CfP/CfA events

Räume als Gattungscodes? Die deutschsprachige Novelle im ›Topographical Turn‹, Bochum/online

Beginning
14.09.2023
End
15.09.2023
Abstract submission deadline
15.05.2023

CFP: Räume als Gattungscodes? Die deutschsprachige Novelle im ›Topographical Turn‹

»Totgesagte leben länger«, konstatieren Sascha Kiefer und Torsten Mergen (2021) für die deutschsprachige Novelle, die häufig als Relikt einer kulturkonservativen literarischen Praxis gesehen wird. Tatsächlich ist bereits in den 1980er und 90er Jahren ein »Novellenboom« (Rath 2000) zu verzeichnen, den man eher mit dem ›goldenen Zeitalter‹ der deutschsprachigen Novelle, dem 19. Jahrhundert, in Verbindung bringt. Ein aktueller Blick auf die traditionsreiche Gattung ist demnach vielversprechend. Aus gattungstheoretischer Sicht ist dabei festzustellen, dass es nicht die Novelle gibt; ›Novelle‹ ist ein »offener Begriff« (Strube 1982/ Kiefer 2010). Es lassen sich auf Basis dieser Einsicht verschiedene Novellentypen und Gattungsfamilien beschreiben, die in Anlehnung an Wittgenstein über Familienähnlichkeitsbeziehungen zu rekonstruieren sind (vgl. ebd.). Angesichts dieses dynamischen Gattungsbegriffs stellt sich die Frage, ob die traditionelle Gattungsdiskussion um eine produktive Kategorie ergänzt werden kann, die neue analytische Perspektiven verspricht: die Kategorie des Raumes.

Im »ästhetischen Raum[]«, so der Philosoph Ernst Cassirer im Jahr 1931, »sehen wir uns mit einem Schlage in eine neue Sphäre, in die Sphäre der reinen Darstellung versetzt. Und alle echte Darstellung ist keineswegs ein bloßes passives Nachbilden der Welt; sondern sie ist ein neues Verhältnis, in das sich der Mensch zur Welt setzt.« Im Kontext des ›Topographical Turn‹ liegt der Fokus auf der »Repräsentation [des Raums] mittels verschiedener Medien« und »auf Fragen der Darstellung räumlicher Strukturen« (Kónya-Jobs 2016). Die Annahme, Literatur ahme Wirklichkeit nach, wird durch das selbstreferenzielle und wirklichkeitsbildende Moment von Literatur relativiert: Sie schafft einen »virtuelle[n] Raum«, der weder absolute Referenz noch absolute Selbstreferenz ist, sondern »sich gegebenenfalls über die realen räumlichen Strukturen legt, diese erweitert oder verengt und an manchen Stellen berührt.« (ebd.)

Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der Tagung die Leitfrage verfolgt werden, inwiefern Räume und topographische Konstellationen in Novellen eine gattungsstiftende Funktion einnehmen, also sich von ihrer referenziellen Semantik lösen und zu signifikanten, autonomen Gattungscodes emergieren können (vgl. zum Modell der ›Emergenz‹ Theisen 2000).

Beiträge wurden erfreulicherweise bereits zugesagt von den ausgewiesenen Novellenexperten Sascha Kiefer (Saarbrücken) und Albert Meier (Kiel). Vorschläge können sich an folgenden (und weiteren) Impulsen orientieren und sowohl theoretische als auch anwendungsbezogene Akzente setzen:

  • Korrespondenzen zwischen topographischen Strukturen und gattungspoetologischen Aspekten (etwa ›unerhörte Begebenheit‹, ›Falke‹, ›Dingsymbol‹, ›Wendepunkt‹, Rahmensituation, zyklisches Erzählen, Mündlichkeit/Geselligkeit, ›Novellieren‹ als Motiv der Neugier und Unterhaltung)
  • offene vs. geschlossene Räume und ihre Bedeutung für die Novelle
  • künstliche (z.B. architektonische) vs. natürliche (z.B. landschaftliche) Räume und ihre Bedeutung für die Novelle
  • gattungsstiftende Raumhierarchien auf verschiedenen narrativen Ebenen, etwa Extra- und Intradiegese
  • gattungsgeschichtliche Ausdifferenzierungen, die sich durch eine signifikante Repräsentation von Räumen herauskristallisieren; spezifische Gattungsfamilien
  • utopische, dystopische oder atopische Raumstrukturen und ihre Bedeutung für die Novelle; »Chronotopos« (Bachtin) oder »Heterotopie« (Foucault) bspw. im Verhältnis zu novellistischen Erzähltechniken
  • textexterne Räume der Produktion und Rezeption, die für die Gattung relevant sind

Für jeden Beitrag sind 20 Min. Vortragszeit und 10 Min. Diskussionszeit vorgesehen. Die Tagung findet am 14. und 15.09.2023 online über die Plattform zoom statt. Abstracts (max. 1 Seite) mit einer kurzen Darstellung der Vita werden bis zum 15.05.2023 erbeten an: phillip.helmke@ruhr-uni-bochum.de. Eine Rückmeldung, ob Ihr Vorschlag berücksichtigt werden kann, erfolgt spätestens bis zum 15.06.2023.

Eine anschließende Publikation der Beiträge ist mit dem Co-Herausgeber Sascha Kiefer geplant. Genauere Informationen folgen zu gegebener Zeit.

Literatur

Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum [1931]. In: Landschaft und Raum in der Erzählkunst. Hrsg. v. Alexander Ritter. Darmstadt 1975, S. 17–35.

Kiefer, Sascha: Die deutsche Novelle im 20. Jahrhundert. Eine Gattungsgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2010.

Kiefer, Sascha; Mergen, Torsten: Einleitung: Gegenwartsnovellen. Anmerkungen zu einer zeitgemäßen Gattung im 21. Jahrhundert. In: Gegenwartsnovellen. Literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Perspektiven im 21. Jahrhundert. Hrsg. v. Sascha Kiefer und Torsten Mergen. Hannover 2021, S. 9–16.

Kónya-Jobs, Nathalie: Räume in Günter Grass‘ Prosa. Bielefeld 2016.

Rath, Wolfgang: Die Novelle. Konzept und Geschichte. Göttingen 2008.

Strube, Werner: Die komplexe Logik des Begriffs »Novelle«. Zur Problematik der Definition literarischer Gattungsbegriffe. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 32 (1982), S. 379–386.

Theisen, Bianca: Zur Emergenz literarischer Formen. In: Blinde Emergenz? Interdisziplinäre Beiträge zu Fragen kultureller Evolution. Hrsg. v. Thomas  Wägenbaur. Heidelberg 2000 (= HERMEIA. Grenzüberschreitende Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, 1), S. 211–227.

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Fields of research

Literature from Germany, Austria, Switzerland, Literature and geography/cartography, Literary genre, Novella, Literature of the 19th century, Literature of the 20th century, Literature of the 21st century

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Date of publication: 24.03.2023
Last edited: 24.03.2023