CfP/CfA Veranstaltungen

Texturen der ‚Vorwelt‘ im 19. Jahrhundert. Darstellungsmuster und Wissensordnungen

Beginn
03.03.2022
Ende
04.03.2022
Deadline Abstract
10.06.2021

Workshop am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (03.03.-04.03.2022) in Halle an der Saale

 

Im Anschluss an die Entdeckung der „deep time“ in der geologischen Forschung des Aufklärungszeitalters entwickelt sich ein breites naturkundliches Interesse an ‚vorweltlichen‘, paläobiologischen Zeugnissen, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Empirisierung und Systematisierung drängt und damit auch Fragen nach seiner Darstellbarkeit und textuellen Repräsentation aufwirft. In der frühen Paläobotanik (z.B. v. Schlotheim, v. Sternberg) rücken neben registrierend-schematische Darstellungen zusehends Versuche, Objekte im natürlich-lebensweltlichen Zusammenhang zu diskutieren und damit räumlich zu kontextualisieren. Dies geht nicht nur mit einer Orientierung an neuen, sich ab 1800 konstituierenden oder ausdifferenzierenden Wissensfeldern (z.B. Physiognomie, Meteorologie und Pflanzengeographie), sondern auch mit der Aufnahme neuer Schreibweisen einher. An dieser Stelle setzt der Workshop an. Die in den letzten Jahren breit geführte Diskussion um den epistemischen Wert literarischer, allgemein: narrativer Formen soll für eine Analyse des historischen Wissens um die ‚Vorwelt‘ fruchtbar gemacht werden. Dabei geht es darum, ‚Vorwelt‘ kulturpoetisch, d.h. hier: konsequent als „epistemisches Ding“ (Rheinberger) zu erschließen, das sich von seinen diskursiven Herstellungsbedingungen nicht lösen lässt.

Publikationsprojekte wie etwa J.G.J. Ballenstedts Archiv für die neuesten Entdeckungen aus der Urwelt (1819–1824) oder Sternbergs Versuch einer geognostisch-botanischen Darstellung der Flora der Vorwelt (1820–1838) stellen hybride Texte dar, die unterschiedliche Erzählmuster und Wissensordnungen integrieren und sich insofern in der Tradition der genera mixta verorten lassen. Bisher ist weitgehend ungeklärt, in welches Verhältnis sie sich zu – zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Anspruch changierenden – Gattungen naturkundlicher Beschreibung setzen lassen, die im Laufe des 19 Jahrhunderts an Popularität gewinnen: ‚Ansichten‘, ‚Geologischen Bildern‘, ‚Lebensbildern‘, ‚Skizzen‘, ‚Vegetationsbildern‘, ‚Tableaux‘, ‚Naturgemälden‘ oder ‚Physiognomien‘. Doch nicht nur mit Blick auf das frühe 19. Jahrhundert stellt sich die Frage nach dem Einfluss des Gattungswissens auf die Konstitution der ‚Vorwelt‘; auch und gerade mit Blick auf die bildliche Imagination paläontologischer Räume in Illustration (z.B. Franz Ungers und Ludwig Kuwaseggs Die Urwelt in ihren verschiedenen Bildungsperioden [1847ff.]) und Museum (z.B. Philipp Leopold Martins Projekt einer Urwelt-Schau), in der populärwissenschaftlichen Geologie (z.B. Carl Gottfried Vollmers Wunder der Urwelt [1855]) und nicht zuletzt im Jugendsachbuch (z.B. Friedrich Clemens’ Naturgeschichte des innern Erdballs oder die Urwelt [1856]) gilt es, textsortenspezifische Schreibweisen und deren Ausdifferenzierungsprozesse sowie – mit Blick auf das 18. Jahrhundert – mögliche Gattungstraditionen genauer zu bestimmen.

Der Workshop strebt eine Profilierung des paläontologischen Diskurses im Zeichen seiner gattungstypologischen und genrespezifischen Spezifizierung an. Im Mittelpunkt stehen sollen damit neben theoriegeleiteten Erkundungen des Verhältnisses von Diskurs, Gattung und Genre historische Fallstudien und Längsschnittanalysen, die

erstens auf eine Ergänzung, Differenzierung oder Korrektur älterer ideen- und philosophiegeschichtlicher Erklär- und Kohärenzmuster (z. B. Physikotheologie, romantische Naturphilosophie, positivistische Wende ab 1850, Vor- und Kommentargeschichte Darwins, Monismus),

zweitens auf rezeptionsgeschichtliche Zusammenhänge (z. B. ‚Naturgemälde‘ in der Tradition A. v. Humboldts),

drittens auf Beobachtungen zur wachsenden Relevanz der Behandlung vorweltlicher Themen in wissenschaftlich, populärwissenschaftlich oder populär orientierten Periodika,

viertens auf Präzisierungen der Rolle ‚paläontologischer Autorschaft‘ im Kontext des zeitgenössischen Wissenschaftsverständnisses sowie

fünftens allgemein auf vertiefte Einsichten hinsichtlich einer Rhetorik / Poetologie der Vorwelt abzielen.

 

Beitrags-Vorschläge (ca. 200 Wörter) bitte bis 10.06.2021 an norman.kasper@germanistik.uni-halle.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur und Naturwissenschaften, Poetik, Gattungspoetik, Rhetorik, Literatur des 19. Jahrhunderts
Wissenschaftsgeschichte

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Ansprechpartner

Einrichtungen

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU)
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA)

Adressen

Halle an der Saale
Deutschland
Datum der Veröffentlichung: 07.05.2021
Letzte Änderung: 07.05.2021