CfP/CfA Veranstaltungen

Call for Applications: Workshop "Kolportage - Pulp - Moderne" (Marburg)

Beginn
16.03.2023
Ende
17.03.2023
Deadline Abstract
16.10.2022

Kolportage ‒ Pulp ‒ Moderne

Workshop, 16. und 17. März 2023
Philipps-Universität Marburg

Vicki Baum flaggt Menschen im Hotel (1929) als „Kolportageroman mit Hintergründen“ aus; Robert Walser blättert im Feuilleton bürgerlicher Zeitungen in Marlitt- und Courths-Mahler-Romanen; Thomas Mann protegiert 1927 die „gutgemacht-mittlere“ Serie Romane der Welt und insistiert im Vorwort darauf, „große Erzählung“ habe „fast immer die Neigung gezeigt, ins wild Unterhaltende, ins Kolportagehafte [...] zu steigen“. Die Zeitschrift Kokain. Eine moderne Revue (1925) will ein „Narkotikum“ sein, „dessen Wirkung unfehlbar ist“ und engagiert „Schriftsteller von Rang und Namen [...], Künstler von hoher Bedeutung“, um das Publikum „auf die einfachste und billigste [...] Weise zu unterhalten“ ‒ folgerichtig porträtiert Joseph Roth in der Pilotnummer einen „Kolporteur“. Melchior Vischers Dada-Experiment Sekunde durch Hirn (1920) wird als „prachtvoller Schundroman“ wahrgenommen, Otto Soykas Der entfesselte Mensch (1919) ist – in den Augen Robert Müllers ‒ „dem Inhalt nach Kolportage, der Form nach Literatur“. Und Georg Kaisers 1924 uraufgeführtes Drama Kolportage soll, so die Sport im Bild, „wohl bewußte Kolportage sein, [...] aber alles das verdeckt nicht [...], daß Kaiser im Grunde zu der wirklichen Kolportage ziemlich feste Beziehungen unterhält“.

‚Hohe‘ und ‚niedere‘ Literatur, ‚Kunst‘ und ‚Kolportage‘ ‒ so deuten diese Fälle an ‒ präsentieren sich in der literarischen Kultur der Moderne, hier: der 1920er Jahre, keineswegs als stets scharf voneinander getrennte Sphären. Ihren Affinitäten, ihren wechselseitigen Beobachtungsverhältnissen, wenn nicht gar ihren „ziemlich feste[n] Beziehungen“ möchte der Workshop auf der Grundlage gemeinsamer Lektüren und in enger Arbeit am historischen Material nachspüren. Die Veranstaltung setzt dabei ‚Kolportage‘ – verstanden in seiner Vieldeutigkeit als Verfahrens- und Genre-, aber auch als Format- und Distributionsbegriff – als Suchbegriff ein, um in der literarischen Kultur der Weimarer Republik nach poetischen, medienästhetischen und rezeptionskulturellen Berührungspunkten von highbrow- und Unterhaltungsliteratur zu fahnden, wie sie in den anglophonen New Modernist Studies unter dem Stichwort „Pulp Modernism“ seit Längerem fest im Blick sind (vgl. u.a. Rabinowitz 2002; 2014; Earle 2009; Jaillant 2017). Im Fokus stehen dabei dezidiert printkulturelle Formen von Kolportage als einer Form populärer Unterhaltung, die auch in den 1920er Jahren noch immer auch Sache des gedruckten Buches, von Heftserien, Magazinen und Zeitungen ist (vgl. zur Kolportage des 19. Jahrhunderts die Oldenburger Tagung „Kolportage-Literatur” 2021).

Ziel des Workshops ist es, zu eruieren, inwiefern sich ‚Kolportage‘ als ein medienliterarisches Dispositiv der Moderne fassen lässt, dessen Verfahren und Routinen, Publikationsmilieus und Rezeptionsformen auch eine sich als Teil der Hochkultur begreifende Literatur affizieren und somit schematische Grenzziehungen zwischen Kunst und Unterhaltung durchkreuzen. Es geht darum, Austauschprozesse und Grenzverwischungen in den Blick zu rücken:

  • Welche Energien zirkulieren zwischen high und low modernism?
  • In welchen medialen Formaten, in welchen Marktsegmenten begegnen sie sich?
  • Auf welchen Schauplätzen verkompliziert sich ihr Verhältnis, etwa im Blick der zeitgenössischen Literaturkritik?
  • Welche Rezeptionsweisen haben heute kanonisierte Texte denjenigen Leser:innen nahegelegt, denen sie auf billigem Papier, bebildert und in Massenauflagen vor Augen getreten sind?
  • Was wird erzählbar, wenn es ‚kolportiert’ wird?
  • Wo berühren sich Texte moderner ‚Hochliteratur’ mit den Darstellungslogiken, Gender-Figurationen und Kolonialnarrativen von Kolportage und ihrer spezifischen Ästhetik des Erregenden, Fesselnden, Verführerischen, Sensationellen?
  • Welche literarischen Mischformen entstehen aus der Liaison von Kunst und Kolportage?
  • Und wie lässt sich – um Fragen wie diese beantworten zu können – das great unread der Kolportageliteratur literaturwissenschaftlich angemessen adressieren?

Der diesen Fragen gewidmete Workshop soll am 16. und 17. März 2023 als Präsenzveranstaltung an der Philipps-Universität Marburg stattfinden. Im Zentrum stehen Intensivsessions, die der gemeinsamen Begriffs- und Methodendiskussion sowie close readings vorab zur Verfügung gestellten Materials Raum bieten sollen; ergänzende (Impuls-)Vorträge sind vorgesehen. Wir freuen uns über Bewerbungen zur Teilnahme in Form einer Darstellung des eigenen Interesses am Thema, einem Vorschlag eines möglichen thematischen Kurzinputs (10-15 Minuten) und knappen Angaben zur Person bis zum 16. Oktober 2022 an David Brehm (david.brehm@uni-marburg.de) und Katharina Scheerer (katharina.scheerer@uni-muenster.de). Die Zahl der verfügbaren Plätze ist begrenzt. Fahrt- und Übernachtungskosten, die nicht von der jeweiligen Heimatinstitution getragen werden können, können aller Voraussicht nach erstattet werden.

Zitierte Literatur

Earle, David M.: Re-Covering Modernism: Pulps, Paperbacks, and the Prejudice of Form, Burlington u.a. 2009.

Jaillant, Lise: Cheap Modernism: Expanding Markets, Publishers’ Series and the Avant-Garde, Edinburgh 2017.

Rabinowitz, Paula: American Pulp: How Paperbacks Brought Modernism to Main Street, Princeton 2014.

Dies.: Black & White & Noir. America’s Pulp Modernism, New York 2002.

Kontakt und Organisation

David Brehm, M.A. ‒ Philipps-Universität Marburg ‒ david.brehm@uni-marburg.de

Katharina Scheerer, M.A. ‒ Westfälische Wilhelms-Universität Münster ‒ katharina.scheerer@uni-muenster.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Literatur des 20. Jahrhunderts
Kolportage

Links

Ansprechpartner

Einrichtungen

Philipps-Universität Marburg

Adressen

Marburg
Deutschland
Datum der Veröffentlichung: 23.09.2022
Letzte Änderung: 26.09.2022