CfP/CfA Veranstaltungen

Visualität als Wirkungsdimension von Lyrik

Beginn
12.01.2024
Ende
13.01.2024
Deadline Abstract
15.06.2023

CALL FOR PAPERS:    WORKSHOP am 12./13. 1. 2024 in Berlin

Visualität als Wirkungsdimension von Lyrik

Traditionell und bis in die Gegenwart gilt als adäquater Rezeptionskanal von Lyrik das Hören: Nur laut gesprochen, so die einschlägigen Aussagen, vermag ein Gedicht seine ästhetische Wirkung zu entfalten. Dies betrifft auch jüngste, mit Sprachcode-Ambivalenzen operierende Gedichtformen. Dem steht jedoch die Tatsache gegenüber, dass seit mehr als 200 Jahren Gedichte üblicherweise zunächst in stiller Lektüre rezipiert werden. Auch wenn eine solche Lektüre von einem ‚inneren‘ Hören der Stimme begleitet wird, erfolgt in diesem Fall die Erstbegegnung durch den Sehkanal. Vergleichbar der prosodischen Modulation, in der ein vorgetragenes Gedicht gehört und aufgefasst wird, wird die Lektüre eines Gedichtes von dessen visuellen Darstellungsqualitäten grundiert: Ein Gedicht zu lesen bedeutet immer, ein Gedicht zu sehen. Visualität wird deshalb als eine allgemeine Dimension des ästhetischen Erlebens schriftbasierter Lyrik verstanden.

Ausgehend von dieser Hypothese beschäftigt sich der Workshop mit der visuellen Wirkung von Lyrik seit dem 18. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Sprachen. Dabei soll weniger avantgardistische visuelle Poesie als vielmehr die visuelle Wirkungsdimension von jenem Gros an lyrischen Gedichten im Mittelpunkt stehen, die einer Rezitation prinzipiell zugänglich sind, gleich ob sie metrisch geregelte, freirythmische oder prosanahe Verse aufweisen. Welche visuell markanten Textphänomene lassen sich an solchen Gedichten beobachten? Welche Formen der Textgestaltung, der Anordnung oder Auszeichnung von Versen, Wörtern oder Buchstaben kommen vor? Welche konnotativen (gestischen ) und motivationalen Funktionen übernimmt die visuelle Ebene eines Gedichtes im Leseprozess? Gibt es seitens der Autorinnen und Autoren ein Visualitätsbewusstsein?

Die geringe Beachtung der visuellen Dimension von Lyrik in der Forschung ist umso erstaunlicher, da die als gattungskonstitutiv angesehene Versform seit der Erfindung nicht-metrischer Verse durch Friedrich Gottlieb Klopstock visuell hergeleitet wird. Lässt sich beim metrisch geregelten Vers die Schriftform als Abbild des prosodisch definierten Verses auffassen, verhält es sich beim nicht-metrischen Vers umgekehrt: Hier definiert die Schriftform die Einheit des Verses, die stimmlich entsprechend abgebildet werden kann. Die Frage nach der visuellen Wirkungsdimension von Lyrik verbindet medien-, sprach- bzw. typographiewissenschaftliche, kunst- und literaturwissenschaftliche Aspekte. Forschung liegt insbesondere zur visuellen Poesie sowie zur Theorie der Materialität der Schrift bzw. der Schriftbildlichkeit vor; die visuelle Dimension konkreter rezitierbarer Gedichte wird hingegen bislang nur selten behandelt.

Der Workshop will das Spektrum an lyrischen Visualitätseffekten und die Möglichkeit ihrer systematischen Beschreibung diskutieren. Er findet am 12./13. Januar 2024 in Berlin (Veranstaltungsort wird bekannt gegeben) statt. Eine Publikation der diskutierten Beiträge ist beabsichtigt.

Bis zum 15. Juni 2023 werden Vorschläge für Beiträge zum Workshop erbeten. Beiträge zur visuellen Poesie der europäischen Avantgarden sollten nach Möglichkeit auf eine Anschlussfähigkeit für die Beschreibung von nicht experimentellen Gedichten ausgerichtet sein. Bitte haben Sie Verständnis, dass gegebenenfalls nicht alle Vorschläge berücksichtigt werden können.

Bitte reichen Sie Ihre Vorschläge mit einer Erläuterung (ca. 250 Wörter) und einer kurzen wissenschaftlichen Vita bis 15. Juni 2023 bei apl. Prof. Dr. Andreas Degen, Universität Potsdam, ein: adegen@uni-potsdam.de. Reise- und Übernachtungskosten (eine Nacht) werden übernommen.

  

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Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur und Visual Studies/Bildwissenschaften, Lyrik allgemein

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Datum der Veröffentlichung: 17.03.2023
Letzte Änderung: 17.03.2023