CfP/CfA Veranstaltungen

Brecht in finsteren Zeiten: Rassismus, Politische Unterdrückung und Diktatur – 17. IBS Symposium, 11.–16. Dezember 2022, Israel

Beginn
11.12.2022
Ende
16.12.2022
Deadline Abstract
28.02.2022

[English version of the Call attached below]

„Mögen andere von ihrer Schande sprechen / ich spreche von der meinen.“

Bertolt Brecht, Deutschland, 1933

Das Department of Theatre Arts der Universität Tel Aviv lädt in Zusammenarbeit mit den Departments der Hebräischen Universität Jerusalem und der Universität Haifa sowie der Israeli Association for Theatre Research zum ersten IBS-Symposium nach der Corona-Krise ein. Wir hoffen, dass wir im Dezember 2022 in der Lage sein werden, im direkten Gegenüber nicht nur rückblickend über Brechts „finstere Zeiten“ nachzudenken, sondern auch über unsere eigenen zeitgenössischen Krisen – und das nicht nur im epidemiologischen Sinne.

Das Symposium wird in der besonderen Form einer ‚wandernden Konferenz‘ ein Wechselspiel aus Impulsreferaten, Panels, Workshops, Lehrformances (einer Kombination aus performativem Vortrag und interaktivem Lernspiel), Lesungen sowie einem reichhaltigen künstlerischen Programm und Exkursionen bieten.

Das 17. IBS-Symposium wird sich auf Bertolt Brechts Haltung gegenüber Rassismus, politischer Unterdrückung und Diktatur fokussieren – in einer Zeit, die er selbst als „finstere Zeiten“ (z.B. An die Nachgeborenen, 1939) bezeichnete. Wir wollen zudem ästhetisch-politische Reaktionen auf Ungleichheit, Ungerechtigkeit und den Entzug der Rede- und Bewegungsfreiheit in unseren eigenen „finsteren Zeiten“ erörtern und untersuchen, wie solche Antwortmöglichkeiten durch Brechts künstlerisches Vermächtnis inspiriert werden können.

Welche Handlungsoptionen kannte und empfahl Brecht für Protest, Widerstand und Revolte? Und ist es unter Berücksichtigung dieser Ansätze möglich, ein brechtsches Erbe in der zeitgenössischen aktivistischen Kunst zu erkennen? Wie wird dieses Vermächtnis heute konstruiert, sowohl in der Wissenschaft als auch im künstlerischen Schaffen? Sind Brechts Theorie und Praxis immer noch beispielhaft für die Beziehungen zwischen Kunst und Ideologie und/oder zwischen künstlerischer Kreativität und politischer Aktion? Mit diesen Fragen wendet sich das Symposium an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich mit dem Nachleben von Brechts Texten und Theaterarbeiten befassen, sowie an Theaterpraktikerinnen und -theoretiker, die sich noch heute mit den Fragen auseinandersetzen, die Brecht selbst aufgeworfen hat.

Die Messingkauf-Dialoge sollen dabei den konzeptionellen Rahmen für diese Diskussionen bilden. In Brechts Textfragment werden in einer Gesprächssituation zwischen einem Philosophen, einem Dramaturgen, einem Schauspieler und einer Schauspielerin sowie einem Beleuchter die ästhetischen, moralischen und philosophischen Merkmale sowie die materiellen Bedingungen des Theaters ergründet – ausgehend von der Annahme, dass dieses zeige, „wie Menschen zusammenleben“. Können solche philosophischen Gespräche unter Theaterleuten, die nach jeder Abendvorstellung auf der Bühne selbst stattfinden, heute noch als Modell für eine Diskussion über Theater und seine gesellschaftliche Rolle gelesen werden?

In einem Abschnitt der Dialoge, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verfasst wurden, fordert Brechts Philosoph die Theaterleute auf: „Bedenkt, daß wir in einer finsteren Zeit zusammenkommen, wo das Verhalten der Menschen zueinander besonders abscheulich ist und über die tödliche Wirksamkeit gewisser Menschengruppen ein fast undurchdringliches Dunkel gelegt ist, so daß es vielen Nachdenkens und vieler Veranstaltungen bedarf, wenn das Verhalten gesellschaftlicher Art ins helle Licht gezogen werden soll.“ (GBA 22.2, 733) In solchen dunklen Zeiten, so fügt er hinzu, scheint vielen Menschen die Ausbeutung, „die mit Menschen getrieben wird […] so natürlich wie die, der wir die Natur unterwerfen“ und die „großen Kriege scheinen unzähligen wie Erdbeben, als ob gar keine Menschen dahintersteckten, sondern nur Naturgewalten, denen gegenüber das Menschengeschlecht ohnmächtig ist“ (ebd.).

Setzt aber eine solche Verschattung der moralischen Werte die Intellektuellen und Künstlerinnen aus der Verantwortung? Ganz im Gegenteil, antwortete Brecht im Motto zur zweiten ‚Lektion‘ seiner Svendborger Gedichte: „In den finsteren Zeiten, / wird da auch gesungen werden? / Da wird auch gesungen werden. / Von den finsteren Zeiten.“ (GBA 12, 16). Und sein enger Freund Walter Benjamin formulierte in Über den Begriff der Geschichte (1939) noch radikaler: „Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der ‚Ausnahmezustand‘, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht.“ Um unsere Position im Kampf gegen den Faschismus zu verbessern, so Benjamin, „wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen“ (GS I.2, 697).  Da mag man die Frage wagen: Kann Theater das erreichen – und wenn ja, wie?

Hat Brecht diese Haltung auch in seinem eigenen Werk praktiziert? Und was können wir heute noch von ihm lernen, wenn wir das „Verhalten der Menschen zueinander“ in der Gegenwart beobachten und darstellen? Dies sind nur zwei der grundlegenden Fragen, mit denen sich das 17. IBS-Symposium 2022 beschäftigen wird. Neben Diskussionen über Brechts eigenen Widerstand gegen Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Gewalt – genauso wie über die Fälle, in denen er zumindest aus heutiger Sicht seine Stimme nicht genügend erhob – wird das Symposium in Vorträgen, Panels, Workshops und Theaterproduktionen sein Nachleben bis in die heutige Zeit nachverfolgen. Im ‚Geiste‘ der Messingkauf-Dialoge wird es auch nächtliche Workshops geben, in denen ausgewählte Texte von Brecht studiert werden – um insbesondere bei jüngeren Forschern und Theaterpraktikerinnen das Interesse an seiner Theorie und Praxis erneut zu wecken.

Die Wahl Israels als Veranstaltungsort für das erste IBS-Symposium nach Corona – in der Metropole Tel Aviv, der ersten hebräischen Stadt – verdeutlicht all die Spannungen, die diese Themen aufwerfen: in einem Land, das ursprünglich auf der Idee gegründet wurde, die Dinge nach dem Zweiten Weltkrieg „in Ordnung zu bringen“; einer Idee, die ihrerseits neue Ungerechtigkeiten geschaffen hat, während Israel parallel noch immer mit der realen oder imaginären Bedrohung seines Untergangs konfrontiert ist.

Vorschläge für mögliche Themen:

  • HistorischePerspektiven:
  • Brechtsche Antworten auf die Diktatur: Nazi-Deutschland/Stalins UdSSR/Nachkriegs-DDR
  • Grenzen der Autorität und Möglichkeiten des Widerstands
  • Brechts jüdische Freunde / Brecht und der Antisemitismus
  • Lernen/Denken/Weisheit in finsteren Zeiten: Vom Fatzer zum Keuner
  • Politische und ethnische Stereotypen
  • Messingkauf und Was kostet das Eisen? Zwischen philosophischem, moralischem, sozialem und politischem Theater
  • Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? Perspektiven auf das aktivistische Kino und die Medien
  • Zeitgenössische Herausforderungen:
  • Die „Reproduzierbarkeit“ brechtscher Modelle
  • Welche Maßnahmen sollten/könnten heute ergriffen werden?
  • Lernen lernen
  • Vergessen (um) zu erinnern
  • Nicht-Verstehen/Scheiterndes Begreifen (als dramaturgische Praxis)

Die Vorträge und Diskussionen des Symposiums werden auf Englisch oder Deutsch stattfinden.

Bitte senden Sie bis zum 28. Februar 2022 Abstracts oder Vorschläge (bis zu 250 Wörter) für Einzelvorträge, Panels, Arbeitssitzungen, Workshops, Poster und Lehrformances (inkl. einer Kurzbiographie) an: brechtdarktimes@gmail.com.

Die Vortragenden werden bis spätestens 31. Juli 2022 über die Auswahl ihrer Vorschläge benachrichtigt.

Praktische Aspekte:

Das Symposium wird vom Department of Theatre Arts der Universität Tel Aviv organisiert und durchgeführt, wobei die von den israelischen und internationalen Gesundheitsbehörden zum Zeitpunkt des Symposiums erlassenen Vorschriften und Beschränkungen genau eingehalten werden.

Das Symposium wird den besonderen Charakter einer ‚wandernden Konferenz‘ zwischen den drei großen universitären Theaterdepartments in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa haben.  Die Universität Tel Aviv wird zwei Tage des Symposiums ausrichten – einschließlich der Registrierung und der Eröffnungszeremonie –; jede der Schwesterfakultäten einen weiteren Tag. Das Programm an jedem Ort – angepasst an die Ausrichtung des jeweiligen Fachbereichs und der Stadt – umfasst einen Keynote-Vortrag, Panels, Workshops, eine Round Table-Diskussion sowie ein abwechslungsreiches künstlerisches Programm. Das Programm in Tel Aviv und Haifa wird im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten jeweils eine kurze Stadtexkursion beinhalten.  Ein ganztägiger Ausflug nach Jerusalem wird die Konferenz abrunden.

Wir möchten das Studium und die Forschung zu Brecht fördern und begrüßen daher die Teilnahme von fortgeschrittenen Studierenden und Early Career Researchers. Dies wird unter anderem durch unser künstlerisches Programm unterstrichen, welches zwei von Brechts faszinierendsten Texten umfasst – das Fatzer-Fragment, adaptiert und inszeniert von Yotam Gotal, einem aktuellen Absolventen der TAU, und Antigone, inszeniert von Dr. Ira Avneri, der nicht nur einer der Organisatoren, sondern auch ein aktiver Theaterregisseur ist.

Die Teilnehmenden sind selbst für ihre Reisevorbereitungen und die Unterbringung verantwortlich (zwischen dem 11. und 15. Dezember in Tel Aviv; in der Nacht zum 16. Dezember in Jerusalem). Eine vergünstigte Unterbringung in den Gästeschlafsälen der TAU und in Hotels in Tel Aviv und Jerusalem wird von den Veranstaltern angeboten und zu gegebener Zeit auf der Website des Symposiums bekannt gegeben. Dort werden auch das Programm des Symposiums und andere nützliche Daten veröffentlicht. 

Die Anmeldegebühr für die Konferenz beträgt 100 Euro (120 US$, 386 NIS); für Studierende, Arbeitslose und Senioren 60 Euro (71 US$, 228 NIS). Die Gebühr beinhaltet nicht die Kosten für die Ausflüge nach Jerusalem und Tel Aviv, die Aufführungen und das Abschiedsessen.

Im Anschluss an das Symposium wird angestrebt, ausgewählte Beiträge im Rahmen des Brecht-Jahrbuches und/oder des IBS-Journals e-cibs (=electronic communications of the international brecht society) zu publizieren.

Die IBS ermutigt alle Teilnehmerinnen und Vortragenden, Mitglied der Internationalen Brecht Gesellschaft zu werden, was das jährliche Abonnement des Brecht-Jahrbuchs einschließt. Weitere Informationen hierzu unter https://ibs.wildapricot.org/membership.

Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge, Anregungen und Fragen!

Prof. Freddie Rokem, Prof. Gad Kaynar-Kissinger, Dr. Ira Avneri

Das Team des 17. IBS-Symposiums, Tel Aviv 2022

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Interdisziplinarität, Literatur und andere Künste
Bertolt Brecht; Theater; Rassismus; Diktatur; Oppression

Links

Dateien

Ansprechpartner

Einrichtungen

Universiṭat Tel Aviv / Tel Aviv University
Department of Theatre Arts
Beitrag von: Micha Braun
Datum der Veröffentlichung: 22.09.2021
Letzte Änderung: 23.09.2021