Konferenzen, Tagungen

Gefühlsunordnungen. Heinrich von Kleist und die romantische Ökonomie der Affekte

Beginn
08.06.2019
Ende
08.06.2019

Im Rahmen der Frühjahrstagung der Japanischen Gesellschaft für Germanistik findet am Samstag, den 8. Juni 2019, von 14:30 Uhr bis 17:30 Uhr an der Tokyoter Gakushuin University im Westgebäude 2 (Raum 402) das folgende Symposium statt:

Gefühlsunordnungen

Heinrich von Kleist und die romantische Ökonomie der Affekte

Affekte, Gemütsbewegungen, Leidenschaften sind Gegenstand diskursiver Kontrollen und gesellschaftlich-ökonomischer Codierungen. Norbert Elias hat den Prozess der Zivilisation an die Zunahme der Affektkontrolle gebunden. Im Kontext dieser Geschichte der Affektregulierungen nimmt das Werk Kleists eine Sonderstellung ein, werden darin doch immer wieder Affekte aus ihren diskursiv-sozialen Verankerungen und dem Gehäuse der Innerlichkeit in eine Äußerlichkeit gerissen. Liebe, Hass und andere Emotionen sind dann keine Gefühle mehr, sondern flottierende Affekte – austauschbar, wie ‚Küsse‘ und ‚Bisse‘ in Kleists Drama Penthesilea, oder schwankend, wie in seiner Familie Schroffenstein, wo im Affekttaumel ein Totschlag „aus Versehen“ geschieht.

Die Kleist-Forschung hat dieses besondere Verhältnis Kleists zu den Affekten verschiedentlich schon zu ihrem Gegenstand gemacht, wenn sie z. B. nach dem Verhältnis Kleists zur rhetorischen Tradition (insbesondere zur Affektenlehre) oder nach seinem Verhältnis zur romantischen Gefühlskultur des 18. Jahrhunderts gefragt hat. Während die ältere Forschung Kleist oft nur in diesem Zusammenhang interpretiert hat, betont demgegenüber die neuere Forschung die Unterschiede zwischen Kleist und dem emotionalen Stil der Romantik, wenn sie (wie beispielsweise das Kleist-Jahrbuch 2008/09) direkt nach ‚Kleists Affekten‘ fragt.

Anknüpfend an solche Forschungsergebnisse will sich das Symposium aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive mit der Problematisierung der Affekte bei Kleist auseinandersetzen. Erkenntnis neuerer kulturwissenschaftlicher Forschung ist es, dass die Zeit um 1800, die ja als Übergangszeit zur Moderne gilt, nicht zuletzt durch fundamentale Änderungen in den emotionalen Begriffen und Semantiken bestimmt war: Vor allem ist hier der Aufstieg des ‚Gefühls‘ zu beobachten, welches im Laufe des 18. Jahrhunderts als moralisches und ästhetisches Gefühl reflektiert wird und von den – oft mit der antiken Rhetorik verbundenen – Affekten abgegrenzt wird, die abgewertet werden. Kant beispielsweise nennt die Affekte ‚unbesonnen‘, während er ‚Gefühle‘ als eine Leistung der Vernunft honoriert.
Im Zusammenhang mit diesen kulturhistorischen Bestimmungen werden im Symposium, vor allem auch unter Einbeziehung neuerer Theorieansätze, die Affekte im Werk Kleists neu beleuchtet: So werden diese Affekte im Spannungsverhältnis zur Gefühlsökonomie der Romantik und ihren Codierungen im romantischen Diskurs über die Liebe literaturhistorisch analysiert. Kleists Penthesilea ist ein Paradebeispiel für die semiotische Verunsicherung, die um 1800 zwischen den Geschlechtern um sich greift. Kleists Haiti-Novelle Die Verlobung in St. Domingo wird aus postkolonialer Perspektive untersucht mit der Frage, wie im Verhältnis zwischen den ‚Rassen‘ der Affekt der Abjektion wirksam wird. Das Erdbeben in Chili wird als originelle Fortsetzung der Paradies-Geschichte gelesen. Schließlich wird das spezifisch Kleist’sche ‚Rechtgefühl‘, am Beispiel seines Michael Kohlhaas diskutiert.

PROGRAMM

14:30-14:40 Uhr:
Thomas Pekar (Gakushuin University): Einführung

14:40-15:05 Uhr
Yixu Lu (University of Sydney / JSPS Fellow an der University of Tokyo / Komaba):
Der amouröse Diskurs in Kleists Penthesilea

15:05-15:30 Uhr
Thomas Schwarz (Toyko University):
„Begierde und Angst“. Die Abjektion gegen Hybridität in Kleists Haiti-Novelle

15:30-15:55 Uhr:
Arne Klawitter (Waseda University):
Rechtgefühl und Gewalteskalation in Kleists Michael Kohlhaas

15:55-16:20
Thomas Pekar (Gakushuin University):
Das Paradies als paradoxe Strukturformel in Kleists Novelle Das Erdbeben in Chili

16:20-16:45 Uhr
Hirosuke Tachibana (Tokyo Institute of Technology):
Der unkontrollierbare Gewaltausbruch der elektrisch aufgeladenen Nation. Die Affektmanipulation und der Zufall in Kleists politischen Texten

16:45-17:30 Uhr
Abschlussdiskussion

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Literatur des 18. Jahrhunderts, Literatur des 19. Jahrhunderts
Heinrich von Kleist ; Romantik

Links

Einrichtungen

Gakushūin Daigaku (Tōkyō) / Gakushuin University (Tokyo)
Datum der Veröffentlichung: 17.05.2019
Letzte Änderung: 17.05.2019