Lecture series

Strukturalismus. Saussure und die strukturalistische Episteme

Beginning
07.11.2017
End
14.12.2017
Gut ein Jahrhundert nach dem Erscheinen des „Cours de linguistique générale“ gilt der Schweizer Sprach- und Zeichentheoretiker Ferdinand de Saussure noch immer als der ›revolutionäre Begründer‹ des Strukturalismus. Diese Rolle wird ihm vor allem als ›Autor‹ des 1916, drei Jahre nach seinem Tod erschienenen „Cours de linguistique générale“ zuteil, der eine spektakuläre Wirkungsgeschichte hatte und der wohl das am meisten zitierte sprachwissenschaftliche Buch des zwanzigsten Jahrhunderts ist. In der ›Cours‹-Wirkungsgeschichte entstand eine geradezu symbiotische Verbindung zwischen dem Autornamen ›Saussure‹ und einer epistemologischen Bewegung in den Kultur- und Geisteswissenschaften, die als erster Roman Jakobson 1929 ›Strukturalismus‹ genannt hat. Nun hat Saussure das Buch, das ihn berühmt gemacht hat, nicht selbst verfasst. Seine Autorschaft ist eine wirkungsgeschichtliche Fiktion, hinter der nun sichtbar wird, dass der ›strukturalistische‹ Autor ›Saussure‹ als eine Erfindung des Paradigmas angesehen werden muss, das begründet zu haben man ihm zuschreibt. Zugleich wird zunehmend – insbesondere in den umfangreichen, zumeist fragmentarischen gebliebenen Texten von Saussures eigener Hand – eine semiologische Sprachidee sichtbar, die – in schierem Gegensatz zu den Grundüberzeugungen des Strukturalismus – ›Sprache‹ in ihrer Historizität und Sozialität, als ›Zirkulation‹ bzw. als ›Spiel der Zeichen‹, als ›Zeichengebrauch‹ in den Blick nimmt.

Angesichts dieses Befundes versuchen die Beiträge der Ringvorlesung und des sich an sie anschließenden Symposions einige zentrale Fragen in den Blick zu nehmen: (1) Welches sind die wissenschaftshistorischen Gründe für das Verblassen des strukturalistischen Begründungs-›Mythos‹, durch das in wachsendem Maße ein ›neuer‹ Blick auf einen ›historischen‹ Saussure ermöglicht wird, der tatsächlich Autor seiner Schriften ist. (2) Läßt sich der ›historische‹ Saussure als grundlegender Kritiker des Strukturalismus-Kognitivismus lesen, als dessen Gründer er lange Zeit betrachtet wurde? (3) Gewinnt der ›historische‹ Saussure, dessen semiologische Sprachidee, die ›Sprache als dynamische Gestalt‹, als ›diskursiv-soziales‹ Phänomen konzeptualisiert, neue Relevanz für die rezenten Debatten der Kultur- und Geisteswissenschaften etwa auf den Feldern der ästhetischen Theorie bzw. der Sprach- und Medientheorie? (4) Lassen sich am ›Fallbeispiel‹ des -›Strukturalismus-Gründers Saussure‹ exemplarisch die Bedingungen der ›Erfindung‹ und Konstitution von Wissenschaftsparadigmen sowie die Rolle von Gründungsmythen und Gründungsnarrativen bei der Entstehung neuer Wissensordnungen beobachten?
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Fields of research

Structuralism
Ferdinand de Saussure, Epistemologie

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Institutions

Universität zu Köln
Date of publication: 12.12.2018
Last edited: 12.12.2018