, die literarische Kommunikation und Rezeption oder generell die Medien und Materialitäten der Literatur betreffen. Dergestalt eröffnen Letzte-Mensch-Texte einen poetologischen Reflexionsraum, den das Dissertationsprojekt sondieren möchte.

Bereits die frühen Texte des ‚Mini-Genres‘ führen diese, zuweilen selbst-reflexive und -kommentierende Ebene um 1800 mit, wie es an Erzählungen und Romanen von Jean-Baptiste de Grainville, Jean Paul oder Mary Shelley gezeigt werden kann. Auch um 1900, dem Beginn einer zweiten Konjunkturphase der LM-Literatur, und in Texten von Jules Verne oder Matthew Phipps Shiel lässt sich dieses Merkmal wiederfinden; ebenso wie die LM-Szenarien ab 1950 – und bis in die Gegenwart hinein (etwa von Arno Schmidt, Marlen Haushofer, David Markson, Jean Hegland, Yorck Kronenberg, Margaret Atwood, Michel Houellebecq, Jürgen Domian, Thomas Glavinic, Thomas von Steinaecker u.a.) – metapoetische und selbst-bewusste Reflexionen verstärkt implementieren.

Für das Projekt von Interesse sind dabei aber weniger individuelle Autor:innen-Poetiken bzw. die Frage, inwiefern sich auktoriale Schreib- und Wirkungs-Ästhetiken in den LM-Texten realisiert oder dokumentiert finden; vielmehr wird den spezifisch literarischen Ästhetiken und Inszenierungen solcherlei poetologischen Reflexionen im fiktionalen Text selbst nachgegangen: Sei es, dass über eine fiktive Autor:innen-Figur die Aufmerksamkeit auf die literarische inventio gelenkt wird; sei es, dass in intradiegetischen ‚Leseszenen‘ die Rezeptionssituation und Imaginationstätigkeit bespiegelt wird; sei es, dass in fiktiven ‚Editions-/Herausgabenszenen‘ handwerklich-philologische Aspekte des Büchermachens und -veröffentlichens im Zentrum stehen; oder aber sei es auch, dass in intra- und metadiegetischen ‚Schreibszenen‘ das Schreiben als Kulturtechnik und Praktik reflektiert wird. All dies ist thematischer Bestandteil der Letzte-Mensch-Literatur und ihren fiktiven (Un-)Welten.

Angesichts solch thematisch-motivischer Ausgestaltungen ist es also ein zentrales Anliegen des Projekts, gerade die Literatur und ihre fiktionalen Welten als genuinen Schauplatz der Selbst-Reflexion und als Ort medial-materieller Selbst-Bewusstheit in den Blick zu nehmen.

Einrichtungen

Ruhr-Universität Bochum (RUB)
Komparatistik
DFG-Graduiertenkolleg 2132: 'Das Dokumentarische: Exzess und Entzug'

Forschungsgebiete

Literatur und Medienwissenschaften, Poetik, Ästhetik
Materialität der Literatur Schreibszenenforschung
Beitrag von: Fynn-Adrian Richter
Datum der Veröffentlichung: 16.03.2022
Letzte Änderung: 16.03.2022