CfP/CfA Veranstaltungen

Das Populäre der Anderen - Vulgarität im Ausgang der Vormoderne. Figuren - Praktiken - Bewertungen (Siegen)

Beginn
21.11.2022
Ende
24.11.2022
Deadline Abstract
12.06.2022

Das Populäre der Anderen – Vulgarität im Ausgang der Vormoderne. Figuren – Praktiken –Bewertungen

DFG SFB 1472 „Transformationen des Populären“, Universität Siegen, 21. bis 24. November 2023

Organisation: Prof. Dr. Michael Multhammer (Universität Siegen), Prof. Dr. Joseph Imorde (Universität Siegen, Kunsthochschule Weißensee Berlin), Prof. Dr. Hans Rudolf Velten (Universität Siegen)

 

Populär ist, was bei vielen Beachtung findet. Diese Grundüberlegung des Siegener SFB 1472 „Transformationen des Populären“ soll auch als Ausgangspunkt dieser Tagung dienen, die jedoch weniger die wünschenswerte Beachtung selbst und das Verhältnis zu ihr in den Blick rückt, sondern deren abzulehnende Kehrseite im Sinne tatsächlich statthabender und zugleich unerwünschter Beachtung. Dementsprechend stellt sich die Frage: Was passiert, wenn Beachtungserfolge und dasjenige, worauf sie gründen, von normativen Instanzen und Wächtern des kulturellen Lebens (Gatekeeper wie etwa Kenner, Kritiker, Verleger, etc.), als minderwertig, und am Ende gar völlig unerwünscht angesehen werden? Wie sind Artefakte, kulturelle Strömungen, politische Meinungen zu klassifizieren, die nachweislich große Beachtung finden – mithin also alle Kriterien, populär zu sein, erfüllen –, gleichwohl aber von meinungsbildenden Instanzen im öffentlichen Raum abgelehnt werden oder als abzulehnen vorgestellt werden, zu bewerten?

Dergestalt soll ein zentraler Begriff in den Fokus rücken, der unerwünschte Popularität im Sinne einer doppelten Wertung diskreditiert: das Vulgäre. Doppelt ist diese Wertung insofern, weil sie immer eine sowohl ästhetische wie auch moralische Stoßrichtung besitzt. Vulgäres wird nicht nur aus einer kunstkritischen Warte häufig als minderwertig angesehen (zunächst ist ganz gleich, welche inhaltlichen Argumente dazu gebraucht werden), sondern zugleich ist es auch moralisch verdächtig – das Vulgäre gerät mithin immer auch in den Verdacht, unsittlich und der Moral schädlich zu sein. Beide Seiten des Verdikts fallen sowohl auf die Urheber wie auch Rezipient zurück. In beiden Fällen, ästhetisch wie moralisch, wird – analog zum Begriff des Populären – der Ursprung im (niederen) Volk zum vermeintlichen Maßstab für Minderwertigkeit und Mangel an Niveau und Qualität. Die Abwertung funktioniert über Semantiken der Breite, der Masse, des Wertes und Preises (billig) sowie auch der niedrigen Stellung, dem Ursprung im ‚Gemeinen‘. Diese dem Vulgären, das erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts als französisches Lehnwort im Deutschen Eingang findet, verwandten Begriffe bilden gleichsam den Ausgangspunkt, um über das komplementäre Verhältnis des Populären und des Vulgären im Ausgang der Vormoderne adäquat nachzudenken.

Die Tagung will daher eine historische Perspektive auf das Vulgäre einnehmen und zugleich dessen verwandte Begrifflichkeiten – vornehmlich das Obszöne und Perverse (das sich mehr auf Pathologisches und Widernatürliches bezieht) – nicht kategorisch ausschließen, ohne jedoch vorschnell von einer Identität dieser Konzepte auszugehen (die Forschung hierzu ist deutlich umfangreicher). Denn die Ursprünge des Niedrigen, Gemeinen und Plebejischen liegen im Bereich der Rhetorik und Poetik und sind in diesen Zusammenhängen noch nicht gleichermaßen wertend. Erst im Durchgang durch die im Entstehen begriffene Ästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dynamisieren sich die Semantiken, die Begriffe werden ästhetisch ‚imprägniert‘ und damit einhergehend auch deutlich wertender. Mit der Aufwertung des Populären in den Jahrzehnten um 1800 (zu denken ist an Herders Konzept einer Volkspoesie ebenso wie an die unterschiedlichen Spielarten einer Volksaufklärung) geht der Verlust einer Kategorie einher, die all die negativen Konnotationen, die das Populäre und seine semantischen Derivate bislang auch immer transportiert hat, verloren. Das Vulgäre wird dergestalt zu einer Residualkategorie, die diejenigen negativen Komponenten versammelt, die vormals im Begriff des ‚Volksmäßigen‘, ‚Gemeinen‘ oder ‚Populären‘ stets mitzudenken waren, ohne dabei schon dominant zu sein. Daneben gibt es Begrifflichkeiten – zu Denken wäre etwa an das Derbe, das Ordinäre oder das Unfeine –, die zwar ebenfalls im Umfeld eines Vulgären anzusiedeln sind, allerdings in historischer Hinsicht nicht einem dezidierten Bedeutungswechsel unterliegen. Insofern soll uns das Vulgäre zunächst als eine heuristische Kategorie zur Verfügung stehen, innerhalb derer es weiter zu differenzieren gelte.

Neben dieser historischen Entwicklung soll zudem eine systematische Fragestellung in den Blick kommen: Das Vulgäre lässt sich als ein ‚Populäres der Anderen‘ verstehen; das Konstrukt verdankt sich in aller Regel einer Fremdzuschreibung. Vulgär ist man (mit Ausnahmen vielleicht im 20. Jahrhundert) in der Regel nie selbst – es sind die Anderen, denen es an Geschmack und Moral gebricht. Diese Konstellation verweist auf eine allgemeinere Strategie der Delegitimierung, die als ein Versuch beschrieben werden kann, tatsächliche Beachtungserfolge, wie sie das Populäre kennzeichnen, als nicht gerechtfertigt zu klassifizieren. Denn häufig ist es schlicht unmöglich, die Popularität einer Person, eines kulturellen Artefaktes und dergleichen – gegen die (offensichtlichen) Tatsachen – zu leugnen. Dennoch: Obwohl etwas populär ist, soll es keine weitere Beachtung erfahren, mithin erneut in den Stand versetzt werden, nur noch unpopulär zu sein.

 

Anhand dreier Bereiche soll das Vulgäre in historischer wie systematischer Dimension in den Blick geraten:

  1. Figuren
  • Welche Äußerungs- und Zuschreibungsformen des Vulgären gibt es?
  • Wird das Vulgäre als inhaltliche oder formale (sprachliche) Eigenschaft begriffen?
  • Welche Argumentationslogiken begleiten das Vulgäre?
  • Welcher Stellenwert innerhalb ästhetischer Systembildungen wird dem Gemeinen, Niedrigen und Vulgären zugewiesen? Ist es in diesem Sinne notwendiger Bestandteil?
  • Auf welche Traditionen wird verwiesen, um Vulgäres zu konstituieren oder zu legitimieren?
  • Welche Rolle spielen realweltliche und sozialgeschichtliche Phänomene wie beispielsweise der Karneval und das damit verbundene Fastnachtspiel?
  • Wie wird das Vulgäre im Bereich des Theatralen verhandelt und bewertet?
 
  1. Praktiken
  • Welche (poetologischen, rhetorischen, ästhetischen, moralischen, etc.) Lizenzen für das Vulgäre gibt es?
  • Welche Regeln (rhetorisch, poetologisch, etc.) gelten in Hinblick auf das Vulgäre oder findet es gerade als Regelloses außerhalb dieser Einhegungen seinen Platz?
  • Welche Publikationsumstände (Gattungen, Paratexte, Formate, etc.) begleiten das Vulgäre, welche erzeugen es vielleicht gar? Wie kommt das Vulgäre zur Aufführung, innerhalb welcher Formate und Performanzen?
  • Wie wird Vulgarität kommuniziert – von affirmativ bis ablehnend?
  • Welche Folgen zeitigen das Vulgäre oder vulgäre Praktiken in Kunst und Gesellschaft?
  • Welche Semantiken begleiten das Vulgäre (Befreiung, Entgrenzung, Bedrohung, etc.)?
 
  1. Bewertungen
  • In welchen Bewertungsregimen wird das Vulgäre verhandelt?
  • Wer ist Adressat solcher Bewertungen?
  • Wer bewertet und aus welcher Warte heraus, wie wird die Wertung legitimiert? Entlang welcher Axiologien von ‚high‘ and ‚low‘ Culture wird bewertet? Welche Rolle spielen dabei vormoderne höfische und klerikale Milieus?
  • Welche Gatekeeper reüssieren/scheitern im sekundären Diskurs?
  • Welche Medien kommen zum Einsatz?

 

Beiträge zu diesen und verwandten Fragen aus den Bereichen der Kunstgeschichte, der Literatur- und Kulturwissenschaften, der Geschichte sowie Musikwissenschaften sind herzlich willkommen. Die Kosten für Anreise und Übernachtung werden übernommen.

Bitte schicken Sie Ihre Beitragsvorschläge (im Umfang von max. 2 Seiten) mit einer kurzen biobibliographischen Notiz bis 12. Juni an: multhammer@germanistik.uni-siegen.de, imorde@kunstgeschichte.uni-siegen.de, velten@germanistik.uni-siegen.de

 

Informationen zum Siegener SFB sowie zu den Teilprojekten der drei Veranstalter finden sich unter sfb1472.uni-siegen.de

Ausführungen zum grundlegenden Forschungsprogramm Jörg Döring et. al: Was bei vielen Beachtung findet: Zu den Transformationen des Populären. In: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 2 (2021), 6. Jg., S. 1–24.

Ebenfalls online unter: https://sfb1472.uni-siegen.de/publikationen/was-bei-vielen-beachtung-findet-zu-den-transfo...

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur und Soziologie, Poetik, Rhetorik
Das Vulgäre

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Datum der Veröffentlichung: 16.05.2022
Letzte Änderung: 16.05.2022