Bild und Latenz. Ansätze zu einer Didaktik der visuellen Medien
TERMIN: 22. bis 24. März 2018
ORT: Aula; Germanistisches Institut; Schlossplatz 34; D-48143 Münster
EINTRITT: frei
FÖRDERER: WWU Münster; Hubert Burda Stiftung; Friedrich Stiftung
ANMELDUNG: anja.pompe@uni-muenster.de; s_berl02@uni-muenster.de
Was machen Bilder? Die Frage hat seit dem iconic turn Konjunktur. Dass Bilder in allen Kulturen und zu allen Zeiten bedeutsam sind, dass sie Einfluss auf uns haben, unsere Identität und unser Verhalten bestimmen, ist kaum mehr strittig. Aber wie sie funktionieren, wie sie wirken und agieren, worin ihre unverwechselbare Leistung, ihr gewaltiger Eigensinn besteht, wird noch immer lebhaft diskutiert. Dabei erregt seit geraumer Zeit auch das durch seine Unsichtbarkeit oder Unerreichbarkeit geprägte Wirkliche die Aufmerksamkeit. Es konvergiert mit dem, was wir als latent bezeichnen und im Sinn haben, wenn wir über Phänomene der Nichtgegenwärtigkeit sprechen oder uns auf das beziehen, was primär nicht beobachtbar, aber dennoch wahrnehmbar ist.
Ausschlaggebend dafür ist nicht allein die viel zitierte Omnipräsenz von Bildern in unserer medialen Alltagswelt. Ebenso wichtig ist, dass sich inzwischen auch solche Wissenschaftsbereiche und Fächer mit der Wirkungsmacht des Ikonischen konfrontiert sehen, für die Bilder bisher eher eine beiläufige oder funktionale Rolle gespielt haben. Das gilt für Historiker, die sich damit befassen, dass Bilder Quellen der besonderen Art sind, für Mathematiker, die sich für die Visualisierung von Algorithmen begeistern, für Mediziner, die winzige Veränderungen im Körperinnersten verfolgen und mit modernsten Bildgebungsverfahren sichtbar machen und für Astrophysiker wie Nanowissenschaftler, die mit Bildern vom Entferntesten und Kleinsten Aufsehen erregen.
Kurz: Mit der Frage nach dem Bild, seiner Wirkung und Funktion ist auch die Kategorie der Latenz auf eine neue und intensive Weise in den Blick geraten. Mit ihr geht es nicht nur um Verfahren der Aufdeckung oder Enthüllung und nicht nur um die Kunst des Versteckens, Verbergens oder Verhüllens, sondern auch und vor allem um Potentialitäten, die aus dem Verborgenen oder Unzugänglichen als kaum greifbare, aber physisch spürbare Kräfte wirken (Ellrich et al. 2009; Gumbrecht; Klinger 2011).
Hier setzt die Tagung an, indem sie nach Modellen bildaktiver Latenz fragt und deren didaktische Bedeutung diskutiert. Für die didaktische Perspektivierung der Fragestellung entscheidend ist, dass zwar noch nie so viele Bilder für Lehr- und Lernprozesse zur Verfügung standen wie heute, gesicherte Erkenntnisse darüber, wie wir mit Bildern lernen, aber weitgehend fehlen. Was machen Bilder mit uns und was folgt daraus?
Mit dem Ziel, diese Frage von der Latenz her für materiell verfügbare Bilder zu diskutieren und Ansätze für eine Didaktik der visuellen Medien zu erörtern, treffen sich im Frühjahr 2018 Geistes- und Sozialwissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, neben der Kunstgeschichte aus der Philosophie, der Theologie, der Literaturwissenschaft, der Didaktik, der Bild- und Medienwissenschaft, zu einer Tagung in Münster. Auf dem Programm stehen drei Sektionen, die sich aus den zentralen, eng verfugten Schwerpunkten der Fragestellung ergeben und ihre Analyse strukturieren.
Das ist zum Ersten der Begriff der Präsenz (Gumbrecht 2004; 2012), der gemäß der lat. Formel prae-esse Momente des körperlichen Wahrnehmens fokussiert und damit eine hermeneutische Position stärkt (Steiner 1990), die der Theorie des Bild- oder Blickaktes nahe steht (Bredekamp 2015; Krämer 2011). Mit ihm gerät das oft pejorativ abgewehrte und marginalisierte Erleben von Nicht-Explizitem in den Blick, das sich aus dem Wesen des Bildlichen ergibt und auf verborgene Wirksamkeiten verweist (Haverkamp 2002; 2004; Diekmann; Khurana 2007). Entsprechend stehen in der ersten Sektion Fragen im Vordergrund, die bei der physischen Evidenz bildaktiver Latenz ansetzen und auf didaktische Konsequenzen für ästhetische Lernprozesse zielen.
Das ist zum Zweiten der Begriff des Zeigens für den anthropologisch bedeutsamen Akt der Verständigung in Formen der Sichtbarkeit (Landweer 2010; Tomasello 2009). Er impliziert mit der Theorie der nicht- sprachlichen Eigenlogik bildlicher Darstellungen die Idee, dass Bilder zum einen etwas wiedergeben bzw. vorzeigen, weil wir sie verwenden, um mit ihnen etwas sehen zu lassen, zum anderen aber immer auch sich selbst mit ins Spiel bringen (Boehm 2007; Figal 2010; Wiesing 2013). Daher geht es in der zweiten Sektion um Fragen, die der Körperlichkeit und dem nicht-repräsentativen Charakter von Bildern Rechnung tragen und auf die didaktische Bedeutung der Konfiguration deiktischer Akte bzw. die doppelte Struktur des Ikonischen gerichtet sind.
Zum Dritten ist es der Begriff der Stimmung, der eine deutlich wahrnehmbare Tönung bezeichnet, die sich über Bilder und alles, was in und mit ihnen ist, ausbreiten kann (Böhme 2013; Gumbrecht 2011; Wellbery 2003; 2011). Mit ihm ist nicht nur eine Verbindung zur ikonischen Zeigestruktur hergestellt, aus der heraus Bilder besondere Spannungen aufbauen und atmosphärische Wirkungen verstärken, sondern über zentrale Merkmale des Begriffs auch ein Bezug zu Aspekten der Bildpräsenz gegeben. Fragen, die daher in der letzten Sektion eine Rolle spielen, betreffen vor allem die Möglichkeiten und Potentiale, sich mit bildlichen Stimmungen im Unterricht auseinanderzusetzen.
LITERATUR
Boehm, Gottfried: Das Zeigen der Bilder. In: Boehm, Gottfried; Egenhofer, Sebastian; Spies, Christian (Hrsg.): Zeigen. Rhetorik des Sichtbaren. München 2010. S. 19–53.
Boehm, Gottfried: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin 2007.
Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Berlin 2013.
Böhme, Gernot: Theorie des Bildes, München 1999.
Bredekamp, Horst: Der Bildakt. Frankfurter Adorno Vorlesungen. Berlin 2015.
Bredekamp, Horst: Die Latenz des Objekts als Modus des Bildakts. In: Gumbrecht, Hans Ulrich; Klinger, Florian (Hrsg.): Latenz. Blinde Passagiere in den Geisteswissen-schaften. Göttingen 2011. S. 277–284.
Diekmann, Stefanie; Khurana, Thomas (Hrsg.): Latenz. 40 Annäherungen an einen Begriff. Berlin 2007.
Ellrich, Lutz; Maye, Harun; Meteling, Arno (Hrsg.): Die Unsichtbarkeit des Politischen. Theorie und Geschichte der medialen Präsenz. Bielefeld 2009.
Figal, Günter: Bildpräsenz. Zum deiktischen Wesen des Sichtbaren. In: Boehm, Gottfried; Egenhofer, Sebastian; Spies, Christian (Hrsg.): Zeigen. Rhetorik des Sichtbaren. München 2010. S. 55–72.
Gumbrecht, Hans Ulrich; Klinger, Florian (Hrsg.): Latenz. Blinde Passagiere in den Geisteswissenschaften. Göttingen 2011.
Gumbrecht, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt am Main 2004.
Gumbrecht, Hans Ulrich: Präsenz. Hrsg. und mit einem Nachwort von Jürgen Klein. Berlin 2012.
Gumbrecht, Hans Ulrich: Stimmungen lesen. Über eine verdeckte Wirklichkeit der Literatur. München 2011.
Haverkamp, Anselm: Figura cryptica. Theorie der literarischen Latenz. Frankfurt am Main 2002.
Haverkamp, Anselm: Latenzzeit. Wissen im Nachkrieg. Berlin 2004.
Krämer, Sybille: Gibt es maßlose Bilder? In: Reichle, In-geborg; Siegel, Steffen (Hrsg.): Maßlose Bilder. Visuelle Ästhetik der Transgressionen. München 2011. S. 17–35.
Landweer, Hilge: Zeigen, Sich-zeigen und Sehen-lassen. Evolutionstheoretische Untersuchungen zu geteilter Intentionalität in phänomenologischer Sicht. In: Berg, Karen van den Berg; Gumbrecht, Hans Ulrich (Hrsg.): Politik des Zeigens. München 2010. S. 29–58.
Steiner, George: Von realer Gegenwart. Hat unser Spre-chen Inhalt? München 1990. (engl. 1989)
Thomas, Kerstin: Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis. Berlin; München 2010.
Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt am Main 2009.
Wellbery, David E.: Latenz und Stimmung. Skizze einer historischen Ontologie. In: Gumbrecht, Hans Ulrich; Klinger, Florian (Hrsg.): Latenz. Blinde Passagiere in den Geisteswissenschaften. Göttingen 2011. S. 265–276.
Wellbery, David E.: Stimmung. In: Barck, Karlheinz et al. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 5. Stuttgart 2003. S. 703–733.
Wiesing, Lambert: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt am Main 2005.
Wiesing, Lambert: Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens Berlin 2013.
PROGRAMM
DONNERSTAG, 22. MÄRZ 2018
Begrüßung & Eröffnung
Erich Achermann & Anja Pompe
12.30 – 13.00 Uhr
Einleitung ________
Latenz als Ding an sich der Darstellung –
Sprache im Bild
Anselm Haverkamp
Literaturwissenschaft, New York
13.00 – 14.00 Uhr
Sektion I: Präsenz ________
Moderation: Ursula Frohne
Ça me regarde –
Zur Modifikation bildaktiver Latenz im Zeitalter digitaler Fotografie
Stefanie Diekmann
Medienwissenschaft, Hildesheim
14.00 – 15.00 Uhr
Lateralität und Latenz.
Bilder an der Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und Nicht-Sichtbaren
Hans Dieter Huber
Ästhetik und Kunsttheorie, Stuttgart
15.00 – 16.00 Uhr
Latente Kraft.
Zur Formulierung, Austreibung und Wiederkehr von Leibniz' Idee
Horst Bredekamp
Kunstgeschichte, Berlin
16.30 – 17.30 Uhr
Lehrsatz und Lehrbild –
Antike Philosophie und Geometrie
Jörg Trempler
Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, Passau
17.30 – 18.30 Uhr
Das schweigende Wissen der Bilder.
Ihre mimetische Aneignung und einige Überlegungen zur Bilddidaktik
Christoph Wulf
Anthropologie und Erziehung, Berlin
18.30 – 19.30 Uhr
FREITAG, 23. MÄRZ 2018
Sektion II: Zeigen ________
Moderation: Moritz Baßler
Bild und Raum
Günter Figal
Philosophie, Freiburg
10.00 – 11.00 Uhr
Die Praxis des Zeigens mit Bildern
Lambert Wiesing
Vergleichende Bildtheorie, Jena
11.00 – 12.00 Uhr
Zwischen Zeigen und Sagen.
Verschränkungen von Wort und Bild
Philipp Stoellger
Theologie, Heidelberg
14.00 – 15.00 Uhr
Die verborgene Kunst und die Kunstlehre –
Möglichkeiten und Grenzen der Kunstdidaktik
Hubert Sowa
Kunstdidaktik, Ludwigsburg
15.00 – 16.00 Uhr
Sektion III: Stimmung ________
Moderation: Klaus Stierstorfer
Das Bild und seine Atmosphäre.
Über die Wirklichkeit von Bilderfahrungen
Gernot Böhme
Philosophie, Darmstadt
17.00 – 18.00 Uhr
Stimmungskunst.
Zur Potentialität unbestimmter Bilder
Kerstin Thomas
Kunstgeschichte, Stuttgart
18.00 – 19.00 Uhr
SAMSTAG, 24. MÄRZ 2018
Figur und Grund.
Zum Spannungsfeld der Stimmungskunst im Übergang zur Postmoderne
Burkhard Meyer-Sickendiek
Literaturwissenschaft, Berlin
10.00 – 11.00 Uhr
Stimmung und Staunen
Anja Pompe
Literatur- und Mediendidaktik, Münster
11.00 – 12.00 Uhr
Schluss ________
Präsenz und Latenz / Stimmung und Zeigen:
Wie mit Jackson Pollocks Bildern umgehen?
Hans Ulrich Gumbrecht
Komparatistik, Stanford
12.00 – 13.00 Uhr