ger: Ausgehend von den Problematiken "Raum" und Spiel" sollen in der Studie zu Werken der gegenwärtigen deutschsprachigen Kinderliteratur Parallelen zwischen postmodernen Tendenzen und Raumkonzepten hergestellt werden, die neue Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Es wird gezeigt, dass die Rezipientinnen/Rezipienten durch das Lesen fantastischer Literatur in Gedanken aus den Zwängen und Einschränkungen der Realität ausbrechen können und dass das Lesen kurzzeitig aus dem gewohnten Regelwerk, aus der Langeweile und Eintönigkeit des Alltags befreien kann. Dabei wird hervorgehoben, dass das Eintauchen in fiktiv-fantastische Welten nicht auf eine Fluchtmöglichkeit reduziert werden kann, sondern dass dadurch Imaginations-, Simulations- und Spielräume für die Rezipientinnen/Rezipienten eröffnet werden. In der vorliegenden Arbeit wird die fantastische Literatur gerade nicht in ihren nur trivialen Erscheinungen betrachtet und damit auf Eskapismus reduziert, sondern als experimenteller Spiel- und Simulationsraum für Autorinnen/Autoren einerseits, für Leserinnen/Leser andererseits beschrieben. Es ist zudem relevant, die Konstruktion von fiktiven Welten in der jüngsten Literatur mit der in der postmodernen Gesellschaft zunehmenden Orientierungslosigkeit und den damit verbundenen Identitätsproblemen in Verbindung zu setzen. Ein besonderes Augenmerk soll auf das Eintauchen in fiktiv-fantastische Welten gelegt werden: Die Problematiken "Raum" und "Spiel" sind bereits in einigen literaturtheoretischen Arbeiten zur Postmoderne thematisiert worden. Darauf rekurrierend werden diese zwei postmodernen Phänomene zusammengeführt und ihre Bedeutung für die Literaturtheorie und Literaturwissenschaft der Gegenwart bekräftigt. Um die erzählerischen Strategien näher zu beleuchten, wird die Wendung zum Fantastischen in der Kinderliteratur kurz dargestellt und es wird dabei besonders auf Hexerei, Magie und Zauberei in der deutschsprachigen Literatur im Allgemeinen und der Kinderliteratur im Besonderen hingewiesen, da das Eintauchen in eine sekundäre Raumebene voller Magie charakteristisch für die gegenwärtige fantastische Kinderliteratur ist. So kann gezeigt werden, dass sich nicht nur in der Literatur der Gegenwart, sondern auch in der jüngsten Kinderliteratur Symptome der Postmoderne widerspiegeln, welche die gegenwärtige Gesellschaft prägen bzw. sich auf gesellschaftliche Tendenzen beziehen. Die veränderten Gesellschaftsformen, beispielsweise die von Ulrich Beck bezeichnete "Risikogesellschaft", oder auch Phänomene wie "Ortspolygamie" werden in Beziehung gesetzt zu den Theorien zur Bedeutung des Spiels - hier sei auf den "Homo ludens" von Johan Huizinga verwiesen oder auch auf Thomas Anz, welcher sich mit dem literarischen Spiel in der postmodernen Gesellschaft auseinandersetzt. Dabei wird gezeigt, wie sehr literarische Raumkonzepte und wiederkehrende Motive die erfahrbare Realität erweitern und bereichernd für die Rezipientinnen/Rezipienten wirken können, denn die Leserinnen/Leser können sich in einem risikofreien Raum der Literatur ausprobieren und unbekannte Situationen kennen lernen. Durch die positive Konnotation der neuen Raumgestaltung wird deutlich, dass nicht das zunehmende Kompensationsmotiv die Postmoderne charakterisiert, sondern dass in diesen fiktiven Parallelwelten auch wichtige Fertigkeiten eingeübt werden können und dass es dort zusätzliche Gestaltungsspielräume gibt. Diese Studie wird also zeigen, dass das Spiel zur Eröffnung von neuen Handlungs- und Lebensformen für die Kinderliteratur der Gegenwart bedeutsam ist. Die Theorie der Enträumlichung, des Aufbaus einer fiktiven Parallelwelt zur Realität, des Eintauchens in eine zweite, magische, geheimnisvolle, aufregendere Welt soll an exemplarischen Beispielen untersucht werden. Gerade die deutschsprachige Kinderliteratur zeigt einen langen Weg über Schleusen und Ausbruchswege in andere Welten sowie ma-gische Helferinnen/Helfer, Kinder und Tiere, die über besondere Fähigkeiten verfügen. Zudem lässt sich ein bestimmtes Hexen- bzw. Zaubererbild feststellen, das in der Arbeit herausgearbeitet wird und mit der Stoff- und Motivgeschichte der Literatur in Verbindung gebracht werden soll. Die Analyse der Raumkonzepte fokussiert die Gestaltung fiktiver Parallelwelten, die Übergangsmöglichkeiten (Schleusen), die Darstellungsfunktionen der Spiegelwelten und die fantastischen Figuren. In diesem Kontext wird auch die Konstruktion elternferner Räume angesprochen und der Umgang mit dem Fremden oder mit Ängsten thematisiert. Es interessiert ferner, welche Funktionen den in den Texten angelegten Spiegelwelten zugeschrieben werden können. Hierfür ist die Auseinandersetzung mit Tendenzen der Postmoderne wesentlich. Diese den Raum betreffenden postmodernen Problematiken werden mit literaturtheoretischen Überlegungen - beispielsweise der Appellstruktur literarischer Texte nach Wolfgang Iser oder der Struktur und Funktion literarischer Räume nach Jurij M. Lotman - zusammengeführt.
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