Resistant writing. Lili Körber – literature, politics and exile
English version below
Widerständiges Schreiben. Lili Körber – Literatur, Politik und Exil
Tagung des Käte Hamburger Kollegs global dis:connect (LMU München) in Kooperation
mit dem Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek, organisiert von Burcu
Dogramaci und Günther Sandner unter Mitarbeit von Veronika Zwerger
Datum: 14. und 15. November 2024
Ort: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien
Unsere Tagung und die darauf aufbauende Publikation widmen sich der Schriftstellerin
und politischen Publizistin Lili Körber (1897–1982). Die promovierte
Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, die als Tochter einer österreichischen
Kaufmannsfamilie 1897 in Moskau geboren wurde und später in Wien lebte, war Mitglied
der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), der Vereinigung sozialistischer
Schriftsteller und des Bundes der Proletarisch-Revolutionären Schriftsteller
Österreichs. Dieses politische Engagement äußerte sich auch in ihrer publizistischen
Arbeit. Lili Körber schrieb für politisch linke Periodika wie die „Wiener Arbeiter-Zeitung“,
„Bildungsarbeit“, die „Rote Fahne“ und die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ)“.
Gemeinsam mit Anna Seghers und Johannes R. Becher folgte sie 1930 einer Einladung
des Moskauer Staatsverlags zu einer Reise in die Sowjetunion. Sie wollte die Lebens-
und Arbeitsverhältnisse der Menschen kennenlernen, indem sie mehrere Monate als
Bohrerin in den Putilow-Traktorenwerken in Leningrad arbeitete, ein Betrieb mit einer
„bekannte[n] Geschichte revolutionären Widerstandes während der Zarenzeit“ (Hertling
1982). Ihre Erfahrungen verarbeitete sie in dem Tagebuch-Roman „Eine Frau erlebt den
roten Alltag“, der 1932 bei Rowohlt Berlin erschien und dessen Umschlag von John
Heartfield gestaltet wurde. Körber arbeitete im Genre des dokumentarischen Romans,
indem sie neben den Tagebuchnotizen, die authentische und persönliche Erfahrungen
vermitteln, auch Dokumente wie Lohnzettel oder Seiten aus ihrem Arbeitsbuch
reproduzierte.
Lili Körbers Roman „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“ von 1934 gehört zu den
ersten gegen den Faschismus gerichteten Büchern, die der Übergangszeit zwischen dem
Ende der Weimarer Republik und der Etablierung des NS-Staates gewidmet sind. In ihm
wird die ideologische Durchdringung der Gesellschaft prägnant beschrieben. In der Liste
des schädlichen und unerwünschten Schrifttums (Stand Oktober 1935) werden
„Sämtliche Schriften“ von Lili Körber indiziert. 1933 gehörte „Eine Frau erlebt den roten
Alltag“ zu den verbrannten Büchern. Eine 1934 nach Japan und China unternommene
Reise fand literarischen Ausdruck in der Reisereportage „Begegnungen im Fernen Osten“
(Biblios Verlag, Budapest 1936) und in „Sato-San, ein japanischer Held. Ein satyrischer
Zeitroman“, eine 1936 in der Wiener Lesegilde erschienene Beobachtung des
japanischen Faschismus, die auch als Hitler-Parodie lesbar ist. Körber ließ sich auch
durch die Verbrennung und das Verbot ihrer Bücher im Nationalsozialismus nicht davon
abhalten, politisch zu publizieren.
Kurz nach dem sogenannten Anschluss Österreichs floh Körber aus Wien über einen
Zwischenstopp in Zürich nach Paris, wo sie für Schweizer Zeitungen und das Pariser
Tageblatt schrieb. Noch ab April 1938 erschien in der sozialdemokratischen Zeitung
„Volksrecht“ in Zürich der Fortsetzungsroman „Eine Österreicherin erlebt den
Anschluß“, in dem Körber unter dem Pseudonym Agnes Muth ihre Beobachtungen in der
bereits bewährten Form eines Tagebuch-Romans verarbeitete. Schließlich emigrierte sie
im Juni 1941 mit Unterstützung des Emergency Rescue Committees über Lissabon nach
New York, wo sie als Fabrikarbeiterin und Krankenschwester tätig war. Ihre
schriftstellerische Tätigkeit war nur noch stark eingeschränkt möglich, neben wenigen
Zeitungsartikeln, etwa in der in Buenos Aires erscheinenden Emigrantenzeitung „Das
andere Deutschland“, publizierte sie 1942/43 in der deutschsprachigen New Yorker
„Anti-Nazi Newspaper“ „Neue Volks-Zeitung“ noch den Fortsetzungsroman „Ein
Amerikaner in Russland“, der als Kritik am Stalinismus gelesen werden muss. 1949
entstand ihr englischsprachiger Roman „Farewell to Yesterday“, der unveröffentlicht
blieb. In Deutschland und Österreich geriet Körber als Folge politischer Verfolgung, der
Konfiszierung und Zerstörung ihrer Bücher und ihrer Emigration ins Vergessen. Heute
befindet sich ihr literarischer Nachlass im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 in der
Deutschen Nationalbibliothek. Nur vereinzelt wurde Lili Körber in den vergangenen
Jahrzehnten wieder in den Blick gerückt. In den 1980er Jahren kam es zu Neuausgaben
einiger ihrer Bücher, Forschungsliteratur zu Körbers Texten wurde in den 1990er Jahren
publiziert.
Unsere Tagung soll Lili Körbers Oeuvre erstmals aus interdisziplinären Perspektiven
diskutieren und als Beispiel einer von Dis:konnektivitäten geprägten Werk-Biografie
betrachten. Die Autorin soll in den größeren Kontexten von Politik, Literatur, Kunst und
Gender in einer von politischen Umbrüchen bestimmten Zeit verortet werden. Von
dieser Auseinandersetzung mit der politisch schreibenden und schriftstellerisch
politisch handelnden Lili Körber versprechen wir uns auch einen möglichen Blick zurück
in unsere Gegenwart, die zunehmend von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus
geprägt ist.
Wir laden ein, sich mit Beitragsvorschlägen für ca. 20minütige Vorträge an uns zu
wenden. Themen – gern in größerer Perspektive, aber in Rückbezug auf Lili Körber -
könnten sein:
- Sozialistisches Publizieren, politische schriftstellerische Arbeit
- Beiträge zu Lili Körbers literarischem Oeuvre zwischen Zeitroman und Exilliteratur
- Künstlerische und politische Netzwerke vor, während und nach der Exilierung
- Reiseliteratur von Schriftsteller*innen - Russlandreisen (vgl. etwa zu Grosz (Kunst), Erich Mendelsohn (Architektur), Valeska
Gert (Tanz) usw.)
- Schriftsteller*innen auf Japan- und Chinareisen in den 1930er Jahren
- Verbrannte Bücher
- Jüdische Sozialistin
- Widerstand gegen den NS, antifaschistische Romane
- Schreiben im Austrofaschismus
- (Linke) Antistalinistische und antikommunistische Journalistik und Literatur
- Exile (Schweiz, Paris, New York) - Zeitungen, Zeitschriften, Buchgestaltung und Verlage
Abstracts mit einer Länge von max. 2.000 Zeichen und mit einer Kurzbiografie in einem
pdf sollen bis zum 10.4. an Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr.
Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) und MMag. Veronika Zwerger
(exilbibliothek@literaturhaus.at) geschickt werden. Tagungssprache: Deutsch und
Englisch. Reise- und Unterkunftskosten können anteilig erstattet werden. Die
Veröffentlichung der Beiträge ist geplant. Abgabe der Manuskripte: 31. März 2025.
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English version
Resistant writing. Lili Körber – literature, politics and exile
Conference of the Käte Hamburger Research Centre global dis:connect (LMU Munich) in
cooperation with the Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek, organised by
Burcu Dogramaci and Günther Sandner in collaboration with Veronika Zwerger
Date: 14–15 November 2024
Location: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien
Our conference and the edited volume we plan to publish are dedicated to the writer
and political publicist Lili Körber (1897–1982). The accomplished literary scholar and
writer, Muscovite by birth and later resident of Vienna, was a member of the
Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), the Vereinigung sozialistischer Schriftsteller
and the Bund der Proletarisch-Revolutionären Schriftsteller Österreichs. She also
expressed her political commitment in her journalism. Körber wrote for left-wing
political periodicals such as the “Wiener Arbeiter-Zeitung”, “Bildungsarbeit”, the “Rote
Fahne” and the “Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ)”. Together with Anna Seghers and
Johannes R. Becher, she accepted an invitation from the Soviet state publishing house
to travel to Moscow in 1930. She sought to learn about workers’ living and labour
conditions by serving for several months as a drill operator at the Putilov tractor factory
in Leningrad, a company with a “well-known history of revolutionary resistance during
the Tsarist era”. (Hertling 1982)
She wrote about her experiences in the autobiographical novel “Eine Frau erlebt den
roten Alltag”, which was published by Rowohlt Berlin in 1932 and whose cover was
designed by artist John Heartfield. Körber created historical novels by reproducing
documents such as pay slips and pages from her employment record book alongside
her diary entries, which convey authentic and personal experiences.
Lili Körber’s 1934 novel “Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland” is one of the first anti
fascist books to treat the transitional period between the end of the Weimar Republic
and the establishment of the Nazi state. It succinctly describes the ideological
permeation of society. By October 1935, all of Körber’s writings were on the list of
banned literature. “Eine Frau erlebt den roten Alltag” was one of the books burnt in
1933.
In her travelogue “Begegnungen im Fernen Osten” (Biblios Verlag, Budapest 1936) and
“Sato-San, ein japanischer Held. Ein satyrischer Zeitroman” (Wiener Lesegilde, 1936), a
satirical observation of Japanese fascism that can also be read as a parody of Hitler, she
covered her 1934 journey to Japan and China. Not even the burning and banning of her
books under National Socialism could prevent Körber from writing politically.
Shortly after the “Anschluss”, Körber fled Vienna, stopping over in Zurich before reaching
Paris, where she wrote for Swiss newspapers and the “Pariser Tageblatt”. From April
1938, the social democratic newspaper “Volksrecht” in Zurich published “Eine
Österreicherin erlebt den Anschluß”, in which Körber, under the pseudonym Agnes
Muth, again processed her observations in a diary novel. She finally emigrated in June
1941 with the support of the Emergency Rescue Committee via Lisbon to New York,
where she worked in a factory and as a nurse. Beyond a few newspaper articles in, for
example, the Buenos Aires emigrant newspaper “Das andere Deutschland”, she
published the novel “Ein Amerikaner in Russland”, in 1942/43 in the German-language
New York ‘anti-Nazi newspaper’ “Neue Volks-Zeitung”. This text published in 1942-43
could be read as a criticism of Stalinism. In 1949, she wrote her unpublished English
language novel “Farewell to Yesterday”.
In Germany and Austria, Körber fell into oblivion as a result of political persecution, the
confiscation and destruction of her books and her emigration. Today, her literary estate
can be found in the Deutsches Exilarchiv 1933–1945 in the Deutsche Nationalbibliothek
in Frankfurt/Main. Lili Körber has only occasionally been exhumed in recent decades.
New editions of some of her books appeared in the 1980s, and published research on
Lili Körber dates to the 1990s.
At the conference, we will discuss Lili Körber’s oeuvre for the first time from an
interdisciplinary perspective and consider it as a corpus exemplifying dis:connectivities.
The author will be situated in the contexts of politics, literature, art and gender at a time
of political upheaval. We hope that examining Körber as a political activist and writer will
also reflect back on the present, which is increasingly characterised by extremism,
racism and anti-Semitism.
We welcome proposals for presentations of around 20 minutes. Topics – preferably from
a broader perspective, but with reference back to Lili Körber – could include:
- Socialist publishing, political writing
- Contributions to Lili Körber's literary oeuvre between contemporary novel and
exile literature
- Artist and political networks before, during and after exile
- Travel literature by professional writers
- Journeys to Russia (see, for example, Grosz (art), Erich Mendelsohn
(architecture), Valeska Gert (dance), etc.)
- Writers travelling to Japan and China in the 1930s
- Burnt books
- Jewish socialists
- Anti-Nazi resistance, anti-fascist novels
- Writing under Austrofascism
- (Left-wing) anti-Stalinist and anti-communist journalism and literature
- Exile (Switzerland, Paris, New York)
- Newspapers, magazines, books and publishing houses
Abstracts of no more than 2,000 characters and a short biography should be sent in a single pdf file to Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr. Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) and MMag. Veronika Zwerger (exilbibliothek@literaturhaus.at) by 10 April. The conference will be bilingual, with presentations in German and English. Partial reimbursement for travel and accommodation costs might be available. The organisers plan to publish an edited volume of the contributions. Deadline for manuscripts: 31 March 2025.
Abstracts und mit einer Kurzbiografie in einem pdf bitte bis zum 10.4. an Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr. Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) und MMag. Veronika Zwerger (exilbibliothek@literaturhaus.at).
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Abstracts und mit einer Kurzbiografie in einem pdf bitte bis zum 10.4. an Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr. Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) und MMag. Veronika Zwerger (exilbibliothek@literaturhaus.at).
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