Dissertation
Author: Anna Hordych

Der Preis der Gleichgültigkeit: Formen der Äquivalenz und Indifferenz

Das Dissertationsprojekt befasst sich mit dem ambivalenten Einsatz von Gleichgültigkeit in der Literatur des 19. Jahrhunderts, der zwischen Formen der Äquivalenz und Indifferenz changiert. So muss die Rede von Gleichgültigkeit nicht zwangsläufig Gesten der Unempfindlichkeit oder Teilnahmslosigkeit bezeichnen. Wie schon die Ursprünge des deutschen Begriffs auf die Gleichheit von Maß- und Werteinheiten verweisen und auch die lateinische indifferentia das Gleichsein benennt, so sind Prinzipien der Bemessung, der Vergleichbarkeit und Unentschiedenheit nie gänzlich aus dem europäischen Resonanzraum der Gleichgültigkeit bzw. der Indifferenz verschwunden.

Damit rücken einerseits Verfahren von Äquivalenz, Entsprechung und Gleichwertigkeit in den Blick der Arbeit. Andererseits sollen Momente der Wertung und des Vergleichs beleuchtet werden, die Personen und deren Beziehungsweisen definieren und im 19. Jahrhundert von Gesten der Unentschiedenheit bis zu Haltungen des Desinteresses reichen. Dieses schillernde Bedeutungsspektrum dient dem Projekt zum Anlass, Romane und Novellen von Émile Zola, Guy de Maupassant, Honoré de Balzac, Gottfried Keller und Henry James auf ihre Entwürfe von Gleichgültigkeit hin zu untersuchen. Nach Maßgabe eines komparatistischen Ansatzes möchte das Projekt die Texte auf ihre spezifische Poetologie von Gleichgültigkeit bzw. Indifferenz hin befragen und insbesondere ihr Verhältnis zu Diskursen der Ökonomie beleuchten. Denn der Siegeszug des bürgerlichen Kapitalismus im 19. Jahrhundert und seine Ansprüche monetärer Äquivalenz haben im „Zeitalter der Gleichheit“ (Tocqueville) weitreichende semantische Konsequenzen. Die Gleichgültigkeit des Geldes  wirft mit dem „Gleichsetzen des Ungleichartigen“ (Marx) vielfältige Fragen auf.

Gerade die Indifferenz des modernen Subjekts kann eine Form sein, auf die drohende Vergleichbarkeit aller Verhältnisse zu antworten. Topoi der Gleichgültigkeit gehen in der Literatur oft mit Konzepten stilisierter Männlichkeit einher und können als Zeichen der Distinktion oder widerständigen Vereinzelung auftreten. Neben der naheliegenden Symbiose von männlicher Unempfindlichkeit und Gefühlskälte, die im 20. Jahrhundert Konjunktur hat, kennt die Literatur des 19. Jahrhunderts noch positiv konnotierte Gleichgültigkeiten der gelassenen Unvoreingenommenheit. Dabei kann Gleichgültigkeit sowohl Ausdruck einer stoischen Ruhe sein oder als Deckfigur einen disparaten inneren Zustand verschleiern. Oftmals entfalten diese Formen der Gleichgültigkeit einen ästhetischen Eigenwert, indem sie Anklänge des Dandyismus bedienen und als dezidiert anti-bürgerliche Posen auftreten. Daran schließt sich die Frage an, welche poetologische Aufgabe diese Gesten der Gleichgültigkeit erfüllen und ob ihnen eine gewisse Zweckhaftigkeit unterstellt werden muss. – Obschon der Preis der Gleichgültigkeit offenkundig darin liegt, Eigeninteresse, -Nutzen und Kalkül zu verleugnen. Von Bedeutung ist außerdem der Einsatz weiblicher Indifferenz in der Literatur des 19. Jahrhunderts, die in der Forschung bislang wenig Beachtung fand. Hieran schließt sich die Frage an, welche Aufmerksamkeitsökonomien indifferente Haltungen bedienen und ob Geschlechterdifferenzen die Art und Weise beeinflussen, auf welche sich Gleichgültigkeit äußert.

Institutions

Universität Potsdam
Professur für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für Künste und Medien

Fields of research

Poetics, Literature of the 19th century
Submitted by: Anna Hordych
Date of publication: 08.07.2020
Last edited: 08.07.2020