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Interdisziplinäre Konferenz: „Im Abgrund der Geschichte ist für alle Platz“ – Sprechen über Abgründe, Frankfurt a. M. (31.03.2023)

Beginn
23.11.2023
Ende
25.11.2023
Deadline Abstract
31.03.2023

„Im Abgrund der Geschichte ist für alle Platz“[1] – Sprechen über Abgründe

Tagung vom 23. bis 25. November 2023 im Deutschen Romantik-Museum, Frankfurt

(Goethe-Universität Frankfurt, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Eberhard-Karls-Universität Tübingen)

 

Call for Scholars / Call for Artists

„Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu […]“[2], warnt Außenministerin Annalena Baerbock auf der UN-Klimakonferenz 2022, um die Dramatik des Klimawandels mit drastischer Rhetorik zu unterstreichen und bedient sich dabei einer häufig gebrauchten Metapher.

Der Begriff Abgrund erscheint facettenreich in den unterschiedlichsten Diskursen: Definiert wird er zum Beispiel als „unermessliche, gefährliche Tiefe“, „Verderben“, „unüberbrückbarer Gegensatz“ oder „höchstes Ausmaß“[3]. In einer langen Tradition dient er spätestens seit dem Psalm 130 als literarische Metapher, in der Philosophie steht der Begriff für das Numinose aber auch für einen allgemeinen Sinnverlust. So vielfältig die Kontexte sind, für die die Metapher herangezogen wird, so inflationär wird sie für ‚das Schlechte‘ verwendet. ‚Am Abgrund zu sein‘ kann individuellen Stillstand bedeuten. Der Abgrund als alles verschlingende Drohkulisse kann aber auch apokalyptische Vorstellungen transportieren. ‚Menschliche Abgründe‘ verweisen auf unergründbare oder unfassbare Wesenszüge in uns. In einem gesellschaftlichen Kontext scheint der Begriff zudem dafür geeignet zu sein, um erstickende und ohnmächtig machende gesellschaftliche Abgründe auszudrücken. Losgelöst vom bildlichen Abgrund suggerieren diese ‚gesellschaftlichen Abgründe‘ bereits die Gesellschaft im Abgrund. Oder aber ‚nur‘ am Abgrund?

Hierbei drängt sich die Frage auf, ob durch die vielfältige und ambivalente Verwendung in verschiedenen Kontexten eine Relativierung stattfindet und der Begriff damit instrumentalisiert wird, beziehungsweise eine gefährliche Verharmlosung damit einhergeht. Wird die Metapher zum Beispiel im Zusammenhang der Shoah verwendet, um das unsagbare Grauen auszudrücken, scheint es unangemessen, den Begriff gleichzeitig auch als Redewendung: „Da tun sich Abgründe auf!“ – in einem ‚nur‘ ablehnenden Sinne oder für grundsätzliches Unverständnis zu verwenden. In Caspar David Friedrichs Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer bietet der Blick in den vernebelten Abgrund hingegen eine romantische Kulisse, die den ästhetischen Gehalt dieser Metapher sogar in ihr Gegenteil umschlagen lässt: Statt eines düsteren Nichts verheißen die Nebelschwaden und die zarten Sonnenstrahlen einen neuen Morgen.

Das Sprechen vom Abgrund ist, ob philosophisch, literarisch oder geologisch, ein Sprechen vom Äußersten. Es gibt nichts tieferes als den Abgrund, kein Komparativ kann ihn überbieten. Dabei stimmen Metapher und Realität überein: bis heute bleiben den Menschen der Erdkern und die Meerestiefen verschlossen – reale und metaphorische Abgründe enthalten gleichermaßen Unsichtbares und Unerreichbares. Auf der interdisziplinären Konferenz sollen Wissenschaftsbereiche in einen Dialog treten über diese besondere Konstellation von Sprache und Wissen, die das Wort Abgrund bereithält.

Wissenschaftler*innen unterschiedlichster Disziplinen sind dazu eingeladen, auf der Tagung das Verhältnis ihres Faches zur Metapher ‚Abgrund‘ zu reflektieren, um darüber ins Gespräch zu kommen, ob im „Abgrund der Geschichte“ tatsächlich „für alle Platz“ ist.

Mögliche Themen über die sich ein Nachdenken lohnen würde, die aber noch ergänzt werden können:

  • Das Anthropozän-Konzept
  • Abgründe in der bildenden Kunst
  • Abgründe als theologische Metapher
  • Abgründe als Bild des Unbewussten oder Romantischen
  • Phänomene sozialer Ungleichheit
  • Gesellschaftliche Abspaltungsprozesse und Menschenfeindlichkeit
  • Nihilismus und Sinnverlust
  • Gewalt und Psyche
  • Institutionalisierte Gewalt und die Fetischisierung bürokratischer Prozesse
  • Grenzen der erforschbaren Welt
  • (NS-)Psychiatrie-Verbrechen

Bei Interesse senden Sie uns gerne einen Abstract von maximal einer Seite für einen ca. 20-minütigen Vortrag und eine kurze biobibliographische Angabe bis zum 31.03.2023 an tagungabgruende@gmail.com. Wir werden für die Tagung eine Förderung beantragen, mit der wir Reise- und Unterkunftskosten sowie Verpflegung finanzieren wollen. Auch über Bewerbungen von Autor*innen und bildenden Künstler*innen freuen wir uns. Wir werden uns bemühen Honorare für diese Beiträge einzuwerben.

[1]  Rezitiert auf Deutsch nach Paul Valérys „Et nous voyons maintenant que l´abîme de l´histoire est assez grand pour tout le monde.“ Valéry, Paul: La crise de l´ésprit, Première lettre. Œuvres, Vol. 1. Paris 1957. S. 988.  

[2]  Tagesschau. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erwartungen-klimakonferenz-cop27-103.html Zuletzt geprüft: 02.01.2023, 23:23 Uhr.

[3]  Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache: Abgrund. Online: https://www.dwds.de/wb/Abgrund. Zuletzt geprüft: 02.01.2023, 23:12 Uhr.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Interdisziplinarität, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Stoffe, Motive, Thematologie

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Datum der Veröffentlichung: 20.02.2023
Letzte Änderung: 20.02.2023