Dissertation
Autor*in: Sandra Folie

Beyond ‚Ethnic Chick Lit‘. Labelingpraktiken neuer Welt- Frauen*-Literaturen im transkontinentalen Vergleich

Ausgangspunkt dieser Dissertation ist die chick lit; ein Genre der Gegenwartsliteratur, das auf Helen Fieldings Bridget Jones’s Diary (1996) und Candace Bushnells Sex and the City (1996) zurückgeführt wird. Im Mittelpunkt solcher ironisch-humorvoller Romane stehen meist junge weiße heterosexuelle Frauen* der Mittelschicht, die in einer Großstadt leben und sich im Kreise ihrer Freund*innen den alltäglichen Herausforderungen ihrer Karriere und der Suche nach einem geeigneten Partner stellen. Chick lit hat sich seit ihrer Entstehung jedoch stetig verändert und sowohl Gender- (z.B. lad lit) und Genre- (z.B. chick nonfiction) als auch kulturelle, geographische und sprachliche Grenzen überschritten. Darüber hinaus fungierte die Bezeichnung zunehmend als Label und Sammelbegriff für sämtliche Literaturen von, über und/oder für Frauen*, wobei Texte von Autor*innen mit anderen als sogenannten westlichen soziokulturellen Hintergründen oft als ‚ethnische‘ Subgenres oder Varianten eines anglo-amerikanischen Prototypen gehandelt und unter problematischen Termini wie jenem der ethnic chick lit subsumiert wurden. In die Forschung und mediale Berichterstattung fand die globale Präsenz der chick lit vor allem als eine Art Genretransfer von den weißen westlichen ‚Zentren‘ (primär den USA und Großbritannien) in die ‚Peripherien‘ Eingang.

Um diese anglozentrische Perspektive infrage zu stellen, wird chick lit in dieser Arbeit an der Schnittstelle zweier Disziplinen – Komparatistik und Gender Studies – bzw. zweier eng an diesen operierenden Diskursen – Weltliteratur und Frauenliteratur – positioniert. Deren begriffsgeschichtliche und theoretisch-methodische Verortung im ersten Teil der Arbeit zeigt, dass bislang weder der globalen Dimension geschlechtlich markierter noch der genderspezifischen Dimension global zirkulierender literarischer Phänomene besondere Aufmerksamkeit zukam. Nach einer Revision und Aktualisierung des Forschungsstandes anglo-amerikanischer chick lit, in der diese als ‚neue Frauenliteratur‘ im Sinne einer aktuellen Ausformung eines althergebrachten Diskurses wie auch einer geschlechtsmarkierten pejorativen Labelingpraktik ausgewiesen wird, steht im letzten Teil der Arbeit die weltliterarische Dimension des Genres im Fokus. Anhand von ausgewählten Fallbeispielen vermeintlich ‚peripherer‘ chick lit aus Indonesien, China, der arabischen Welt (primär Saudi-Arabien) und Afrika (primär Südafrika, Kenia und Nigeria) wird die Marginalisierung und Homogenisierung zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur von Frauen* durch gegenderte und ethnisierte Labelingpraktiken und damit einhergehende Vermarktungsstrategien untersucht. Durch einen transkontinental angelegten Vergleich werden einerseits lokale Eigenheiten hinter dem globalen Labeling sichtbar gemacht; andererseits aber auch Gemeinsamkeiten zwischen literarischen Phänomenen aufgezeigt, die in der Regel nicht zusammen, sondern immer nur getrennt oder aber als ‚ethnische‘ Ausformungen und Adaptionen anglo-amerikanischer chick lit gelesen werden.

Einrichtungen

Universität Wien
Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft (EVSL)

Forschungsgebiete

Literatur aus Nordamerika, Literatur aus Großbritannien und Irland, Literatur aus Afrika südlich der Sahara, Literatur des Vorderen Orients, Ostasiatische Literatur, Südasiatische Literatur, Gender Studies/Queer Studies, World Literature/Weltliteratur, Literatur und Soziologie, Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Literatur und Verlagswesen/Buchhandel, Gattungspoetik, Roman, Literatur des 20. Jahrhunderts, Literatur des 21. Jahrhunderts
Literatur von Frauen/Frauenliteratur, chick lit, Intersektionalität
Beitrag von: Sandra Folie
Datum der Veröffentlichung: 22.06.2020
Letzte Änderung: 22.06.2020