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Expressionismus Heft 18/2023 „Riechen und Gerüche“

Abstract submission deadline
01.01.2023
Paper submission deadline
01.07.2023

Riechen und Gerüche
Expressionismus, Ausgabe 18/2023


Herausgegeben von Kristin Eichhorn und Frank Krause
Call for Papers


Seit den frühen 1980er Jahren hat sich die Forschung zur Kulturgeschichte des Geruchssinns vom Nischenansatz zu einem gewichtigen Zweig der Historiografie entwickelt, der auch die Medien, Projekte, Themen und Tropen der Kunst, Musik und Literatur in ein neues Licht rückt. Während die Kunstwissenschaft an einer Theorie der olfaktorischen Künste arbeitet, ist die literaturwissenschaftliche Geruchsforschung kultur- und motivgeschichtlich ausgerichtet. In Studien zur Architektur rücken Fragen von Geruchsdesign und -hygiene in den Vordergrund, und Beiträge zu intermedialen Bezügen der Tonkunst gehen der Synästhesie von Düften und Klängen nach. Arbeiten zum Einsatz und zur Komposition von Gerüchen in Dramen, Duft-Konzerten sowie bedufteten Lesungen, Filmvorführungen und Gesamtkunstwerken erhellen Beiträge der Gerüche zu den aufführenden Künsten.Der Expressionismus, der häufig als spezifisch deutsche Bewegung gilt, hat in der einschlägigen Forschung, die vor allem im anglo- und frankophonen Sprachraum betrieben wird, bislang nur wenig Beachtung gefunden. In Hans J. Rindisbachers Pionierstudie The Smell of Books aus dem Jahr 1992 wird dem Expressionismus bescheinigt, Zusammenhänge von Geruchshygiene und problematischen Spielarten sozialer Macht kritisch auszuloten; erst seit den 2010er Jahren finden sich Arbeiten, die dieses Epochenbild – etwa im Blick auf Leichengeruch in expressionistischen Texten über den Ersten Weltkrieg, die strategische Rolle von Gerüchen und Geruchsmotiven im Dadaismus oder in Werkstilen einzelner Autor*innen wie Carl Einstein und Maria Lazar – ergänzen. Auch die Bedeutung der Gerüche in expressionistischen Entwürfen zur Architektur oder Synästhesien von Geruch und Musik im Expressionismus sind bisher meist aus literarhistorischer Sicht untersucht worden. Das Heft möchte das Verständnis der Geruchskultur des Expressionismus auf der ganzen Breite seiner Spielarten erweitern und vertiefen.
 

Zu fragen wäre, ob die Expressionist*innen, die oft von Friedrich Nietzsche inspiriert waren, auch dessen Versuch aufgriffen, das „Genie“ in den „Nüstern“ zu verorten. Zwischen Sadakichi Hartmanns Geruchskonzert A Trip to Japan in Sixteen Minutes (1902), das noch dem Symbolismus nahesteht, und László Moholy-Nagys abstrakter Partiturskizze zu einer mechanischen Exzentrik (1924), die auch Gerüche einbezieht, wäre im performativen Expressionismus vor allem in Bühnenanweisungen noch einiges zu entdecken. Der Apostel Paulus in Walter Hasenclevers Drama Der Retter (1915) tritt mit einem Blitzschlag auf die Bühne, dessen Inszenierung auch Gerüche nach sich zieht, und die Skizze für die Tanznummer Götzenbumbum (1921) auf einem expressionistischen Künstlerfest fordert: „Geruch! Qualm! Erlösung.“ In der bildenden Kunst kann das Riechen – wie in Edvard Munchs expressionistischem Holzschnitt Der Geruch des Todes (1915) – auch mit visuellen Mitteln zur Darstellung kommen; in Franz Marcs Hund, Katze, Fuchs (1912) nimmt der weiße Hund im Vordergrund Witterung auf, und in einem Bild wie Otto Dix’ Gasmaske (1916) sind olfaktorische Atmosphären zumindest impliziert. Außerdem spielt der Begriff des ‚Spürsinns‘, der sich – ebenso wie der französische Ausdruck ‚Flair‘ – ursprünglich auf den Geruchssinn des Hundes bezieht, im kunstkritischen Diskurs über das Gespür von Sammler*innen für ästhetische Trends eine wichtige Rolle. Gerüche von Farben, Lösungsmitteln, Firnis und Atmosphären von Ateliers werden in kunstkritischen und programmatischen Diskursen unter anderem erwähnt, um künstlerische Milieus zu evozieren. In der Literatur ließe sich das Verständnis einer Reihe bekannter Tendenzen im Blick aufs Olfaktorische vertiefen; so findet die deutsche Lyrik mit Georg Heyms expressionistischen Gedichten Anschluss an die ästhetischen Neuerungen von Charles Baudelaire, in denen Verfallsgestank eine transgressive Faszination ausübt. Zu fragen wäre auch, inwieweit der Expressionismus christliche Motive des Sündengestanks und des Geruchs des Heiligen säkularisiert.
 

Da die Geruchswahrnehmung ans Atmen gebunden ist und als retronasale Olfaktion auch den Geschmackssinn mitbestimmt, wären Gerüche überdies im Zusammenhang mit oral vernommenen Aromen von Interesse; hier ergeben sich auch Bezüge zum Kulturthema ‚Essen und Trinken‘. Als Modus ekstatischer Welterfahrung taugt das Riechen zur topophilen oder sexuellen Entgrenzung, und kultische Gerüche und religiöse Geruchssymbole sind im Zusammenhang mit den rituellen Ansprüchen des Expressionismus interessant. Orientalistische und rassistische Geruchs-Topoi wären unter anderem im Blick auf die Verflechtungen von Expressionismus und Kolonialismus interessant.
 

Abstracts zu diesen, aber gerne auch anderen thematisch einschlägigen Aspekten von nicht mehr als 2.000 Zeichen senden Sie bitte bis zum 1. Januar 2023 an eichhorn@neofelis-verlag.de und F.Krause@gold.ac.uk.

Zudem werden unabhängig vom Thema des Hefts auch immer Vorschläge für Rezensionen oder Diskussionsbeiträge zu aktuellen Forschungsdebatten entgegengenommen, die Phänomene der aktuellen Expressionismus-Rezeption vorstellen und besprechen.

Die fertigen Beiträge sollten einen Umfang von 20.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Fußnoten) nicht überschreiten und sind bis zum 1. Juli 2023 einzureichen. Das Heft erscheint im November 2023.

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Fields of research

Literature and cultural studies, Themes, motifs, thematology, Literature of the 20th century
Expressionismus ; Riechen ; Gerüche

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Date of publication: 10.10.2022
Last edited: 10.10.2022