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Zagreber germanistische Beiträge: "Avantgarde als Netzwerk"

Deadline Abstract
31.05.2022
Deadline Beitrag
31.12.2022

Zagreber germanistische Beiträge

 

ISSN 1330-0946 (druck)  •  ISSN 1849-1766 (online)

Universität Zagreb  •  Philosophische Fakultät  •  Abteilung für Germanistik

https://zgbde.ffzg.unizg.hr

 

Jahrgang 32 (2023)

Themenschwerpunkt:

 

Avantgarde als Netzwerk

Hg. von Simone Zupfer (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

   

Die Forschung zur Avantgarde hat durch die Jahrestage zum Beginn und Ende des Ersten Weltkriegs, zum Ausbruch und Verlauf der Novemberrevolution sowie durch das Interesse an der Kunst und Kultur der Weimarer Republik zahlreiche neue Impulse erhalten. Beeinflusst werden die neuen Forschungstendenzen von der Beschreibung der Avantgarde als Netzwerk und Projekt, wie sie von Hubert van den Berg und Walter Fähnders vorgenommen wurde (Metzler Lexikon Avantgarde, 2009). Die Thesen zum Netzwerk Avantgarde beruhen auf den Ausführungen Pierre Bourdieus zum literarischen Feld (Die Regeln der Kunst, 2001), mit denen sich Selbstpositionierung und Gruppenbildung der beteiligten Protagonist*innen als Kampf um Aufmerksamkeit innerhalb des Literaturbetriebs beschreiben lassen. Aufgegriffen und für die Analyse der Avantgarde produktiv gemacht wurden die Überlegungen Bourdieus unter anderem von der deutschsprachigen Literatursoziologie (Christine Magerski, 2004 und 2011).

            Aktuelle Untersuchungen zur Avantgarde greifen nicht selten auf Feldtheorie und Netzwerkanalyse zurück und wenden diese auf Literatur, Publizistik, Tagebücher und Briefwechsel an. Walter Fähnders beschäftigt sich in seinen Ausführungen zu den Manifesten der Avantgarde mit dem Futuristischen Manifest Filippo Tommaso Marinettis und arbeitet dabei dessen Strategie zur Verbreitung des Futurismus heraus (Projekt Avantgarde, 2019). Heinrich Kaulen kann den Topos vom lebensfremden Intellektuellen Walter Benjamin durch die Rekonstruktion seiner literarischen Netzwerke hingegen als unzulänglich entlarven (Walter Benjamin: Werke und Nachlaß, Band 13.2., 2011).

            Einen Überblick über neue Forschungsansätze in der Avantgardeforschung bietet Frank Krause in seiner Einführung in den Expressionismus, in der er gleichermaßen auf den ›spatial‹ und ›material turn‹ in den Geisteswissenschaften aufmerksam macht (Literarischer Expressionismus, 2015). Eingang in die Avantgardeforschung haben zudem Untersuchungen zu Transnationalität und Transkulturalität erhalten. Diese machen nicht nur die internationale Vernetzung von Schriftsteller*innen und Künstler*innen deutlich, sondern belegen, dass sich ästhetische und weltanschauliche Erneuerungsideen über die Grenzen von Nation, Kultur und Konfession hinweg verbreiteten.

            Die Analyse von Netzwerken, die Sprach-, Kultur- und Religionsschranken überwinden, kann als Weiterführung und Erneuerung jener Arbeiten gedeutet werden, die sich schon seit längerer Zeit mit avantgardistischen Gruppen in der Provinz und ihren regionalen, nationalen sowie internationalen Bündnispartnern beschäftigen. Einschlägige Sammelbände, Studien und Kataloge sind dem rheinischen Expressionismus (Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande), der literarischen Moderne in Prag (Walter Schmitz) und dem Expressionismus in Dresden (Frank Almai) gewidmet.

            Neuerdings wird darüber hinaus immer wieder auf den Übergang von religiösen Erlösungsversprechungen in die Ästhetik der Avantgarde hingewiesen. Die Beeinflussung der avantgardistischen Poetik durch metaphysisches Denken lässt sich am Wirken des jüdischen Religionsphilosophen Paul Adler aufzeigen. Durch die Edition seiner Werke macht Annette Teufel die Rezeption eines Schriftstellers möglich, der die Poetik des Expressionismus mit der Wucht einer religiös geprägten Geschichtsphilosophie verbindet (Paul Adler: Gesammelte Werke, 2017ff.). Dass sich Schriftsteller wie Adler nicht unbedingt am Rand des literarischen Feldes bewegen mussten, belegt die Herausgeberin in ihrer Dissertation zu Leben und Werk des Autors (Der ›un-verständliche‹ Prophet, 2014).

            Auch gibt die Edition von Briefwechseln (Carl Einstein: Briefwechsel 1904–1940, 2020; Ernst Toller: Briefe 1915–1939, 2018; Max Herrmann-Neiße: Briefe, 2012), Publizistik, Feuilletons und Literaturkritik (Walter Benjamin: Werke und Nachlaß, Bd. 13.1.–13.2., 2011; Heinrich Mann: Essays und Publizistik, 2009ff.; Max Herrmann-Neiße: Kritiken und Essays 1909–1939, 2021ff.) und Tagebüchern (Thea Sternheim: Tagebücher 1903–1971, 2002; Erich Mühsam: Tagebücher, 2011ff.) der Auseinandersetzung mit den Netzwerken und der Lebenspraxis der Avantgarde durch die Bereitstellung wenig beachteter Gattungen eine neue, teilweise unbekannte Quellenbasis. Das Bedauern über die Abwesenheit weiblicher Stimmen in der Literatur der Avantgarde wird durch Ausgaben der Werke von Emmy Hennings (Werke und Briefe, 2015ff.) und Hermynia Zur Mühlen (Werke, 2019) als unzulänglich entlarvt.

            Gerade die Beschäftigung mit der Publizistik des Expressionismus schärft die Aufmerksamkeit für bislang übersehene oder vernachlässigte Debatten innerhalb der Avantgarde. Deutlich wird das in der Dissertation Netzwerk Avantgarde (2021) in der Simone Zupfer die Literaturkritik in den Zeitschriften des Expressionismus als Verhandlung der Avantgarde über die Literatur der Moderne beschreibt. Sibylle Schönborn betont in ihrem Aufsatz zu Juden, jüdischer Autorschaft und Judentum in der literarischen Kritik bei Max Herrmann-Neiße zudem den emanzipatorischen Aspekt der Gattung Literaturkritik, gewähre diese im Fall des Literatur-, Theater- und Kabarettkritikers Herrmann doch einen von den Wertmaßstäben des Kanons unverstellten Blick auf die Entstehung, Ausprägung und Entwicklung der Literatur der Moderne (Yearbook for European Jewish Literature Studies, 2017).

            Wurde die Avantgarde lange als Gegenbewegung zu Neuromantik, Neuklassik und Naturalismus verstanden, rücken mittlerweile die ästhetischen, weltanschaulichen und literaturstrategischen Schnittstellen und Gemeinsamkeiten der miteinander konkurrierenden Strömungen der literarischen Moderne in den Mittelpunkt des Interesses. Es geht nicht mehr so sehr um die Exklusivität der Avantgarde, sondern vielmehr um die Frage nach Überwindung, Überschneidung und Anverwandlung anderer literarischer und künstlerischer Erneuerungsbewegungen. Angesichts der Aufmerksamkeit für die Jahre der Weimarer Republik (Experiment Weimar, 2018; Aufbruch und Abgründe, 2021) erhält derzeit die Feldverschiebung zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit größere Aufmerksamkeit. Neuere Publikationen zur Novembergruppe und zum Malik-Verlag belegen, dass zahlreiche Schriftsteller*innen und Künstler*innen den Übergang von den Zeitschriften, Anthologien und Gruppen des Expressionismus hin zu den Publikationsorganen und Verlagen der Neuen Sachlichkeit sowie zu den Medien Rundfunk und Film ohne größere Brüche bewältigten (Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918–1935, 2018; John Heartfield. Fotografie plus Dynamit, 2020).

            Zur Rezeption und Vermittlung der Avantgarde sind in den letzten Jahren mehrere Sammel- und Briefbände erschienen, die ihren Schwerpunkt auf einzelne Akteur*innen des Expressionismus wie Ernst Toller (»...doch nicht nur für die Zeit geschrieben«, 2018) oder auf die Verbindungslinien zwischen Expressionismus und Nachkriegsavantgarde (Zwischen den Kriegen, 2009) legen. Der Briefwechsel zwischen Kurt Hiller und Paul Raabe macht zudem die Beeinflussung der Expressionismus-Rezeption durch die an ihm beteiligten Protagonist*innen deutlich (Kurt Hiller/Paul Raabe: Ich war nie Expressionist, 2010).

            Netzwerk- und Feldtheorie machen es möglich, das Spannungsfeld der ästhetischen, weltanschaulichen und literaturstrategischen Ziele der Avantgarde zur rekonstruieren. Auf der Grundlage von transkulturellen und inter- bzw. transdisziplinären Ansätzen lassen sich die Literatur und Kunst der Avantgarde darüber hinaus unter dem Aspekt der Verbreitung literarischer und künstlerischer Erneuerungsideen sowie der Sprengung von Gattungsgrenzen betrachten. Sichtbar wird damit nicht zuletzt die Feldbewegung innerhalb der literarischen Moderne, die mit ihrer Dynamik von Aneignung, Überwindung und Weiterentwicklung die Grenzen zwischen den Erneuerungsbewegungen verschwimmen lässt.

            Für diesen Band sollen Beiträge zur Literatur der historischen Avantgarde gesammelt werden. Der Schwerpunkt liegt auf deutschsprachigen Texten, wobei Querverbindungen zu Akteur*innen, Medien und Zeitschriften aus dem europäischen Raum selbstverständlich willkommen sind. Wünschenswert sind Arbeiten, die sich mit der Beschreibung von Netzwerken zwischen einzelnen Personen und ihren Buchreihen, Zeitschriften und Verlagen befassen. Untersuchungen zu Transkulturalität und -nationalität erscheinen vor allem dort interessant, wo es um die Vermittlung deutschsprachiger und fremdsprachiger Schriftsteller*innen in den Zeitschriften, Anthologien und Verlagen der Avantgarde und die damit zusammenhängende Rekonstruktion von regionalen, nationalen und internationalen Bündnissen geht. Untersuchungen zur Feldbewegung innerhalb der literarischen Moderne, zur Rezeption der Avantgarde durch Zeitgenossen und Nachfahren sind selbstverständlich ebenso erwünscht. Thematisch sollte der Schwerpunkt der Beiträge auf der Literatur liegen, kann aber gerne auf Theater, Kunst, Kabarett und Film erweitert werden. Besonders erfreulich wären Untersuchungen zur Literaturkritik, Essayistik und Publizistik der Avantgarde, weil diese Gattungen in der Avantgardeforschung bislang noch immer nicht eingehend genug gewürdigt wurden. Sollten sich weitere, an dieser Stelle nicht genannte Perspektiven und Fragestellungen ergeben, sind diese natürlich ebenfalls willkommen.

 

Bitte senden Sie für diesen Themenband der Zagreber Germanistischen Beiträge zunächst bis zum 31. Mai 2022 ein Exposé im Umfang von bis zu 3000 Zeichen an Dr. Simone Zupfer (simone.zupfer@hhu.de). Auf der Basis des Exposés werden Herausgeberin und Redaktion über eine Annahme entscheiden und ggf. um einen ausformulierten Beitrag von bis zu 45.000 Zeichen (einschließlich Leerzeichen und Fußnoten) bitten, der bis Ende 2022 bei der Simone Zupfer oder bei der Redaktion der Zeitschrift (zgb@ffzg.hr) einzureichen ist. Über die letztgültige Annahme, Ablehnung oder weiteren Bearbeitungsbedarf wird anonym von unabhängigen Gutachtern befunden.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Ästhetik, Literatur des 20. Jahrhunderts
Avantgarde

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ISSN: 1849-1766

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Universität Zagreb
Philosophische Fakultät
Abteilung für Germanistik
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Datum der Veröffentlichung: 06.05.2022
Letzte Änderung: 06.05.2022