Verschiedenes (Sommerschulen u. a.)

Literaturwissenschaftliche Sommerschule „Rückkehr des Lesers? Zur Wiederentdeckung einer Kategorie in der Literaturwissenschaft“

Beginn
10.09.2020
Ende
11.09.2020

Humboldt-Universität zu Berlin, 10.-11.09.2020 

Organisation: Jan Knobloch (Kassel); Lena Seauve (Berlin)

Nachdem es in den 1960er Jahren zu einer ersten Phase literaturwissenschaftlicher Theoriebildung kam, die den Leser ins Zentrum stellte (u.a. Jauss, Iser, Warning, Riffaterre), schienen leserbezogene Ansätze in der Folge von Theorien wie der Dekonstruktion oder der Diskursanalyse überholt. In den letzten Jahren aber rückt die Kategorie des Lesers wieder verstärkt in den Blick der Literaturwissenschaft: Sei es in historisch-systematisierender Absicht (Willand 2014), sei es im Hinblick auf Theorien ästhetischer Erfahrung (Küpper/Menke 2003) oder im Umkreis der Emotionsforschung, die sich nicht nur für die Darstellung von Emotionen in Texten interessiert, sondern auch für Emotionen gegenüber Texten, wie sie beim Lesen entstehen (z.B. Winko 2003, Mellmann 2007, Koppenfels/Zumbusch 2016). Neben der qualitativen, häufig kognitionswissenschaftlich geprägten Lese(r)forschung, die sich der Methoden der Psychologie und der Neurowissenschaften bedient, gewinnen dabei auch quantitativ-empirische Ansätze an Einfluss (Exzellenzcluster Languages of Emotion, Berlin, MPI für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main). Unter den Nationalphilologien, so zeigt sich, ist das Interesse von Germanistik und Anglistik bislang größer. Doch auch aus der romanistischen Leserforschung liegen mittlerweile erste wichtige Beiträge vor (Koppenfels 2007, Schaeffer 2015, Fischer/Wehinger 2018). In dieser Richtung möchte die Sommerschule weitere Akzente setzen. Geleistet werden soll dies nicht zuletzt im Gespräch zwischen den Philologien: Das Expertenteam besteht deshalb aus einschlägigen ExpertInnen aus Germanistik und Romanistik gleichermaßen (Prof. Dr. Katja Mellmann, Dr. Marcus Willand, Prof. Dr. Albrecht Buschmann, Prof. Dr. Françoise Lavocat). Die Sommerschule ist explizit für TeilnehmerInnen aus allen Philologien sowie aus der Allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft geöffnet.

Das theoretische Interesse, das dem Leser entgegengebracht wird, geht mit einer komplexen Veränderung von Lesepraktiken einher. Nicht nur steht die über 5000 Jahre alte Kulturtechnik des Lesens heute mit der Digitalisierung vor einem der tiefgreifendsten Umbrüche in ihrer Geschichte. Auch die Globalisierung des Buchmarktes sowie die sich verschärfenden Medienkonkurrenzen (Stichwort: Serien) wirken sich auf das Leseverhalten aus. Und während etwa in den Literaturen der Romania neue Herausforderungen für den Leser an die Stelle der alten treten (statt der formal-ästhetischen Experimente, die noch den Nouveau Roman prägten, sind verstärkt inhaltliche, politische und moralisch-ethische Grenzüberschreitungen zu verzeichnen), formiert sich gerade unter Lesern auch eine gegenläufige Bewegung. Neue Grenzen des Sagbaren, wie sie dabei gezogen werden, diskutiert man derzeit etwa kontrovers am Beispiel der sogenannten „Sensitivity Readers“: von Verlagen eingesetzten LektorInnen, die Romane vor der Publikation auf identitätspolitische Verstöße prüfen.

In diesem Spannungsfeld zwischen theoretischem Interesse, kultureller Relevanz und Medienwandel verortet die Sommerschule die Frage nach dem Leser (oder, wenn man die Kategorie nicht geschlechterneutral verstehen möchte, der Leserin). Abgezielt wird darauf, die literaturwissenschaftliche Lese(r)forschung auf ihrem gegenwärtigen Stand einzufangen und vertiefend zu profilieren. Welche neuen Theorien und Lesermodelle gibt es? Welche Rolle können sie in Lektüren und Textanalysen spielen? Welche Möglichkeiten und Grenzen, welche pragmatischen Anwendungsmöglichkeiten haben sie, und in welcher Beziehung stehen sie zu Theoriekomplexen wie der Emotionsforschung oder den Digital Humanities? Vorgesehen sind kurze Vorträge der ExpertInnen, worauf eingehende gemeinsame Diskussionen ausgewählter Texte folgen. Die Texte werden im Vorfeld herumgeschickt und sollen von den Teilnehmenden vorbereitet werden. Ein Abendvortrag von Françoise Lavocat (im Centre Marc Bloch) gibt zudem einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der rezeptionstheoretisch informierten Fiktionsforschung.

Interessierte DoktorandInnen und Postdocs, aber auch fortgeschrittene Master-StudentInnen sind eingeladen, sich zu bewerben. Ein Unkostenbeitrag wird nicht erhoben, je nach Teilnehmer*innenzahl ist eine kleine Unterstützung bei Reisekosten und Unterkunft vorgesehen.

Als Bewerbungsunterlagen einzureichen sind:
1) ein tabellarischer Lebenslauf mit Kontaktdaten und eventuellen Publikationen zum Thema
2) ein Motivationsschreiben, aus dem das Interesse für das Thema der Sommerschule hervorgeht – wenn möglich unter Erläuterung einer Verbindung zu eigenen Forschungsinteressen

Bewerbungsschluss ist der 01.05.2020, die Sommerschule findet am 10. und 11. September an der Humboldt-Universität zu Berlin statt.

Bitte schicken Sie Ihr Bewerbungsdossier unter der Angabe „Sommerschule Leser“ in einem PDF-Dokument an folgende Mailadressen: jknobloch@uni-kassel.de oder lena.seauve@staff.hu-berlin.de.

Literatur (Auswahl):
Anz, Thomas: „Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung“. In: Karl Eibl/Katja Mellmann/Rüdiger Zymner (Hg.): Im Rücken der Kulturen. Paderborn: Mentis 2007, S. 207–239. Fischer, Carolin/Brunhilde Wehinger (Hrsg): Konzepte der Rezeption,Band 2. Rezeptionsästhetik: der Leser als Subjekt der ästhetischen Reflexion – von Kant zur interaktiven Fiktion.Tübingen: Stauffenburg 2018. Koppenfels, Martin von: Immune Erzähler. Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans. München: Wilhelm Fink 2007. Koppenfels, Martin von/Zumbusch, Cornelia: Handbuch Literatur & Emotionen. Berlin/Boston: De Gruyter 2016. Küpper, Joachim/Menke, Christoph (Hrsg.): Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Mellmann, Katja: Emotionalisierung – Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche. Paderborn: Mentis 2006. Schaeffer, Jean Marie: L’expérience esthétique. Paris: Gallimard 2015. Willand, Marcus: Lesermodelle und Lesertheorien. Historische und systematische Perspektiven. Berlin/Boston: De Gruyter 2014. Winko, Simone: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin: Erich Schmidt 2003.

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literaturtheorie, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies

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Humboldt-Universität zu Berlin
Datum der Veröffentlichung: 27.03.2020
Letzte Änderung: 27.03.2020